Dirk Wiese im Wahlkampf: HardRock statt BlackRock im Sauerland
Für Dirk Wiese geht es steil bergauf. Anmerken lässt er sich das aber nicht. Mit großen Schritten eilt der Bundestagsabgeordnete die Straße „Im Kamp“ hinauf. Die Häuser ziehen sich am Hang entlang. Unten fließt die Valme an der weißen Margaretha-Kirche vorbei. Ein Schaubergwerk erinnert an die Zeit des Blei- und Zinkbergbaus. Wiese macht Haustür-Wahlkampf in Ramsbeck, einem Ortsteil von Bestwig im Hochsauerlandkreis.
„Das darf ja nicht wahr sein“, begrüßt ihn ein Mann als er die Tür öffnet. „Gestern bin ich noch an Ihrem Plakat vorbeigefahren und habe gedacht: Den Dirk Wiese, den wählst du.“ Und nun steht der Kandidat vor der Haustür. Wiese lächelt, überreicht dem Mann seinen Flyer und einen Bierdeckel auf dem „Wiese wählen“ steht und verabschiedet sich. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg“, ruft der Mann zum Abschied.
„Einmal Sauerländer, immer Sauerländer“
„Unsere Plakate hängen seit Anfang August“, erzählt Dirk Wiese später. „Wir wollten auf jeden Fall präsent sein, wenn die Leute die Briefwahlunterlagen beantragen können.“ Wenn man durch seinen Wahlkreis fährt, fallen die Plakate sofort ins Auge. Andere Parteien haben noch kaum etwas aufgehängt. „Bei uns hat das sehr gut funktioniert und alle habe mitgezogen“, freut sich Wiese.
An diesem Vormittag wird der 38-Jährige von Üwen Ergün begleitet. Er ist in Ramsbeck aufgewachsen, zum Studium nach Köln gegangen und wieder zurückgekehrt. „Einmal Sauerländer, immer Sauerländer“, sagt er und grinst. Ergün weiß, wo es sich lohnt zu klingeln. Seit der Kommunalwahl sitzt er für die SPD im Gemeinderat von Bestwig. Es ist eine der zwölf Städte in Wieses Wahlkreis. Dazu kommen 152 Dörfer. Es ist der größte Bundestagswahlkreis in Nordrhein-Westfalen.
Lieber HardRock als BlackRock
Bundesweit bekannt wurde er im Frühjahr als der bei der Wahl für den CDU-Vorsitz unterlegene Friedrich Merz bekanntgab, hier für den Bundestag kandidieren zu wollen – obwohl es bereits einen CDU-Abgeordneten gab, der auch weitermachen wollte. Am Ende setzte sich Merz durch. „Die Kampfkandidatur innerhalb der CDU vor Ort kam schon überraschend“, erzählt Dirk Wiese. Nach Merz‘ Nominierung postete er ein Foto von sich bei einem Iron-Maiden-Konzert und schrieb dazu „Lieber HardRock als BlackRock“. Eine klare Anspielung auf Merz‘ Tätigkeit für das US-Investmentunternehmen.
Zu Friedrich Merz pflegt Wiese einen professionellen Kontakt „Im Sauerland sagt man: Du kannst unterschiedlicher politischer Meinung sein, aber am Ende des Tages muss man immer noch ein Bier gemeinsam an der Theke trinken können.“ Die ein oder andere Wahlkampfaktion seines Konkurrenten findet Wiese allerdings schon überraschend „Bei einer Radtour vor einigen Tagen hatte er manchmal nur zehn Minuten auf den Dörfern für Gespräche eingeplant“, berichtet Wiese. „Das ist nicht mein Verständnis von einer bürgernahen Politik.“. Trotzdem sei Merz der klare Favorit auf das Direkt-Mandat. Wiese zeigt sich dennoch kämpferisch: „Wir können nur gewinnen.“
Strombedarf von 37.000 Haushalten
Diese Einstellung hat Dirk Wiese auch am frühen Morgen ausgestrahlt. Um Viertel vor acht hat er sich mit Thomas Kutschaty, dem Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen SPD, getroffen, um einen der großen Arbeitgeber in der Region zu besuchen. „Wir machen Heavy Metal“ steht am Anfang der Präsentation, die Andreas Güll den beiden zeigt. Güll ist Geschäftsführer der Firma M. Busch, einem Gießereiunternehmen mit zwei Standorten im Hochsauerlandkreis und mehr als 500 Mitarbeiter*innen. Hergestellt werden u.a. Bremstrommeln für LKW. M. Busch ist Zulieferer für Unternehmen wie Volvo und Scania.
