Corona und Polen: Riesenchance für Duda bei Präsidentschaftswahl?
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Auch Deutschlands zweitgrößtes Nachbarland ist vom Corona-Virus weitgehend lahmgelegt. Nicht nur Schulen und Universitäten, auch alle Restaurants, Kaffees und Einkaufszentren sind geschlossen. Die Bürger des Landes sind aufgefordert, möglichst zuhause zu bleiben.
Aktualisierung vom 25.3.2020: Das Haus verlassen darf seit dem 25.3. nur noch, wer für „notwendige Dinge“ auf die Straße muss. Dazu gehört der Gang zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Arzt und, freundlicherweise, auch Spaziergänge und das Gassi-Führen von Hunden. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen nur bis zu einer bestimmten Obergrenze benutzt werden, die die Einhaltung eines Mindestabstands von einem Meter ermöglicht. Die Grenzen sind schon lange dicht: Wer hereinkommt – und das sind nur noch polnische Staatsbürger und Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung – muss 14 Tage in Quarantäne zuhause verbringen. Die massiven Restriktionen der Bewegungsfreiheit sollen zunächst bis zum 11. April gelten.
Mit 957 gemeldeten Infektionsfällen und lediglich 13 Corona-Toten (Stand 25.3.) liegt Polen mit seinen fast 40 Millionen Einwohnern weit hinter den Zahlen anderer europäischer Länder. Allerdings erklärt der Gesundheitsminister Łukasz Szumowski, dass davon auszugehen ist, dass auch in Polen die Zahl der Infizierten in den nächsten Wochen noch deutlich ansteigen werde. Die Behörden haben die Hoffnung, dass der Gipfel nächste Woche mit „einigen tausend“ Erkrankten erreicht werden könnte.
Soziale Disziplin statt Zwang
Das Ausmaß der Einschränkungen individueller bürgerlicher Freiheiten ist dabei deutlich geringer als in vielen westeuropäischen Ländern – es gibt keine Ausgangssperre und auch Versammlungen sind immer noch bis zu 50 Personen erlaubt. Der Staat setzt weniger auf Zwang als auf die soziale Disziplin der Bürger und das bisher mit Erfolg. Auch die Grenzen sind dicht: Wer hereinkommt – und das sind nur noch polnische Staatsbürger und Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung – muss 14 Tage in Quarantäne zuhause verbringen.
Polen hat konsequenter und schneller auf die Ausbreitung des Corona-Virus reagiert als viele andere Länder. Erst am 4. März wurde in Polen die erste Corona-Infektion gemeldet; schon am Tag vorher hatte der Sejm ein spezielles Gesetz zur Ermöglichung schneller Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung angenommen.
Bisher milde Prognose
Am 11. März verkündete Premierminister Mateusz Morawiecki die Schließung der Schulen und das Verbot von größeren Veranstaltungen. Zwei Tage später wurden dann – dem Vorbild Tschechiens folgend – die Grenzen geschlossen. Am vergangenen Freitag wurde schließlich der landesweite Seuchenalarm ausgerufen und die Schulschließung bis Ostern verlängert.
Diese konsequente Linie hat sich bisher bewährt: Mit 649 Infektionsfällen und lediglich sieben Corona-Toten (Stand 23.3.) liegt Polen mit seinen fast 40 Millionen Einwohnern weit hinter anderen europäischen Ländern. Dies wird so allerdings nicht bleiben. So erklärte der Gesundheitsminister Łukasz Szumowski, dass davon auszugehen ist, dass auch in Polen die Zahl der Infizierten in den nächsten Wochen noch deutlich ansteigen werde. Der Gesundheitsminister rechnet mit einem Anstieg auf mehrere tausend Infizierte bis Ende der Woche.
Gesundheitssystem ausgeblutet
Das stark vorbeugend ausgerichtete Handeln der polnischen Regierung dürfte nicht zuletzt ganz praktische Gründe haben: Polens Gesundheitssystem ist nach Jahrzehnten des Unterinvestments und der Abwanderung medizinischen Personals nach Westen ausgeblutet. Einem Belastungstest italienischen oder spanischen Ausmaßes könnte es nicht im Geringsten standhalten.
