Corona: „Die Jungen sind die Vergessenen und die Verlierer der Krise.“
Ute Grabowsky/photothek.net
Kontaktbeschränkungen, Schul- und Kita-Schließungen – die Coronakrise trifft auch junge Menschen besonders hart. Wie gehen sie damit um?
Die Probleme, die die Coronakrise für junge Menschen mit sich bringt, sind sehr unterschiedlich. Studierende etwa wissen nicht, wie sie ihr Leben finanzieren sollen, weil sie ihren Job neben dem Studium verloren haben. Dazu kommt die Unsicherheit, wie sie in den Arbeitsmarkt einsteigen sollen, wenn sie in diesem Jahr ihren Abschluss machen, sie wegen der wirtschaftlich schwierigen Situation aber niemand einstellen möchte. Und wenn sie bereits arbeiten, sind junge Menschen häufig die ersten, denen in der Krise gekündigt wird. Das alles schafft ein Gefühl der Unsicherheit. Hinzu kommt eine große psychische Belastung, weil die sozialen Räume wie Universitäten, Schulen oder Kitas geschlossen sind und so der Austausch mit Gleichaltrigen häufig fehlt. In Großbritannien wurde gerade in einer Studie ermittelt, dass die 18- bis 24-Jährigen am stärksten von Einsamkeit während der Coronakrise betroffen sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass das in Deutschland ähnlich ist. Von der Politik wird das bisher leider kaum wahrgenommen.
Sind die Jungen die Vergessenen der Coronakrise?
Die Jungen sind die Vergessenen und die Verlierer der Krise. Das liegt vor allem daran, dass häufig die junge Perspektive in der Politik fehlt. Den Bundestag kann nur wählen, wer mindestens 18 Jahre alt ist, was im Extremfall bedeutet, dass man erst 21 werden muss, um zum ersten Mal seine Stimme abzugeben. Jede dritte Wählerin und jeder dritte Wähler ist älter als 60 Jahre. Gleichzeitig sind auch auf Seiten der Politiker*innen nur wenige unter 30. Das heißt, wer wiedergewählt werden möchte, orientiert sich an den Interessen seiner Wählerschaft. Und die ist eher alt. Das macht sich jetzt in der Krise besonders bemerkbar.
In den vergangenen Wochen wurden von der Politik milliardenschwere Rettungspakete beschlossen. Sie bedeuten eine massive Verschuldung für die kommenden Jahre. Geld, das vor allem die heute Jungen werden zurückzahlen müssen. Macht Ihnen das Sorge?
Ja, denn das wird den Effekt noch deutlich verstärken, dass immer weniger Jüngere für die Kosten der Älteren aufkommen müssen. Bei der Rente können wir das ja bereits beobachten. Gleichzeitig spitzt sich die Klimakrise zu, besonders, wenn wir durch Corona in klimaschädliche Infrastruktur investieren wie bei der Rettung der Lufthansa und möglichen Hilfen für die Autoindustrie. Das heißt, dass auf die Jungen noch deutliche Klimaschulden zukommen werden. Die Coronakrise selbst wird wohl die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg verursachen. Statt den künftigen Generationen einen riesigen Berg Schulden zu hinterlassen, fände ich es sinnvoller, jetzt eine Vermögensabgabe zu erheben und das Geld etwa in Schulen und Kitas zu stecken.
In der kommenden Woche will die Bundesregierung ein Konjunkturpaket auf den Weg bringen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Worauf muss dabei aus Sicht der jungen Generation besonders geachtet werden?
Aus meiner Sicht ist bei diesem Konjunkturpaket entscheidend, dass wir die Klimakrise nicht noch zusätzlich befeuern. Investitionen sollten jetzt noch viel mehr in Erneuerbare Energien fließen. Es kann nicht darum gehen, den Verbrennungsmotor weiter zu fördern. Stattdessen müssen wir in Elektromobilität investieren und in die Schieneninfrastruktur. Viele junge Menschen – zumindest in den Städten – haben gar kein Auto mehr. Eine Kaufprämie, die gerade von der Autoindustrie gefordert wird, würde ihnen also gar nichts bringen. Viel sinnvoller wäre für sie eine Prämie für den Kauf eines Fahrrads oder vergünstigte Bahn-Cards. Wenn wir weiter unsere Klimaziele erreichen wollen, dürfen wir nicht da weitermachen, wo wir vor Corona gestanden haben.
Die SPD will einen Kinderbonus von mindestens 300 Euro je Kind einführen. Halten Sie das für sinnvoll?
Ja, sehr. Die Coronakrise zeigt ja, dass es auch eine Frage des Geldes ist, ob Kinder gut im Homeschooling lernen können. Nicht jeder hat einen internetfähigen Computer oder ein Tablet zuhause und ist damit von vielem ausgeschlossen. Da kann so ein Bonus schon helfen. Allerdings sollte man sich auch etwas für diejenigen einfallen lassen, die bereits in einer Ausbildung oder im Studium sind, damit sie auch eine Unterstützung erhalten – etwa mit einem zeitlich befristeten Grundeinkommen, das ja zurzeit diskutiert wird.
Viele sehen in der Coronakrise auch eine Art Neuanfang – wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich. Welche Lehren sollten aus Sicht der jungen Generation gezogen werden?
Eine ganz wichtige Erkenntnis der Coronakrise ist für mich, dass es essenziell ist, auf die Wissenschaft zu hören. Das würde ich mir auch in der Klimakrise wünschen. Auch die Solidarität, die wir in den vergangenen Wochen gelebt haben, indem jüngere für ältere Menschen eingekauft haben oder einfach zuhause geblieben sind, um die Risikogruppen nicht zu gefährden, würde ich gerne in die Zukunft mitnehmen. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie die Transparenz, mit der sie die Lockdown-Maßnahmen erklärt, beibehält und etwa auch bei Entscheidungen zum Klimaschutz anwendet. Dabei sollte das Parlament auch noch stärker einbezogen werden. Insgesamt hat die Coronakrise gezeigt: Wenn ein politischer Wille und auch ein gewisser Druck da sind, kann es sehr schnell gehen. Das macht mir durchaus Hoffnung auch für künftige Herausforderungen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.