Debatte

Wie direkte Demokratie trotz Populisten funktionieren kann

Populisten versuchen, Volksentscheide für irrationale Stimmungsmache auszunutzen. Trotzdem kann mehr direkte Demokratie funktionieren – wenn sie ernst gemeint ist und bestimmte Voraussetzungen erfüllt.
von Claus Leggewie · 13. Februar 2017
Bürgerbeteiligung
Bürgerbeteiligung

Populisten aller Couleur stehen der liberalen, gewaltenteiligen Demokratie skeptisch gegenüber und fordern häufig, deren Repräsentationsmängel durch plebiszitäre Initiativen zu beheben. Plebiszite waren in der römischen „res publica“ Beschlüsse des nicht-adeligen Volkes, die ein Volkstribun veranlasste. „Das Volk“ soll demnach heute direkt entscheiden, politische Beschlüsse nicht an (in diesen Kreisen verpönte) Berufspolitiker in Berlin und Brüssel (oder Washington) abtreten.

Kampfansage gegen Berufspolitiker

Keiner hat diese Kampfansage so drastisch formuliert wie der angebliche Volkstribun Donald Trump in seiner Antrittsrede am 20. Januar 2017, die zum veritablen Volksaufstand gegen das Hauptstadt-Establishment aufrief. Solch eine dubiose Adresse ans Volk stimmt misstrauisch gegen direktdemokratische Instrumente wie Volksentscheide und Volksbegehren, doch haben diese natürlich ihren Platz in einer repräsentativen Demokratie und können zur Problemlösung vor allem auf lokaler Ebene beitragen.

Vorausgesetzt ist allerdings, dass die Inhalte, über die abgestimmt werden soll, konkret genug sind und die Bürgerschaft nicht allein aus einem Bauchgefühl heraus entscheidet, nach der Art spontaner „Likes“ und „Gefällt mir nicht!“ in Sozialen Medien. Die aufgeworfenen Alternativen müssen gründlich studiert und gut durchdacht werden. Fehlt dieser Vorlauf, sind Volksentscheide, die Populisten regelmäßig im Programmen haben und an der Regierung einsetzen, Einfallstore irrationaler Stimmungsmache. Sie ermächtigen politische Unternehmer wie den Schweizer SVP-Chef Christoph Blocher, die Ressentiments pflegen und nicht an die abwägende Vernunft gut informierter Bürgerinnen und Bürger appellieren. Populisten wie der ungarische Premier Victor Orbán nutzen die Volksentscheide für eine plebiszitäre Akklamation ihrer selbst, wie sich bei dem im Oktober 2016 ohne Sinn und Verstand durchgezogenen „Flüchtlingsreferendum“ in Ungarn gezeigt hat.

Transparenz: Alles muss auf den Tisch

Werden die zur Wahl stehenden Alternativen sachlich und gründlich erörtert, dann wird die Bürgerschaft eines Gemeinwesens nicht auf einen passiven Status als gelegentliche Wähler und lästige Petenten zurückverwiesen, in einer Demokratie hat vor dem Souverän niemand Angst. Und eindeutig besteht ein Partizipationsstau – Beteiligungswünsche zerschellen an der vermeintlichen Alternativlosigkeit von Berufspolitik, werden frustriert durch Expertengremien oder enttäuscht durch Pseudo-Beteiligung. Mit Schnellschüssen – hier mal ein Bürgerforum, da eine hastige Meinungsumfrage, dort eine substanzlose Zukunftswerkstatt – ist es nicht getan. Schon gar nicht, wenn es sich um einmaliges Dampfablassen oder für das Fernsehen eingerichtete Schauveranstaltungen handelt, die ein erfahrener Praktiker zu Recht als „Particitainment“ (Klaus Selle) gebrandmarkt hat.

Zum Glück gibt es unterdessen eine große Zahl seit Jahren erprobter Formate, die Beteiligung ernsthaft veranstalten. Bei ihnen ist dafür gesorgt, dass erstens genau begrenzte Entscheidungsgegenstände, Zeithorizonte und Beratungsformate vorliegen und zweitens, dass die Erörterung und Beratung am Ende in das Entscheidungshandeln der Exekutive und Legislative eingehen. Auch wenn sie fakultativ bleiben und Bürger- oder Zukunftsräte kein imperatives Mandat beanspruchen können, müssen Ergebnisse einer Bürgerkonsultation berücksichtigt, im Zweifel gut begründet zurückgewiesen und modifiziert werden. Transparenz und Inklusion sind hier elementar: alles muss auf den Tisch, was entscheidungsrelevant ist, und alle müssen an den Tisch, die in erster Linie betroffen sind. Und es bedarf einer guten, professionellen Moderation.

Bürgerverstand gegen Beamtenverstand

Der oft geäußerte Nachteil ist, dass solche Reflexions- und Konsultationsschleifen Zeit in Anspruch nehmen. Doch der kaum zu überschätzende Vorteil ist, dass es der Bürgerverstand oftmals mit dem Beamtenverstand aufnehmen kann, Innovationen einleitet und das Ergebnis am Ende besser wird – und Bürgerbeteiligung eventuell Kosten spart, die eine aufgestaute Opposition in Gestalt von Platzbesetzungen und Gerichtsentscheiden verursacht. Sind solche Formate eingespielt, sollten sie in Städten, Stadtteilen und Gemeinden institutionalisiert werden.

Ein „Zukunftsrat“, der mittel- und langfristige Entscheidungen vorbereitet, die künftige Generationen betreffen, verlangt ein Abrücken von der im politischen Alltag üblichen Gegenwartsfixierung auf manifeste Bedürfnisse und von den Mitwirkenden ein hohes Maß an sozialer Fantasie und nachhaltigem Engagement. Es fragt sich natürlich, wie man so viele Aktivbürger gewinnen will, die sich für ihre Gemeinwesen engagieren, ohne eine unmittelbare Gratifikation, Unliebsames verhindert zu haben oder Lieblingsprojekte verwirklichen zu können – was Hauptmotivationen für Partizipation sind.

Aktivbürger werden sicherlich eine rare Spezies bleiben, aber ihr Rekrutierungsfeld würde sich erheblich erweitern, würden Bürgerbeteiligung auf der einen, Engagement für soziale Schwache und Bedürftige auf der anderen Seite nicht so weit auseinanderklaffen. Die Konkretisierung der Beteiligungsanliegen und die Politisierung des Ehrenamts erlauben die Konvergenz der bisher getrennten Sphären bürgerlichen Gemeinsinns und stärken die Demokratie von unten.

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Autor*in
Claus Leggewie

ist Professor für Politikwissenschaft. Seit 2007 ist er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI).

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