International

Corona und Korea: Was andere Länder vom Umgang mit der Krise lernen können

Südkoreas Strategie im Kampf gegen das Coronavirus gilt weltweit als vorbildlich. Das Land hat die Epidemie weitgehend in den Griff bekommen – vorerst zumindest. Was kann man von Südkorea lernen? Und wie geht es jetzt weiter?
von Henning Effner · 27. März 2020
placeholder

Südkorea gilt weltweit als erfolgreiches Beispiel dafür, wie man die Coronavirus-Epidemie massiv verlangsamen kann. Die Anzahl der Neuinfektionen ist stark gesunken und hat sich in den vergangenen Tagen bei etwa 100 eingependelt. Die aktiven Infektionen sind sogar rückläufig, da mehr genesene Patient*innen aus den Krankenhäusern entlassen werden als Neuinfektionen gemeldet werden. Die Erfolge im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus haben weltweites Interesse geweckt, zumal die Situation vor wenigen Wochen noch ganz anders aussah. Da lag Südkorea nach China auf Platz 2 der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder. Die Anzahl der Fälle war innerhalb kurzer Zeit auf mehr als 6.000 hochgeschnellt, nachdem es in einer christlichen Sekte in der Millionenstadt Daegu zu einer Masseninfektion gekommen war. Heute liegt Korea mit 9.241 Infektionen weltweit nur noch auf Platz 10 und es scheint, dass das Land die Epidemie weitgehend in den Griff bekommen hat – vorerst zumindest.

Südkoreas Erfolge sind noch aus zwei weiteren Gründen beachtenswert. Zum einen ist es Südkorea gelungen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, ohne auf besonders drastische Maßnahmen wie die Abriegelung von Städten oder Ausgangssperren zurückzugreifen. Zum anderen muss sich die südkoreanische Regierung – anders als etwa die Volksrepublik China – bei der Krisenbewältigung an demokratische Standards und Verfahren halten. Das Argument, dass autoritäre Systeme wie China besser in der Lage seien, auf derartige Krisen zu reagieren, führt daher in die Irre. Südkorea beweist, dass auch Demokratien schnell, entschlossen und effektiv handeln können. Wie hat Südkorea das geschafft? Folgende Erfolgsfaktoren haben sich als entscheidend erwiesen:

Erfolgsfaktor 1:  Testen & Tracing

Schnelle, massenhafte Tests haben im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus eine Schlüsselrolle gespielt. Dadurch ist es gelungen, Infektionsherde zu identifizieren und einzudämmen. Südkorea hatte bereits in einem sehr frühen Stadium in großem Maßstab mit Virentests begonnen und als erstes Land sogenannte „drive-through-Teststationen“ eingeführt, in denen man sich testen lassen kann, ohne aus dem Auto auszusteigen. Die neueste Erfindung sind „walk-through-Teststationen“, etwa telefonzellengroße Kabinen, in denen Test durchgeführt werden können, ohne dass es zu einem direkten Kontakt zwischen Ärzt*in und Patient*in kommt.

In keinem Land werden pro Einwohner*in so viele Tests durchgeführt wie in Südkorea. Das Land verfügt über sehr hohe Diagnosekapazitäten, so dass nicht nur Erkrankte, sondern auch Verdachtsfälle und symptomfreie Personen getestet werden können. Außerdem wird an Orten, die besonders sensitiv sind, vorsorglich getestet, z.B. in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Eine ebenso wichtige Rolle spielt das sogenannte Tracing, also die Rekonstruktion der Kontakt- und Infektionsketten. Südkoreas Strategie zielt darauf ab, die Verbreitung des Virus möglichst schon im Keim zu ersticken. Dies ist nur durch eine akribische Aufarbeitung der einzelnen Infektionsfälle und eine intensive Nachverfolgung der Infektionsketten möglich.

Erfolgsfaktor 2: Schnelle Versorgung der Bevölkerung mit Informationen

Südkorea setzt bei der Eindämmung des Virus auf moderne IT, um die Bevölkerung möglichst schnell mit Informationen zu versorgen. Dabei kommt der Regierung die Technikaffinität der Koreaner und die moderne IT-Infrastruktur des Landes zugute. Über das Mobiltelefon werden Bürger*innen per SMS vor neuen Infektionsfällen in ihrer Umgebung gewarnt. Darüber hinaus wurden verschiedene Smartphone-Apps entwickelt, die darüber informieren, welche Orte zu welchem Zeitpunkt von infizierten Personen aufgesucht worden sind. Dadurch können die Menschen einschätzen, ob sie möglicherweise mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen sind und sich ggf. testen lassen.

Um diese Informationen bereit zu stellen, sammelt die Regierung in großem Umfang Daten, z.B. von Überwachungskameras, Mobiltelefonen und Kreditkartenzahlungen, und wertet diese aus, um damit detaillierte Bewegungsprofile von infizierten Personen zu erstellen. Die Daten werden zwar weitgehend anonymisiert, durch die Angabe der genauen Zeitangaben und Aufenthaltsorte lassen sich aber teilweise dennoch Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen. Beispielsweise lässt sich nachvollziehen, welchen Bus eine infizierte Person genommen hat und welches Restaurant sie zu welcher Tageszeit besucht hat. Kritiker*innen halten dieses Vorgehen aus Datenschutzgründen für bedenklich, in der Bevölkerung trifft es jedoch weitgehend auf Zustimmung. Um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren, sind die Koreaner*innen offensichtlich bereit, die damit verbundenen Eingriffe in den Datenschutz hinzunehmen.  

