Energiewende in der Energiekrise: Wie die Ampel trotzdem Tempo macht
PantherMedia / Bernd Bölsdorf
SPD, Grüne und FDP haben im November viel zum Thema Klimaschutz in den Koalitionsvertrag geschrieben. Darunter ein Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen und den UN-Nachhaltigkeitszielen. Eine große Herausforderung, die die Politik der Ampel bestimmen sollte.
Doch dann kam alles anders: Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar stürzte die Welt in eine Krise. Seither bestimmen Inflation, steigende Energiekosten, sogar eine Hungerkrise die Politik weltweit. Fällt die Transformation in Richtung klimaneutrale Wirtschaft in Deutschland damit aus? Mitnichten, wie ein Blick auf verschiedene Baustellen der Energiewende zeigt. Die Vorzeichen haben sich allerdings geändert.
Windkraft: Ohne Bremse rund um die Uhr
Die Bundesrepublik will bis 2030 rund 80 Prozent des Stroms mit Erneuerbaren Energien produzieren. Und da der Energieverbrauch aufgrund von Elektromobilität und anderem steigt, wird für 2030 ein Bedarf von rund 750 Terawattstunden prognostiziert. Um das vor allem mit Windkraft und Solarenergie zu decken, wurden im Juli mehrere Gesetze verabschiedet: das Osterpaket.
Damit ist nun jedes Bundesland verpflichtet, zwei Prozent seiner Landesfläche für Windkraftanlagen zur Verfügung zu stellen. Neu ist an diesem Ziel, dass nun Regeln gekippt werden können, wenn der Ausbau von Landesregeln behindert wird, wie zum Beispiel der 10-H-Regel in Bayern oder der 1000-Meter-Abstand in Nordrhein-Westfalen. Außerdem dient der Ausbau der Erneuerbaren nun einem „übergeordneten öffentlichen Interesse“. Damit bekommt der Ausbau Vorfahrt vor anderen Belangen, was Tempo in die Energiewende bringen soll.
Und die Koalition legt auch ganz akut nach: Im beschleunigten Verfahren wird in diesen Tagen eine Änderung des Energiesicherheitsgesetzes auf den Weg gebracht, in dem noch weitere Maßnahmen gebündelt werden. So sollen Windkraftanlagen künftig rund um die Uhr unter Volllast laufen dürfen. Bisher wurden die Anlagen über Nacht runtergeregelt, um den Lärm der Rotorblätter zu reduzieren. Diese Bremse, so die energiepolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Nina Scheer, „ist in den Wintermonaten gar nicht zu überschätzen“. Schließlich zählen die Winter- und Herbstmonate in Deutschland stets zu den windstärksten Monaten. Bengt Bergt , ebenfalls Mitglied im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, spricht so auch von einem „Booster“, der ohne viel Aufwnd bereits zwei zusätzliche Terawattstunden bringe – was schon der Jahresleistung eines Atomkraftwerks entspreche.
Photovoltaik: Volle Kraft vom Dach
Im Koalitionsvertrag ist zum Thema Photovoltaik zunächst nicht zu finden, dass möglichst viele Hausdächer künftig mit Photovoltaik bestückt werden sollen. Bei neuen Gewerbegebäuden soll der Ausbau Pflicht werden, bei Privatgebäuden die Regel. Bis 2030 sollen so rund 200 Gigawatt Leistung installiert werden – zum Vergleich: Bis Ende 2020 waren es gerade einmal 50 Gigawatt.
Es gibt also viel zu tun. Wie auch bei der Windkraft sorgten bisher komplizierte Regeln dafür, dass der Ausbau für private Haushalte kompliziert, oft gar unrentabel war, erst recht bei größeren Anlagen. Das soll sich nun ändern. Auch die Ausweisung von Freiflächen und die Beteiligung von Bürger*innen an großen Solarkraftwerken soll künftig attraktiver und einfacher werden. All das ist im Osterpaket bereits enthalten.
Und wie bei der Windkraft soll auch der Deckel für die Photovoltaik wegfallen: Bisher werden die vielen Kleinanlagen, die Photovoltaik vom Dach einspeisen, bei 70 Prozent der Leistung abgeriegelt – ein Regel-Relikt vergangener Koalitionen, „made by CDU/CSU“, wie Timon Gremmels (SPD) am Donnerstag in der Bundestagsdebatte erwähnte. „Und das nächste Energiesicherheitsgesetz ist schon in der Pipeline“, fuhr der Sozialdemokrat unter Applaus fort.
Keine Absage an Kohleausstieg
In diesem Jahr wurden Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt, um Gas in der Stromerzeugung zu verdrängen. Das nährt zwar Befürchtungen, das der Ausstieg aus der Verstromung von Stein- und Braunkohle aufgeschoben werden könnte – konkrete Hinweise gibt es dafür aber nicht.
Denn zunächst soll die Kohle Versorgungslücken in diesem und im kommenden Jahr schließen – Einfluss auf den Kohleausstieg ab 2038 hat das nicht. Aufgrund der sich verschärfenden Klimakrise hatte die Ampel gar einen früheren Ausstieg ab 2030 in Aussicht gestellt, aber auch gegen dieses Datum wäre die aktuelle Energiekrise kein Argument. Im Gegenteil: Die Krise hat die problematische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern deutlich gemacht, nicht nur bei Gas. Timon Gremmels formulierte es deshalb am Donnerstag so: „Die Perspektive liegt bei den Erneuerbaren!“ Die Erneuerbaren Energien könnten jetzt ihre Chance nutzen, plädierte Gremmels für den Ausbau der nachhaltigen Energieerzeugung, und auch sein Fraktionskollege Bergt endete seine Rede optimistisch: „Jetzt geht's erst richtig los!“