Allerdings wurden in allen Regionen Spezialkliniken ausgewiesen, die sich um die Corona-Fälle kümmern sollen und die entsprechend bevorzugt mit Ausrüstung und Material versorgt werden sollen. In diesen stehen, so der Gesundheitsminister, 10.000 Betten bereit, davon 1.000 mit Beatmungsgeräten (im bevölkerungsmäßig doppelt so großen Deutschland sind es mehr als 20.000). Presseberichte lassen Zweifel bezüglich Quantität und Qualität der Ausstattung dieser Spezialkrankenhäuser aufkommen. Wie in anderen Ländern mangelt es an Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten und Tests. Drei- bis viertausend Tests könnten landesweit am Tag durchgeführt werden, erklärt die Regierung.
Massive Investitionen geplant
Die Einschränkungen des Alltags haben natürlich Kosten, nicht zuletzt im wirtschaftlichen Bereich. Die Schätzungen reichen von einer „Wachstumsdelle“ bis zu einem Rückgang der Wirtschaft um 5,6 Prozent. Um die Folgen der Pandemie für Unternehmen und Arbeitnehmer zu begrenzen, packte auch die polnische Regierung schwerere Waffen aus. Am 18. März verkündete der Premier ein „Corona-Schutzschild“ für die Wirtschaft in Höhe von 212 Mrd. polnischer Zlotys (ca. 50 Mrd. Euro). Das entspräche, sollte es umgesetzt werden, der Hälfte des Staatshaushaltes und ca. 10 Prozent des Bruttosozialprodukts.
Ziel ist es, die Gehaltsverluste von Arbeitnehmern zu reduzieren, Unternehmen am Leben zu erhalten und die Wirtschaft mit einem Investitionsprogramm nach dem Abflauen der Epidemie wieder möglichst rasch in die Gänge zu bringen. Polen könnte sich eine solche massive Staatsintervention durchaus leisten: Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren aufgrund des hohen, weit über dem EU-Durchschnitt liegenden Wachstums auf 47 Prozent des BIP zurückgegangen, deutlich unter der Verschuldungsquote großer westeuropäischer Länder wie Frankreich oder Italien. Und das Rating des Landes an den internationalen Finanzmärkten ist sehr solide.
Wahlen am 10. Mai
In der Krise schlägt die Stunde der Exekutive – und die polnische Regierung hat das bisher in den Augen der Bevölkerung relativ gut gemacht. 71 Prozent bewerten das bisherige Vorgehen positiv und lediglich 35 Prozent der Pol*innen fürchten sich vor einer Ansteckung. Die Popularitätswerte des Premierministers und des Gesundheitsministers – der selbst Kardiologe ist – steigen kontinuierlich.
Und auch die des Präsidenten Andrzej Duda, der trotz „Social distancing“-Geboten von Termin zu Termin eilt. Der Grund dafür ist ein doppelter: Zunächst kann man Duda durchaus abnehmen, dass er mit dieser öffentlichen Präsenz versucht, den Erwartungen der Bürger*innen an ein in der Stunde der Not aktives Staatsoberhaupt gerecht zu werden. Auf der anderen Seite stehen am 10. Mai die Präsidentschaftswahlen an. Und Duda hat durch die Corona-Krise eine Riesenchance erhalten, seine bis dahin glück- und planlose Kampagne neu zu starten und sich den Wählern als ruhelos kümmernder Landesvater zu zeigen.
Mitbewerber*innen: Wahlkampf ohne Auftritte
Er nutzt diese Chance mit Hilfe des staatlichen Fernsehens konsequent, während seine Mitbewerber*innen zu einem Wahlkampf ohne Auftritte gezwungen sind. Entsprechend hat eine Debatte darüber begonnen, ob die Wahlen nicht verschoben werden müssten, auch um ein Minimum an Chancengleichheit zwischen den Bewerber*innen zu sichern. Bisher will sich die Regierungspartei PiS darauf nicht einlassen – zu verlockend ist die Aussicht, mit Hilfe einer gut gemanagten Krise die Präsidentschaftswahlen sicher zu gewinnen. Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich zeigen: Die PiS gewinnt die Wahlen in der Regel mithilfe der Stimmen älterer Wähler. Und ob diese am 10. Mai in den Wahlkabinen ihr Leben riskieren werden, muss man erst mal sehen.