Corona: Was eine Impfpflicht in Deutschland bedeuten würde
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Warum wird überhaupt über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert?
Einfache Antwort: Weil immer noch zu wenig Menschen in Deutschland gegen das Corona-Virus geimpft sind. Die Quote von derzeit 73,6 Prozent an vollständig Geimpften (Stand: 26. Januar) reicht nicht aus, um die Ausbreitung des Virus wirksam einzudämmen. Die seit vielen Tagen drastisch steigenden Inzidenzen zeigen das eindrucksvoll. Nach Ansicht des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, müssten etwa 90 Prozent der Deutschen immunisiert sein, damit sich die Lage entspannt. Andere Szenarien gehen von einer etwas geringeren Zahl aus. Die Bundesregierung setzt bisher bei der Impfung auf Freiwilligkeit und eine bessere Bewerbung der Angebote. Zuletzt wurden aber auch hier die Stimmen für eine Impfpflicht immer lauter.
Kann eine Impfpflicht die rollende vierte Welle brechen?
Nein, dafür ist es zu spät. Zwar gilt: Je mehr Menschen geimpft sind, desto schwerer ist es für das Virus, sich zu verbreiten. Doch dauert eine Immunisierung zu lange, um die vierte Welle zu brechen. Hier kommt es vor allem auf Kontaktbeschränkungen und die Einhaltung von Hygiene-Maßnahmen ein, um dem Virus die Nahrung zu entziehen.
Wer kann eine Impfpflicht in Deutschland einführen?
Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund, der Bundestag könnte eine Impfpflicht mit einfacher Mehrheit einführen. Das ergibt sich aus Artikel 74 des Grundgesetzes („Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“).
Aber verstieße eine Impfpflicht nicht gegen das Grundgesetz?
Nein, da sind sich Verfassungsrechtler*innen recht einig. Zwar garantiert Artikel 2 des Grundgesetzes das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, doch steht dort auch, dass in dieses Recht „auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“ kann. Artikel 13 des Grundgesetzes steht dem Gesetzgeber zudem zu, „zur Bekämpfung von Seuchengefahr“ Eingriffe vorzunehmen. In jedem Fall muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, das heißt der Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit muss stets ein legitimes Ziel – in diesem Fall das der Seuchenabwehr – verfolgen.
Gibt es bereits eine Impfpflicht gegen andere Krankheiten?
Ja, u.a. gegen die Masern. Seit dem 1. März 2020 gilt: Wer sein Kind in Kita oder Schule anmeldet, muss eine Masern-Impfung oder Immunität nachweisen. Ungeimpfte Kinder dürfen in der Kita nicht angenommen werden. Wer sein Kind ungeimpft in die Schule gibt, riskiert eine hohe Geldstrafe. Die Masern Impfpflicht gilt genauso für Erzieher*innen, Lehrer*innen und Tageseltern, die nach 1970 geboren wurden.
Wie ließe sich eine Impfpflicht gegen das Corona-Virus durchsetzen?
Das ist die große Frage, auf die es bisher noch keine abschließende Antwort gibt. Sicher dürfte sein, dass niemand von der Polizei abgeholt und zum Impfen gebracht wird. Eine Impfpflicht ist kein Impfzwang. Kommt jemand der Impfpflicht gegen das Corona-Virus nicht nach und wird erwischt, dürfte also eher eine Strafzahlung fällig werden.
Wie schnell könnte die Impfpflicht kommen?
In diesem Fürhjahr zumindest nicht mehr. Eine Impfpflicht müsste das normale Gesetzgebungsverfahren des Bundestags mit erster, zweiter und dritter Lesung durchlaufen. Zwar könnte dies im beschleunigten Verfahren passieren, doch führt der Bundestag am 26. Januar zunächst mal eine Orientierungsdebatte. Bis es um konkrete Gesetzenwürfe geht, wird es noch etwas dauern. Zudem würde ein derart weitgreifendes Gesetz sicher nur nach intensiver Debatte und Beratung beschlossen. Bundestagskreisen zufolge könnte ein Beschluss im März möglich sein.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.