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Corona in Sachsen: Wie Freiberg mit den illegalen Protesten umgeht

Jeden Montag protestieren im sächsischen Freiberg Hunderte gegen die Corona-Maßnahmen, obwohl es verboten ist. Nun formiert sich der Widerstand. Die Motive der Demonstrierenden müsse man trotzdem ernst nehmen, sagt SPD-Politiker Alexander Geißler.
von Kai Doering · 12. Dezember 2021
Gegendemo zu den Montagsspaziergängen in Freiberg: „Niemand von ihnen möchte, dass Menschen sterben.“
Gegendemo zu den Montagsspaziergängen in Freiberg: „Niemand von ihnen möchte, dass Menschen sterben.“

An diesem Montag werden sie wieder spaziergehen. Das war in den vergangenen Wochen auch schon so. Hunderte Gegner*innen der Corona-Politik zogen zum Wochenanfang durch die kleine Bergbau-Stadt Freiberg rund 40 Kilometer südwestlich von Dresden. „Ich vermute, dass viele Menschen dabei sind, die auch in Freiberg wohnen“, sagt Alexander Geißler. Er arbeitet an der Freiberger Universität und ist stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins. „Es regt mich sehr zum Nachdenken an, dass hier so viele Menschen mobilisiert werden können.“

Auch bekannte Rechtsextreme unter den Spaziergänger*innen

Abseits der großen Städte Dresden oder Chemnitz hat sich die 40.000-Einwohner-Stadt unweit der tschechischen Grenze zu einem Schwerpunkt-Ort der Proteste von Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen entwickelt. Auch bekannte Rechtsextremist*innen wurden schon beim „Spazierengehen“ in der Stadt gesichtet. In der vergangenen Woche hatte sich ein in der Szene bekannter Youtuber und antisemitischer Verschwörungsideologe angekündigt.

Obwohl in Sachsen die Inzidenz bis vor kurzem über der 1.000er-Marke lag und Versammlungen von mehr als zehn Menschen verboten sind, griff die Polizei in Freiberg lange nicht ein – „wohl auch, weil sie nicht genug Kräfte zur Verfügung hat“, wie Alexander Geißler vermutet. Erst in der vergangenen Woche kontrollierte sie strenger. Für diesen Montag kündigte die sächsische Polizei an, „Verstöße gegen die Festlegungen der Sächsischen Corona-Notfall-Verordnung und gegen das Versammlungsgesetz werden auch zukünftig nicht toleriert. Insbesondere Straftaten werden konsequent verfolgt.“

„Die Stimmung ist aufgeladen.“

Das findet Alexander Geißler richtig. „Die sogenannten Montagsspaziergänge sind Demonstrationen und ihrer jetzigen Durchführung ein klarer Rechtsbruch und schaden unserer Stadt nicht nur in der Außenwahrnehmung“, sagt er. Gleichzeigt warnt er aber davor, die Proteste in Freiberg generell zu verteufeln. „Viele laufen aus einer positiven Motivation mit“, ist der 31-Jährige überzeugt. „Sie glauben, dass ihre Freiheit tatsächlich in Gefahr ist durch einen übergriffigen Staat.“ Deshalb fruchteten auch Apelle an Solidarität mit Kranken und Pflegekräften nicht. Man redet aneinander vorbei. „Um es mal platt auszudrücken: Niemand von ihnen möchte, dass Menschen in Krankenhäusern sterben, weil die am Limit sind.“

Als Ursache für die Ablehnung der Corona-Maßnahmen sieht er ein generelles Misstrauen gegenüber dem Staat, das in Sachsen deutlich größer sei als anderswo. „Viele haben nie eine andere Form demokratischer Beteiligung kennengelernt als über den Protest“, sagt er. Nach den jüngsten Ereignissen um den Fackelzug vor dem Privathaus von Gesundheitsministerin Petra Köpping und den Mordplanungen auf Telegram an Ministerpräsident Michael Kretschmer falle es aber auch ihm immer schwerer, „zwischen Extremisten und angemessenen Protest zu differenzieren. Die Stimmung ist im Moment einfach zu aufgeladen.“

„Freiberg für alle“ ruft zum Widerstand auf

Geißler plädiert trotzdem dafür, sich mit den Demonstrierenden und ihren Motiven auseinanderzusetzen. „Man findet immer einen Anknüpfungspunkt und die Menschen honorieren es, wenn man sie ernst nimmt“, hat er festgestellt. Im Bundestagswahlkampf, in dem Alexander Geißler für die SPD im Wahlkreis Mittelsachsen antrat, hat er sich deshalb auch bewusst mit Menschen getroffen, die offen mit der AfD und Corona-Leugner*innen sympathisiert haben. „Sie wollten den Austausch und wir müssen den Dialog mit ihnen führen“, meint Geißler. Gerade die SPD könne hier eine wichtige Rolle spielen: „Wir können die Menschen über einen werteorientierten Austausch trotz allem erreichen“, ist Alexander Geißler überzeugt.

Gleichzeitig müsse der Staat aber klarmachen, wo die Grenzen liegen. Wenn Rechtsextreme versuchten, die Proteste zu instrumentalisieren, müssten ihnen klare Grenzen gesetzt werden. Auch deshalb hat Geißler den offenen Brief der Initiative „Freiberg für alle“ unterschrieben, den diese vor einigen Tagen veröffentlicht hat. „Wir akzeptieren nicht, dass das Image Freibergs in Mitleidenschaft gezogen wird“, heißt es darin und: „Lasst Freiberg nicht zum Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Coronaleugner werden!“

Der CDU-Bürgermeister gießt Öl ins Feuer

Die „Spaziergänger“ fordert „Freiberg für alle“ auf, „dieses weitere Befeuern der Pandemie zu unterlassen“. Würden die montäglichen Spaziergänge trotz anders lautender Regeln ungehindert weitergehen, spalte das die Gesellschaft weiter. „Diese Ungleichbehandlung erzeugt Frust, Unverständnis und stößt alle diejenigen vor den Kopf, die sich seit Monaten an die Einschränkungen halten“, heißt es in dem offenen Brief.

Am Wochenende goss unterdessen Freibergs Bürgermeister und CDU-Vorsitzender Holger Reuter weiter Öl ins Feuer, indem er in einem Interview der Politik ein „Kesseltreiben gegen Ungeimpfte“ vorwarf und die 2G-Regeln in Sachsen mit dem Völkermord an den Armeniern verglich. Für Alexander Geißler ist damit klar eine Grenze überschritten, zumal Reuter bereits in der Vergangenheit durch ähnliche Äußerungen und die Teilnahme an verbotenen Demonstrationen aufgefallen sei. „Eine Relativierung seiner Aussagen wird diesmal nicht genügen“, sagt Geißler. „Wissenschaftsleugnung sollte nicht das öffentliche Bild einer Universitätsstadt prägen.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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