Eingetragene Lebenspartnerschaft: Wie Rot-Grün das Land modernisierte
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„Wir haben damals eine Koalition gebildet, die etwas voranbringen wollte im Land“, sagt Gerhard Schröder im November 2018, als er zum 20. Jahrestag seiner Wahl zum Kanzler an die wichtigsten Reformen der ersten rot-grünen Bundesregierung erinnert. Als Beispiele nennt er neben einem modernen Zuwanderungsrecht und dem Atomausstieg die Eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle. „Wir wollten deutlich neue Zeichen setzen“, so Schröder.
Ja in der Bevölkerung – Nein in der Union
Ein solches Zeichen ist im Jahr 2000 die Eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare ohne Zweifel. Und sie ist nicht unumstritten. Auch wenn es in Umfragen seit Jahren eine breite Mehrheit in der Bevölkerung gibt, muss Rot-Grün gegen Widerstände kämpfen. Der erbittertste kommt von der katholischen Kirche und im Bundestag von CDU und CSU. Das zeigt die Plenardebatte am 10. November 2000 deutlich.
Als „verfassungswidrigen Angriff auf Ehe und Familie“ geißelt die Union den rot-grünen Gesetzentwurf. Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis argumentiert darüber hinaus, es gebe gar keinen Grund für das Gesetz denn „eine wirkliche rechtliche Diskriminierung“ homosexueller Paare „besteht nicht“. Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann, der ein paar Jahre später wegen seiner rechtsradikalen Ansichten aus der Fraktion und der Partei ausgeschlossen wird und heute für die AfD wieder im Bundestag sitzt, beruft sich in seiner Rede auf die Religion. Er behauptet, „dass in den Offenbarungsschriften aller drei großen monotheistischen Weltreligionen ein klares Unwerturteil über Homosexualität ausgesprochen wird“.
Margot von Renesse: „ein längst überfälliger Akt der Wiedergutmachung“
Rot-Grün verteidigt den Gesetzentwurf. Die Beziehung zwischen zwei Männern beziehungsweise zwei Frauen erfahre nun „endlich die Anerkennung und die rechtliche Stabilisierung, die sie schon seit langem verdient“, argumentiert die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse. „Es ist eine Frage der Menschenrechte und des Grundgesetzes.“ Ihre Fraktionskollegin Hanna Wolf stellt klar: „Worum es uns geht: um die Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften.“ Das Gesetz sei „ein längst überfälliger Akt der Wiedergutmachung an lesbischen und schwulen Menschen“. Zugleich stütze es die Familie: „Eltern werden darin gestärkt, die Homosexualität eines Kindes nicht als Unglück zu begreifen, sondern ihr Kind so anzunehmen, wie es ist. Es wird ihnen leichter fallen, es gegen Diskriminierung durch andere zu verteidigen.“
Der SPD-Abgeordnete Alfred Hartenbach warnt im Plenum vor einer aufgeheizten Stimmung und parteipolitischem Gezänk. Es gehe darum, „die bestehende Diskriminierung zu beenden und eine Regelung zu finden, damit Menschen mit gleichgeschlechtlicher Neigung endlich in der Mitte der Gesellschaft leben können und nicht mehr am Rand leben müssen“. Mit dem Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft werde ein „gesellschaftspolitisches Werk“ geschaffen, „dass dem Stand unserer Republik, dem Stand unseres Denkens, nämlich eines aufgeklärten Denkens, gerecht wird und dessen würdig ist“.
Herta Däubler-Gmelin: Staat muss Partnerschaften schützen
Die sozialdemokratische Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin trägt die Sicht der Bundesregierung vor. Sie betont, „dass gleichgeschlechtliche Sexualität eine biologische Gegebenheit ist und eben kein kriminelles Verhalten, eben nicht eine Geschmacksverirrung oder etwas Unsittliches“. Der grundgesetzliche Anspruch auf Würde müsse jedem zukommen, „gleich welche sexuelle Orientierung er oder sie hat“. Die Justizministerin macht ihre Position deutlich: „Ich halte es für eine besondere Notwendigkeit, sogar für eine Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, dauerhafte persönliche Beziehungen mit Rechten und Pflichten, in denen der eine für den anderen einsteht, zu fördern.“
Däubler-Gmelin appelliert am Ende ihrer Rede an die Kritiker*innen der Eingetragenen Partnerschaft: „Es wäre schön, wenn Schritte wie unsere nicht solche Verwerfungen auslösen würden“, wie man sie heute im Bundestag habe erleben müssen. „Es geht darum, Respekt vor der Würde von anderen und auch vor anderen Formen des Zusammenlebens nicht nur zu behaupten, sondern auch praktisch zu dokumentieren.“ Genau das geschehe mit dem Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft.
CDU und CSU scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht
Es wird am 10. November 2000 durch den Bundestag beschlossen, mit den Stimmen von SPD und Grünen, gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Das Gesetz tritt am 1. August 2001 in Kraft. Die unionsgeführten Länder Bayern, Sachsen und Thüringen klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. CDU und CSU erleben eine krachende Niederlage. Ihre jahrelange Behauptung, der im Grundgesetz gebotene Schutz von Ehe und Familie stehe der Lebenspartnerschaft entgegen, weil dieser Schutz ein „Abstandgebot“ zu anderen Rechtsinstituten bedeute, wird als schlicht falsch verworfen. Karlsruhe weist am 17. Juli 2002 die Klage der Union zurück – in allen Punkten.
Die Eingetragene Lebenspartnerschaft existiert bis zum September 2017, als mit der „Ehe für alle“ die traditionelle Ehe für Homosexuelle geöffnet wird und damit eine vollständige Gleichberechtigung zwischen homo- und heterosexuellen Paaren erreicht wird. Seit dem 1. Oktober 2017 können Lebenspartner ihre Partnerschaft in eine Ehe umwandeln. Die Begründung neuer Lebenspartnerschaft ist seitdem nicht mehr möglich.