Erfolgsfaktor 3: Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Präventionsmaßnahmen

Eine starke Orientierung am Gemeinwohl und die aktive Mitarbeit der Bevölkerung bei Präventionsmaßnahmen sind ebenfalls wichtig. Die meisten Menschen treffen von sich aus Präventionsmaßnahmen, viele tragen im öffentlichen Raum Atemschutzmasken. In vielen Unternehmen und Behörden werden täglich Fiebermessungen der Mitarbeiter*innen vorgenommen, um erkrankte Personen zu identifizieren. Zudem stehen überall Desinfektionsmittel bereit, in Geschäften, Büros, Bussen und sogar in Fahrstühlen. Trotz alledem musste die Regierung Maßnahmen ergreifen, die das Alltagsleben der Koreaner*innen erheblich einschränken. Schulen und Universitäten sind nach wie vor geschlossen, größere Veranstaltungen verboten. Noch drastischere Zwangsmaßnahmen konnten bisher jedoch vermieden werden. Noch wurden in Südkorea keine Städte abgeriegelt oder generelle Ausgangssperren verhängt. Behörden, Geschäfte, Restaurants und Cafés sind weiterhin geöffnet.

Was können andere Länder von Südkorea lernen?

Die Erfolge, die Südkorea bei der Eindämmung des Coronavirus erzielt hat, haben weltweit Interesse geweckt. Frühzeitiges, entschlossenes Handeln, umfangreiche Tests, die Nachverfolgung der Infektionsketten, der Einsatz moderner IT verbunden mit einer starken Gemeinwohlorientierung der Bürger*innen haben sich als effektiv erwiesen. Die Übertragbarkeit des südkoreanischen Ansatzes auf andere Länder hat jedoch Grenzen. Große Testkapazitäten lassen sich nicht von heute auf morgen aufbauen. In Südkorea waren diese bereits vorhanden, weil man aus früheren Erfahrungen mit der Ausbreitung von Infektionskrankheiten (SARS im Jahr 2003 und MERS im Jahr 2015) gelernt hatte und dieses Mal besser vorbereitet war.

Auch das Problembewusstsein in der Bevölkerung und die Bereitschaft, sich an Präventionsmaßnahmen aktiv zu beteiligen, ist aufgrund dieser Erfahrungen stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Die starke Gemeinwohlorientierung ist zudem auch kulturell bedingt. Atemschutzmasken wurden in Südkorea wegen der hohen Feinstaubbelastung auch schon vor Ausbruch des Coronavirus von vielen Menschen getragen. Täglich werden Millionen von Masken für den heimischen Markt produziert, so dass das Land in weitaus geringerem Maße von Importen abhängig ist als andere Länder. Derartige Produktionskapazitäten lassen sich andernorts jedoch nicht kurzfristig aufbauen. Und auch die akribische Rekonstruktion der Infektionsketten wird in vielen Ländern nicht möglich sein. Zum einen ist dies mit einem sehr hohen Personalaufwand verbunden, zum anderen ist die Anzahl der infizierten Personen in manchen Ländern bereits so hoch, dass die einzelnen Infektionsketten nicht mehr nachvollzogen werden können. Schließlich dürften auch beim Sammeln und Auswerten von Daten in anderen Ländern weitaus größere datenschutzrechtliche Bedenken bestehen als in Südkorea.

Wie geht es weiter?

Auch in Südkorea ist keineswegs ausgemacht, dass der derzeitige Ansatz weiterhin erfolgreich sein wird. Immer wieder entstehen neue, kleinere Infektionsherde, die verdeutlichen, dass der Ausbruch noch nicht gestoppt ist. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob die hohe Disziplin der Koreaner*innen langfristig aufrechterhalten werden kann. Am vergangenen Sonntag, einem der ersten wärmeren Frühlingstage, waren Restaurants und Cafés in Seoul erstaunlich gut besucht. Die Regierung ist besorgt, dass es zu einer neuen Infektionswelle kommen könnte, falls die Menschen nachlässig werden. Sie hat daher ihre „Kampagne für soziale Distanz“ in den vergangenen Tagen verschärft. Religiösen Einrichtungen, Sportstudios, Computerspiel-Cafés, Abendschulen und Nachtclubs wurde empfohlen zu schließen. Der Weiterbetrieb ist nur gestattet, wenn sehr strenge Hygiene- und Vorsorgemaßnahmen getroffen werden.

Diese Entwicklungen verdeutlichen, wie schwierig ein schrittweiser Wiedereinstieg ins normale gesellschaftliche Leben sein wird. Wie können Einschränkungen gelockert werden, ohne einen neuen sprunghaften Anstieg von Infektionsfällen zu riskieren? Die größte Herausforderung besteht diesbezüglich in der geplanten Wiedereröffnung der Schulen, die derzeit für den 6.April vorgesehen ist. Der öffentliche Druck, die Schulen wieder zu öffnen, ist in den vergangenen Wochen stark gestiegen, da Eltern zunehmend ungeduldig werden. Die Regierung zögert jedoch noch. Sie befürchtet einen Wiederanstieg der Infektionen, da gerade Schulen als mögliche Infektionsherde gelten. Vorbereitungen für eine mögliche Wiederaufnahme des Schulbetriebes laufen allerdings bereits. Millionen von Atemschutzmasken sollen für die Schüler*innen bereitgestellt werden. Es wird nicht einfach sein, die richtige Balance zwischen fortbestehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und einer schrittweisen Rückkehr zur Normalität zu finden. Aber die Chancen stehen gut, dass Südkorea auch dies gelingen wird.

Autor*in
Henning Effner

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul, Süd-Korea.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare