Debattenkonvent: Wie die SPD ihre Außenpolitik neu bestimmt
Dirk Bleicker; dirkbleicker.de
Die SPD diskutiert am Samstag auf ihrem Debattenkonvent in Berlin auch eine Neuausrichtung der sozialdemokratischen Außen- und Sicherheitspolitik. Konkret geht es dabei um „die internationale Ordnung nach der Zeitenwende“. Kaum ein Thema wird gegenwärtig in der Partei so engagiert und ernsthaft diskutiert. Denn der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat alte Gewissheiten und Grundsätze der SPD in der auswärtigen Politik zerstört.
Es war Bundeskanzler Olaf Scholz der unmittelbar nach dem russischen Angriff am 24. Februar die berühmte und mittlerweile in aller Munde befindliche „Zeitenwende“ verkündete. Damit leitete der Kanzler eine grundlegende Kurskorrektur der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seiner Regierung ein. Und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil skizzierte in seiner viel beachteten Grundsatzrede eine kritische Aufarbeitung und eine Neuausrichtung der sozialdemokratischen Außenpolitik. Auch die Bundeskanzler Willy Brandt-Stiftung diskutierte lebhaft über die Ost- und Russlandpolitik der SPD.
Lars Klingbeil: Fehler in der Russland-Politik „Fehler klar benennen“
Um sie geht es auch auf dem Debattenkonvent am Samstag in Berlin. SPD-Chef Lars Klingbeil stellt klar: So notwendig und richtig die aktuelle Debatte in der Sozialdemokratie sei, was in der Russland-Politik der vergangenen Jahre falsch gelaufen sei, so richtig sei ebenso, dass Willy Brandt, Egon Bahr und Helmut Schmidt mit der deutschen Ost- und Entspannungspolitik „viel richtig gemacht“ hätten. Die SPD werde nicht zulassen, „dass das Erbe Willy Brandts beschädigt“ werde.
Dennoch müsse die Partei die „schmerzhafte Debatte“ über ihre Russland-Politik führen und dabei ihre „Fehler klar benennen“. Das macht Klingbeil dann auch: So habe die SPD „viele Fehlentwicklungen in Russland nicht sehen wollen“. Spätestens seit der Krim-Annexion 2014 hätte man die Politik gegenüber Moskau korrigieren müssen. Stattdessen habe man die Beziehungen weiter auf „Wandel durch Handel“ reduziert, als sei politisch und militärisch nichts geschehen. Ebenso hätte Deutschland „viel stärker auf die osteuropäischen Partner hören“ sollen. Leider habe man ihre berechtigten Warnungen vor den wahren Zielen Moskaus „überhört“ .
Sicherheitspolitik nicht „ausschließlich militärisch definieren“
Der SPD-Chef betont, die Außen- und Sicherheitspolitik „ausschließlich militärisch zu definieren, wäre falsch“. Er bekräftigt seine Forderung nach einer deutschen „Führungsmacht“ in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Damit seien „keine Großmachtfantasien“ gemeint. Diese Rolle dürfe man auch „nicht reduzieren auf das Militärische“. Es gehe vielmehr darum, ein starker und verlässlicher Verbündeter zu sein. Als positives Beispiel für diese neue deutsche Führung nennt der SPD-Chef die Kiew-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz. Es sei ein „Zeichen von Führung“ gewesen, dass Scholz der Ukraine hier eine konkrete EU-Beitrittsperspektive zugesagt habe und dafür die Unterstützung aller EU-Partner erhalten habe.
Um eine Kanzler-Reise geht es auch im Panel mit Rolf Mützenich, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Seine Forderung nach mehr Diplomatie – gerade auch in der aktuellen Ukraine-Krise – belegt er mit der jüngsten China-Reise von Olaf Scholz. Es sei „ein großer Erfolg“ des Kanzlers, dass sich Peking so deutlich wie nie zuvor nicht nur gegen einen möglichen Atomwaffeneinsatz Russlands im Ukraine-Krieg ausgesprochen habe, sondern schon die Drohung damit klar zurückgewiesen habe. „Scholz hat die Chance genutzt“ für mehr Diplomatie, so Mützenich, und das habe sich gelohnt. Die öffentlichen Ratschläge dagegen, welche dem Kanzler vor seiner Reise erteilt worden seien – auch aus den Reihen der Koalition – seien „überhaupt nicht hilfreich“ gewesen.
Rolf Mützenich: Mehr Diplomatie wagen
Es sei „ein diplomatischer Fehler, dass diejenigen, die sich um Diplomatie zu kümmern haben, mehr über Waffen reden, als dass sie über Diplomatie reden“, betont der SPD-Fraktionschef, ohne hier Institutionen und Personen beim Namen zu nennen. Stattdessen sollten die Verantwortlichen in die Länder reisen, die im Ukraine-Konflikt „noch abseits stehen“, die aber dennoch „eine Rolle spielen könnten“.
Deshalb sei das diplomatische Bemühen des Kanzlers im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft genau richtig gewesen, auch bei autoritären Regimen Unterstützung für den Kurs des Westens gegen die russische Aggression zu suchen. Es sei aktuell „ein Riesenproblem“, wenn Diplomatie abgelehnt und durch „Rigorismus“ ersetzt werde, etwa in der Ukraine-Frage. Als Beispiel dafür führt der SPD-Fraktionschef den Umgang der EU mit der Mongolei ein. Die Mongolei, die auch von einer Schwesterpartei der SPD regiert werde, bemühe sich, ihre Demokratie vor den beiden großen autoritären Nachbarn Russland und China zu schützen. Deshalb habe das Land der Verurteilung Russlands in der UN wegen des Ukraine-Angriffs nicht zustimmen können. Die harsche Kritik der EU daran sei „eine Zumutung“ und ein eindeutiger „diplomatischer Fehler“.
Katarina Barley: Auf Europa kommt es an
Wie wichtig eine kluge und vorausschauende Diplomatie auch auf europäischer Ebene ist, zeigt der Vortrag von Katarina Barley, der Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, in der Europa-Debatte. Gerade weil die Erwartungen der Menschen in Krisenzeiten an Europa besonders groß seien – so wie in der Finanz- und Corona-Krise jetzt wieder in der Ukraine- und Energiekrise – sei es wichtig, die EU einem gründlichen „Checkup“ zu unterziehen. Barley fordert weniger Einstimmigkeit und mehr Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Dagegen gebe es aber viel diplomatischen Widerstand in den nationalen Hauptstädten.
Eine weitere große Herausforderung für die EU sieht Barley im Ziel der „sozial-ökologischen Transformation“. Angesichts der aktuellen Krisenlage gerieten hier viele bereits erreichte Fortschritte erneut „unter Druck“. Da müsse die Sozialdemokratie gegenhalten. Der Klimaschutz müsse „wie eine Wassermelone“ sein: außen grün und innen mit viel tiefem rot. „Das können nur wir“, die SPD, so Katarina Barley.
Aus Debatten werden Entscheidungen
Zeigen wird sich das am Sonntag. Denn dann soll aus den außen- und sicherheitspolitischen Debatten des Konvents ein Parteikonvent, ein Kleiner Parteitag der SPD, ein „Missionspapier“ entwickeln und verabschieden. Es soll Leitfragen für das kommende Jahr abstecken. Diese sollen in einer darauffolgenden Dialog-Phase in den Parteigliederungen und im Gespräch mit Bürger*innen vor Ort weiter diskutiert werden. Schließlich soll dann eine Verdichtung der Themen erfolgen, als Grundlage für einen Leitantrag auf dem SPD-Parteitag im Dezember 2023.