Warum digitale Gewalt gegen Frauen uns alle angeht
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Frauenfeindliche Kommentare, sexuelle Belästigungen, Herabwürdigungen bis hin zu Drohungen. Digitale Gewalt hat viele Gesichter. Sie nimmt zu und in den allermeisten Fällen sind es Frauen, die betroffen sind. Für Bundesfamilien- und Frauenministerin Franziska Giffey ist klar, dass Frauen im Netz sicher unterwegs sein müssen. Die digitale Welt dürfe kein Ort sein, aus dem sich Frauen aus Angst vor Angriffen zurückziehen, sagt sie zum „Aktionstag gegen digitale Gewalt“ beim BASECAMP ON AIR „Im Netz nicht sicher? Gemeinsam sind wir #StärkerAlsGewalt“.
Digitale-Gewalt nimmt zu
Obwohl es sich bei dieser Form von Gewalt um ein recht neues Phänomen handelt, zeigt sich während der halbdigitalen Diskussion schnell, dass sie gerade für jüngere Frauen bereits zur Normalität geworden ist. Influencerin und Model Cheyenne Ochsenknecht weiß aus eigener Erfahrung zu berichten, wie es sich anfühlt, als Person des öffentlichen Lebens regelmäßig von digitaler Gewalt bedroht zu werden. Die Online-Gewalt hätte sie sprachlos gemacht, sagt sie. Die Bedrohungen gingen so weit, dass sie Angst habe, das Haus zu verlassen, weil sie sich auch im realen Leben verfolgt fühlt.
Die Erfahrung, dass sich digitale und analoge Gewalt immer mehr vermischen, macht auch Katja Grieger in ihrer Tätigkeit beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. „Geschlechtsspezifische Gewalt digitalisiert sich“, sagt sie. Für Frauen werde es beispielsweise in einer gewaltbelasteten Partnerschaft immer dann gefährlich, wenn sie sich trennen wollten. Immer häufiger käme es in solchen Fällen zu Drohungen mit digitalen Mitteln, wie intime Fotos aus der Vergangenheit ins Netz zu stellen.
70 Prozent junger Frauen betroffen
Wie bei der analogen gehe es auch bei der digitalen Gewalt häufig darum, „Frauen zu kontrollieren und sie an ihren Platz zu verweisen“, ist Grieger überzeugt. Kein deutsches Problem, wie sich zeigt, sondern ein internationales. Anna-Lena von Hodenberg, Expertin für digitale Gewalt im Netz und Gründerin der Beratungsstelle HateAid, verweist auf eine Umfrage des Kinderhilfswerks Plan International von Anfang Oktober dieses Jahres. Danach erlebten weltweit 58 Prozent der Mädchen und jungen Frauen im Netz Bedrohungen und Beleidigungen, in Deutschland seien es sogar 70 Prozent. Die Folgen dieser Gewalt seien enorm: Die Betroffenen nutzen die sozialen Medien weniger, schreiben keine Posts mehr und meldeten sich sogar ganz ab.
Oft sei es schwierig zu unterscheiden, ob ein Kommentar jetzt nur dumm ist oder bereits Gewalt äußernd, erklärt Giffey. Wichtig sei aber in jedem Fall, für dieses Thema zu sensibilisieren und Anlauf- und Beratungsstellen fitter zu machen. Deshalb habe ihr Ministerium im vergangenen Jahr die Initiative #Stärker-als-Gewalt gestartet. Sie möchte erreichen, dass Frauen den Mut haben, sich gegen Gewalt zu wehren, Menschen aus dem Umfeld Betroffener besser unterstützen können und die zahlreichen Hilfsangebote bekannter werden. Das gleichnamige Internetportal findet auch bei Moderatorin Diana zur Löwen großen Zuspruch, weil es viel Information und vor allem Unterstützung anbiete.
Ziel: Frauen zum Schweigen bringen
Giffey: „Wir müssen junge Frauen stärken, dass sie nicht schweigen. Dazu zählt auch eine konsequentere Strafverfolgung.“ Voraussetzung sei, dass Frauen mehr Fälle zur Anzeige bringen. Hodenberg stimmt zu. Je mehr Fälle in die Statistiken eingingen, um so mehr würden Polizei und Staatsanwaltschaft für dieses Thema sensibilisiert. Gleichwohl kritisiert sie, dass die Bringschuld viel zu sehr bei den Betroffenen liege. Das sollte sich ändern, sagt sie. Wichtig sei aber auch, Frauen im Netz sicherer zu machen. Sie empfiehlt: Profile auf privat schalten, die eigenen privaten Daten im Netz gut überprüfen und alte Daten löschen.
Wie wichtig es ist, sich mit Mädchen und Frauen zu solidarisieren, die Unterstützung brauchen, betont auch Grieger. „Verbale Solidarität ist ganz wichtig für die Betroffenen.“ Denn es gehe bei der Ausübung digitaler Gewalt darum, Menschen zum Schweigen zu bringen. Sie wollen isolieren und ohnmächtig machen, sagt Grieger. „Dann haben sie gewonnen.“
Frauen, die politisch aktiv sind und ihre Meinung äußern, ob Klimaschützerinnen oder Feministinnen, bekämen das besonders zu spüren, erklärt Hodenberg. Und die Art mit Frauen umzugehen, zeige sich immer gleich, indem sie in den meisten Fällen auf ihr Äußeres reduziert würden. Doch wir brauchen „diese Frauen, die ihre Stimme erheben“, mahnt sie. Und auch Franziska Giffey betont: „Viele Betroffene ziehen sich komplett zurück. Das ist auch eine Gefahr für unsere Demokratie. Deswegen setzen wir uns für eine andere Onlinewelt ein.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.