„Bei uns geht mittlerweile die Existenzangst um“, sagt Andreas Güll. Der Grund ist das Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral werden zu lassen. Für die Gießerei, die ihre Öfen bisher vor allem mit Kohle beheizt, sei der Umstieg „eine Herkulesaufgabe“. 150 Gigawattstunden Strom benötige das Unternehmen pro Jahr, berichtet Güll – so viel wie 37.000 Haushalte. Technisch könne der Betrieb komplett auf Strom aus Erneuerbaren Energien umgestellt werden. „Aber den Strom gibt es gar nicht.“
Dabei habe er den Plan für den Umstieg auf Elektro-Öfen bereits in der Schublade. 28 Monate würde das dauern und 39 Millionen Euro kosten. „Unser Ziel ist, dass dieser Industriestandort eine Zukunft hat“, betont Dirk Wiese. „Ohne Investitionsunterstützung wird das nicht gehen.“ Die SPD in Nordrhein-Westfalen will deshalb einen Stabilitätsfonds für Klimaschutz und Beschäftigung in Höhe von 30 Milliarden Euro auflegen. Damit soll Unternehmen der Umstieg auf eine klimafreundliche Produktion erleichtert werden. „Wir wollen NRW als Industrieregion erhalten“, betont Thomas Kutschaty. „Das ist eine verdammt große Herausforderung für Unternehmen wie für die Politik.“
Mit Regenbögen für LGBTIQ-Rechte
„Wenn Deutschland es nicht schafft, klimaneutral zu wirtschaften, wer dann?“, fragt Dirk Wiese ein paar Stunden später in Meschede. Im „Café Pan“ sitzt er mit einigen Schülerinnen zusammen, die Ostern für Aufsehen sorgten: Mit Kreide hatten sie vor einige Kirchen Regenbögen gemalt, um für LGBTIQ-Rechte zu demonstrieren. Im katholisch geprägten Sauerland immer noch keine Selbstverständlichkeit. Einige der Zeichnungen wurden von Kirchenvertreter*innen entfernt. Die Zeitungen berichteten, die Mädchen engagieren sich weiter. „Das war eine klasse Aktion“, lobt Dirk Wiese. „Ich finde es toll, dass ihr euch für Vielfalt stark macht.“
Im „Café Pan“, das die katholische Kirche als „Ermöglichungsraum“ betreibt, löchern in die 17- und 18-jährigen Schülerinnen mit Fragen. Es geht um bessere Bus- und Bahnverbindungen, die Möglichkeit, sich über Abtreibungen zu informieren und natürlich den Klimaschutz. „Alle Wissenschaftler sagen, dass wir bis 2030 klimaneutral werden müssen, wenn wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen wollen. Warum brauchen wir so lange?“, will eine wissen.
Akzeptanz für den Klimaschutz schaffen
„Das Klimaschutzpaket wird enorme Auswirkungen haben“, sagt Dirk Wiese und berichtet von seinem Besuch in der Gießerei am Morgen. Während es den Schülerinnen nicht schnell genug gehen kann, fürchten die anderen überstürzte Entscheidungen. Zwischen diesen beiden Polen steht die Politik. „Das Wichtigste ist, von fossilen Energieträgern wegzukommen“, betont Wiese. Dafür müsse auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für Klimaschutzmaßnahmen deutlich zunehmen, und das schnell. „Die Entscheidung, wie wir deutlich mehr Energie aus Windkraft gewinnen, steht in den nächsten zwölf bis 18 Monaten an.“
Bei den jungen Frauen kommt das an, auch wenn eine Rest-Skepsis bleibt. „Dieselben Diskussionen wie hier führen wir übrigens auch in der SPD-Bundestagsfraktion“, verrät Wiese, deren stellvertretender Vorsitzender er ist. Auch hier gelte es stets, Interessen und Anforderungen gegeneinander abzuwägen. Zum Ende der Diskussion wird es dann nochmal regional. „Wir brauchen mehr Konzerte und Festival im Sauerland“, sagt Dirk Wiese. Ginge es nach ihm, darf es also künftig noch etwas mehr Hard Rock sein.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.