Digitales Auftakttreffen: SPD-Mitgliederbeirat diskutiert mit der Parteispitze
Als Lena Rzaczek den Anruf aus dem Willy-Brandt-Haus bekam, dachte sie zuerst, es gehe um eine Verlosung. Ganz falsch war der Gedanken auch nicht, doch die Mitarbeiterin des Parteivorstands wollte die 19-Jährige nicht von einem Gewinnspiel überzeugen. Sie wollte ihr mitteilen, dass sie bereits gezogen worden war. Ein Zufallsgenerator hatte Lena Rzaczek aus den rund 420.000 SPD-Mitgliedern für den 20-köpfigen Mitgliederbeirat ermittelt. Der Bundesparteitag im Dezember hatte beschlossen, diesen als beratendes Gremium für den Pateivorstand einzurichten, zunächst für eine Testphase von zwei Jahren. Nach einem Jahr sollen die Mitglieder ausgetauscht werden.
„Wir haben eineinhalb Stunden sehr effektiv gearbeitet.“
„Wir wollen reinhorchen in unsere Partei und Feedback von der Basis bekommen“, erklärt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil den Gedanken. „Ich hoffe sehr, die Genossinnen und Genossen werden uns unverblümt ihre Meinung sagen.“ Beim Auftaktreffen per Videokonferenz am 19. Juni sei das so gewesen, berichtet Burak Canboy. Neben 16 der 20 Beiratsmitglieder seien auch Lars Klingbeil und die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dabei gewesen. „Sie waren sehr interessiert und wollten genau wissen, was uns bewegt“, erzählt Canboy. „Wir haben eineinhalb Stunden sehr effektiv gearbeitet.“
Für den 44-jährigen Unternehmer ist die Mitarbeit im Mitgliederbeirat eine willkommene Gelegenheit, sich wieder stärker in der SPD zu engagieren. Zwar feiert Canboy in diesem Jahr bereits sein 25-jähriges Parteijubiläum, doch nachdem er viele Jahre im niedersächsischen Delmenhorst aktiv gewesen ist, lebt er mit seiner Familie inzwischen schon eine ganze Weile im Ausland. „Da bekommt man oft das Gefühl, nicht wirklich eingebunden zu sein“, erzählt er.
Dass sich der Mitgliederbeirat hauptsächlich per Videokonferenzen treffen soll, kommt Canboy sehr entgegen. Auch er glaubte zunächst an Werbung als er die E-Mail-Einladung des Parteivorstands erhielt. Nach einer kurzen Internetrecherche sagte Canboy zu. „Jetzt bin ich mit einem Mal Parteifunktionär“, sagt er mit einem Lachen in der Stimme und ergänzt ernst: „Das bedeutet auch eine große Verantwortung.“
„Das ist eine sehr gute Chance, seine Meinung zu sagen.“
Schließlich soll der Mitgliederbeirat nicht nur „drängende Themen unserer Zeit aus der Perspektive der Mitgliedschaft“ in den Parteivorstand tragen, wie es im Parteitagsbeschluss aus dem vergangenen Jahr heißt. Die wohl wichtigste Aufgabe in diesem und im kommenden Jahr wird die Mitarbeit am Programm für die Bundestagswahl sein.
Dafür hat Lena Rzaczek schon konkrete Vorschläge. „Ich wünsche mir, dass die SPD das Thema Pflege stärker aufgreift“, sagt die 19-Jährige, deren Mutter als Krankenschwester arbeitet. „Das ist eine harte Arbeit, die mehr Anerkennung verdient. Gleichzeitig hat es jeder verdient, gut gepflegt zu werden“, findet Rzaczek. Auch junge Menschen und ihre Probleme sollte die SPD stärker ansprechen. „Wir brauchen mehr gut ausgebildete Lehrer, die den Stoff anschaulich vermitteln können“, meint Rzaczek, die gerade in Hessen ihr Abitur gemacht hat und ab Herbst Grundschul-Lehramt studieren möchte.
Auch wenn sie beim Auftakttreffen nicht dabei sein konnte, freut sich Lena Rzaczek auf die Mitarbeit im Mitgliederbeirat. „Das ist eine sehr gute Chance, seine Meinung zu sagen.“ Und genau darum soll es ja gehen. „Die Impulse aus ´dem Mitgliederbeirat werden uns enorm bereichern“, ist Generalsekretär Klingbeil überzeugt. Er wird als Bindeglied zum Parteivorstand an den Sitzungen des Mitgliederbeirats teilnehmen. „Das wird für uns alle eine neue Erfahrung, von der ich mir für unsere Partei viel verspreche.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.