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Enteignungen: Das steht im Grundgesetz

Das Grundgesetz erlaubt die Vergesellschaftung ganzer Wirtschaftsbranchen. Doch die Kosten dafür könnten schnell in Milliardenhöhe liegen. Antworten zum Thema Enteignungen.
von Christian Rath · 8. April 2019
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Warum diskutiert Deutschland derzeit über Sozialisierungen?

Im Stadtstaat Berlin haben linke Gruppen in diesen Tagen ein Volksbegehren gestartet, um Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften. So sollen günstige Mieten für rund 200.000 Berliner Wohnungen garantiert werden. Das Vorhaben hat in Umfragen hohe Sympathiewerte, weil die Mieten in Berlin in den vergangenen Jahren massiv gestiegen sind.

Was sagt das Grundgesetz?

Das Grundgesetz erlaubt in Artikel 15 solche Sozialisierungen: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entshädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."

Seit wann gibt es diesen Artikel?

Er war schon bei der Entstehung des Grundgesetzes 1949 enthalten. Allerdings war dies kein Novum. Schon in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gab es einen ähnlichen Artikel.

Warum wurde diese Vorschrift ins Grundgesetz aufgenommen?

Die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien war damals kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein breit diskutiertes Thema. Sogar die CDU Nordrhein-Westfalen forderte in ihrem Ahlener Programm, das „kapitalistische Gewinn- und Machtstreben“ durch eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“ zu ersetzen. Auch die westlichen allierten Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich standen der deutschen Industrie wegen ihrer Verbundenheit mit dem NS-Regime skeptisch gegenüber.

Was ist der Unterschied zwischen Sozialisierung (Artikel 15) und Enteignung (Artikel 14 III)?

Artikel 15 ermöglicht nicht nur die Enteignung einzelner Grundstücke und Gegenstände, sondern ganzer Wirtschaftsbranchen. 

Wie oft wurde von dieser Vorschrift Gebrauch gemacht?

Bisher kein einziges Mal. In den 1950er-Jahren drehte sich die Stimmung schnell, als im kapitalistischen Westdeutschland das „Wirtschaftswunder“ gelang, während im Staatsozialismus der DDR schlechtere Lebensbedingungen herrschten. Um wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen, ist es in der Regel effizienter, den Unternehmen per Gesetz Regeln vorzugeben, als sie mit viel Geld zu verstaatlichen. Artikel 15 enthält keinen Auftrag zur Sozialisierung, sondern nur eine Ermächtigung.

Ist bei der Sozialisierung das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten?

Ja. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel ist immer zu beachten, wenn der Gesetzgeber oder die Behörden in Grundrechte eingreifen. Es besagt, dass ein Eingriff geeignet und erforderlich sein muss. Der Nachteil darf im Vergleich zum angestrebten Nutzen nicht unproportional sein. Zumindest bei Eignung und Erforderlichkeit hat der Staat aber einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum.

Muss der Staat bei einer Sozialisierung die bisherigen Eigentümer entschädigen?

Ja. Wie bei einer Enteignung ist auch eine Sozialisierung nur gegen Entschädigung möglich. Da es hier schnell um Milliardensummen gehen kann, wirkt auch die Entschädigungspflicht als Sozialisierungsbremse.

Muss zum Verkehrswert entschädigt werden?

Nein. Die Höhe der Enschädigung ist laut Grundgesetz „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ zu bestimmen. Dies muss nicht immer der Verkehrswert sein. Es kann zum Beispiel berücksichtigt werden, dass dem Eigentum alternativ auch einschränkende gesetzliche Regeln hätten auferlegt werden können. Jedenfalls sind die Hoffnungen auf zukünftigen Wertzuwachs und zukünftige Gewinne nicht zu entschädigen.

Ist das Eigentum das wichtigste Grundrecht im Kapitalismus?

Verfassungsrechtlich ist das deutsche Grundrecht auf Eigentum eines der schwächsten Grundrechte. Denn der Inhalt des Eigentums wird durch den Gesetzgeber definiert. Wenn der Gesetzgeber Regeln zum Gebrauch des Eigentums aufstellt, hat der Eigentümer dies grundsätzlich zu akzeptieren. Ein Beispiel ist der Kündigungsschutz im Mietrecht oder im Arbeitsrecht.

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