Corona in Uruguay: Auf Rekordinzidenz folgt der Impfturbo
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Auf der Achterbahnfahrt, die die Pandemie in vielerlei Hinsicht weltweit bedeutet, legte Uruguay noch einige Loopings drauf: Blieben hohe Infektionszahlen im letzten Jahr noch so lange aus, dass man sich im Juni 2020 schon Covid-frei erklären wollte, riss Uruguay im April 2021 mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 790 die Welthöchstmarke.
Welthöchstmarke bei Inzidenz
Zeitgleich mit Pandemiebeginn und nach 15 Jahren progressiver Regierung unter der Mitte-links-Koalition Frente Amplio hatte eine rechts-konservative Regierung unter dem Präsidenten Luís Lacalle Pou das Ruder übernommen. Gemäß neoliberaler Doktrin wollte man öffentliche Ausgaben und Marktinterventionen rasch reduzieren. Selbst nach dem Covid-Ausbruch blieb man diesem Kurs treu.
Zwar reagierte die Regierung auf den Pandemiebeginn zuerst mit einem Lockdown und der Einberufung eines wissenschaftlichen Beraterstabs. Nach wenigen Wochen und angesichts niedriger Infektionszahlen schlug man deren Empfehlungen jedoch in den Wind, zumal Geschäfts- stets vor Gesundheitsinteresse ging. Einkaufszentren, Restaurants und Sportstudios sind seither geöffnet und Maskenpflicht besteht nur für Innenräume. Während der öffentliche Dienst ins Homeoffice geschickt und Schulen zeitweise geschlossen wurden, galt dies nie für den privaten Sektor. Ohne Verbote und Schließungen setze man auf die „verantwortungsvolle Freiheit des Einzelnen“. Gewerkschafter*innen beispielsweise dürften so zwar eine volle Bar besuchen, liefen jedoch Gefahr, bei einer Kundgebung festgenommen zu werden, denn diese Art der Zusammenkünfte ist Covid-bedingt untersagt.
Die Quittung kam im April 2021 mit der weltweit höchsten Inzidenz. Dass bei einer Infektionsrate von 11 Prozent (zum Vergleich Deutschland: 4,5 Prozent) die Zahl der Todesfälle relativ gering blieb, ist nur den kontinuierlichen Investitionen der drei Vorgängerregierungen in das öffentliche Gesundheitssystem zu verdanken. Selbstgefällig hatte die Regierung Lacalle Pou sich zudem lange Zeit gar nicht um Impfstoff bemüht, wurde unter dem Infektionsdruck dann aber schnell mit China handelseinig – wie andernorts auch wurden Verträge und Konditionen nie veröffentlicht.
Niedrigere Inzidenz, aber auch weniger kostenlose Tests
In nur vier Monaten gelang es so, 56 Prozent der erwachsenen Bevölkerung vollständig zu impfen – wiederum Weltspitze, allerdings hat Uruguay mit 3,5 Millionen auch nur so viele Einwohner*innen wie die Stadt Berlin. Heute liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 111. Es ist unklar, wieviel des Rückgangs auf die Impfkampagne zurückgeht und wieviel auf den jüngsten Beschluss der Regierung, die Zahl der kostenlos angebotenen PCR-Tests zu halbieren – nach dem Motto: weniger Tests, weniger Zahlenwerk. Und da der Grenzverkehr zum Nachbarn Brasilien nie eingeschränkt wurde, dürfte die Delta-Variante – wenn auch offiziell nicht bestätigt – längst angekommen sein.
Wie in Zukunft neoliberaler Staatsabbau und Austerität mit einem post-Covid-Wiederaufbau zusammengehen sollen, bleibt so fraglich. Laut der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) ist Uruguay das Land in der Region, das am wenigsten in die Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie investiert.
Am 15. Juli erschienen im IPG-Journal.
leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Uruguay. Zuvor war sie u.a. Leiterin des Büros in Argentinien und Leiterin des Referats Lateinamerika und Karibik der Stiftung in Berlin.