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Wie das Ehegattensplitting ein überholtes Rollenbild zementiert

Das Ehegattensplitting fördert Paare, die möglichst ungleich hoch verdienen. Auch deshalb verharren Frauen in Minijobs, obwohl sie gut qualifiziert sind. Unternehmerin Jasmin Arbabian-Vogel fordert: das Ehegattensplitting abschaffen – sofort!
von Vera Rosigkeit · 17. August 2023

Wie hoch ist der Anteil von Frauen, die in ihren Unternehmen auf Minijob-Basis arbeiten?

Das wichtigste Unternehmen ist der große Pflegedienst mit aktuell 170 Mitarbeitenden. Davon sind ungefähr zehn Prozent Minijobber*innen.

Sind es alles Frauen?

Im kleinen Pflegedienst gibt es einen Minijobber, ansonsten sind es alles Frauen.

Als Unternehmerin möchten Sie, dass mehr Frauen aus einem Minijob mindestens in eine Teilzeitbeschäftigung wechseln, um so mehr Beschäftigte zu akquirieren. Haben Sie Erfolg?

Da gilt es zunächst zu unterscheiden: Es gibt ja auch Studierende, Schüler*innen und Jobberinnen, die bereits einen Hauptjob haben und etwas dazu verdienen wollen. Für sie sollte es Minijobs geben, die sind hier auch nicht gemeint, sondern die Frauen, die ausschließlich dieser atypischen Beschäftigung nachgehen. Bei ihnen rede ich mir den Mund fusselig.

Wo sehen diese Frauen Vorteile beim Minijob?

Der größte Vorteil aus ihrer Sicht ist, dass sie Geld sparen. Was eigentlich heißt, dass ihr Mann Geld in Form von Steuern spart, da sein Gehalt geringer besteuert wird. Der zweite Vorteil aus ihrer Perspektive ist, dass sie umsonst über ihren Mann krankenversichert sind. Der monetäre Aspekt spielt eine große Rolle, als weiterer Vorteil wird aber auch die zeitliche Flexibilität genannt, die ein Minijob mit sich bringt. Die ist oft notwendig, weil Frauen nach wie vor die Hauptlast in der Care-Arbeit für Kinder oder auch Eltern tragen. Hier wirkt nach wie vor das gesellschaftliche Rollenbild, aber eben auch der Umstand, dass der Staat es immer noch nicht geschafft hat, dass zumindest die Kinderbetreuung vernünftig funktioniert.

Wo liegen aus ihrer Sicht die Nachteile?

Das große Problem der Minijobs ist, dass sie ein sehr traditionelles Rollenbild zementieren. Frauen bleiben zu Hause, weil es gesellschaftlich von ihnen verlangt wird. Diese Beschäftigung fördert aber auch Ungleichheit, und zwar in Kombination mit dem Ehegattensplitting. Danach ist der Steuervorteil umso höher, je geringer der andere verdient. Anders gesagt: Den größten Vorteil beim Ehegattensplitting haben verheiratete Paare dann, wenn das ungleiche Einkommen sehr hoch ist. Weil aber die Einzahlungen in die sozialen Sicherungssysteme fehlen, kann das Ehegattensplitting zu Altersarmut führen, beispielsweise nach einer Scheidung. Dann werden zwar die Rentenpunkte halbiert, allerdings geht es dabei immer nur um die Punkte, die während der Ehe erworben wurden. Bei der durchschnittlichen Dauer einer Ehe von zehn Jahren reicht das oft nicht.

Was sollte abgeschafft werden – Minijobs oder das Ehegattensplitting?

Wir leiden unter Fachkräftemangel. Zu sehen, dass qualifizierte Frauen unterhalb ihres Niveaus und unterhalb der zeitlichen Kontingente, die sie zur Verfügung stellen könnten, im Minijob verweilen, ist aus meiner Sicht eine Verschwendung von Ressourcen. Viele Arbeitgebende denken so. Meine persönliche Meinung beim Ehegattensplitting lautet: sofort abschaffen. Schon deshalb, weil das Ehegattensplitting nicht Familien, sondern ausschließlich die Ein-Verdiener-Ehe fördert. Das Vorhandensein von Kindern spielt dabei keinerlei Rolle.

Innerhalb des Verbandes deutscher Unternehmerinnen haben wir den Konsens, dass wir für die Abschaffung des Faktorverfahrens der Steuerklassen III und V zugunsten des Faktorverfahrens der Steuerklassen IV und IV und eines Familiensplittings plädieren. Das heißt, die Lohnsteuervariante III und V abschaffen und IV und IV beibehalten. Mit Kindern sollte dazu noch ein Familiensplitting obendrauf kommen und ergänzend zu einer Steuererleichterung pro Kind führen. Im Übrigen nicht nur für Ehepaare. Der Trauschein sollte nicht ausschlaggebend sein, unser Familienbild ist fortschrittlicher.

Wie könnte eine gute Alternative aus ihrer Sicht aussehen?

Schweden hat das Ehegattensplitting bereits 1971 über Bord geworfen. Als weltoffene und liberale Gesellschaft zielen ihre familienpolitischen Maßnahmen auf eine Parität ab. Das unterscheidet das schwedische Modell vom deutschen und hat Folgen. Beispiel Elterngeld: Das deutsche Modell sieht grundsätzlich vor, dass ein Elternteil zu Hause bleibt und der andere noch zwei Monate dranhängen kann. Es verwundert meiner Meinung nach nicht, dass diese zwei zusätzlichen Monate in der Regel von Männern genommen werden. In Schweden ist das anders. Hier bekommen die Paare dann die meisten Zuschüsse, wenn sie die Elternmonate paritätisch aufteilen. Da müssen wir auch hin. Die paritätische Aufteilung der Sorgearbeit ist der sogenannte Gamechanger. Das würde unsere Gesellschaft verändern. Wir sollten mit Steuern mehr steuern.

Welches Beispiel schwebt ihnen da vor?

Mein Vorschlag lauet: Wenn wir wollen, dass mehr Menschen in Care- und Sorgearbeit gehen, also Berufe als Erziehende, Lehrende oder Pflegende ergreifen, könnten wir sie anders besteuern. Menschen, die in diesen Berufsgruppen tätig sind, leisten für unsere Gesellschaft einen anderen Beitrag als andere. Warum besteuern wir die Arbeit dieser Menschen überhaupt? Warum verschaffen wir ihnen nicht einen monetären Vorteil durch eine geringere oder gar keine Besteuerung? Der Staat könnte so seine Wertschätzung ausdrücken, ohne dass die Dienstleistung teurer würde, was bei einer Lohnerhöhung der Fall wäre.

Würde das Abschaffen der Lohnsteuervariante III und V zu mehr Frauenerwerbsarbeit führen?

Dazu gibt es bereits Studien. Sie zeigen, aus welchen Gründen Menschen zu Hause bleiben und ihren Beruf aufgeben. Der Effekt des Ehegattensplittings wirkt in der Gruppe der verheirateten Frauen, die ein Kind bekommen, am stärksten. Man sollte diese Konstellation nicht auch noch steuerlich unterstützen und fördern. Es kann nicht im Interesse des Staates sein, ein völlig überholtes Rollenbild und eine temporäre Ungleichheit zu fördern, die für Frauen vor allem in Abhängigkeit und Ungleichheit mündet.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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