Interview mit Nancy Faeser

Wie das Chancenaufenthaltsrecht Deutschland vielfältiger machen soll

Jonas Jordan28. Oktober 2022
Nancy Faeser ist Bundesinnenministerin.
Nancy Faeser ist Bundesinnenministerin.
Innenministerin Nancy Faeser wirbt im Interview für das geplante Chancenaufenthaltsrecht. Es soll Kettenduldungen beenden und zugleich nur der erste Schritt für einen Neustart in der Migrationspolitik sein.

Sie haben in einer Rede im Bundestag im Zusammenhang mit dem geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht kürzlich von einem „Neustart in der Migrationspolitik“ gesprochen. Warum ist dieser notwendig?

Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland – und wir brauchen endlich eine Politik, die dem auch gerecht wird. Viel zu lange wurde Einwanderung nach Deutschland nicht aktiv gestaltet, sondern widerwillig verwaltet. Man hat immer neue bürokratische Hürden geschaffen, die viele gut integrierte Menschen verunsichert und frustriert haben.

Für ein Jahr sollen bislang geduldete Menschen mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht die Möglichkeit erhalten, den Nachweis für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erbringen. NGOs wie Pro Asyl kritisieren, das sei zu wenig Zeit. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Wir wollen, dass Menschen, die gut integriert sind, auch gute Chancen in Deutschland haben. Deshalb geben wir Menschen, die seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben, für ein Jahr das Chancen-Aufenthaltsrecht. Das ist nach unserer Auffassung ein guter Zeitraum, um die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Dazu gehört vor allem, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, dass sie Deutsch sprechen und dass sie ihre Identität eindeutig nachweisen können.

Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten geduldete Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Wir geben ihnen damit die Chance und auch die Zuversicht, dauerhaft dazu zu gehören.

Ist eine Verlängerung dieses Jahres – zum Beispiel bei Härtefällen oder wenn die Kriterien nur knapp nicht erfüllt werden – denkbar?

Wir haben natürlich gut überlegt, welcher Zeitraum realistisch ist, um alle Bedingungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erfüllen. Das Gesetz richtet sich an Menschen, die bereits seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben und häufig sehr gut integriert sind. Wir denken daher, dass ein Jahr ausreicht, um die Erfordernisse zu erfüllen.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht wird häufig im Kontext des Fachkräftemangels thematisiert. Dabei betrifft die geplante Regelung wohl nur knapp 150.000 Menschen. Ist sie daher eher eine humanitäre als eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme?

Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist das Ende der Kettenduldungen. Und damit auch das Ende der Bürokratie und der Unsicherheit, die damit verbunden war. Für die betroffenen Menschen war das eine große Belastung. Auch für die Behörden waren Kettenduldungen schwierig und übrigens auch für viele mittelständische Unternehmen, die gut integrierten Menschen gerne eine Perspektive geben wollten. Es ist wirklich allerhöchste Zeit, das zu ändern. Unabhängig davon gehen wir mit unserer Einwanderungsreform gegen den Fachkräftemangel an.

Was plant die Bundesregierung darüber hinaus, um dem von Ihnen formulierten Anspruch gerecht zu werden, eine Politik für ein „vielfältiges Einwanderungsland“ zu machen?

Das ist richtig, ergänzend zum Chancen-Aufenthaltsrecht bringen wir weitere Veränderungen auf den Weg, die unser Land voranbringen werden.

Wir ermöglichen gut integrierten jungen Menschen unter 27 Jahren schon nach drei Jahren ein Bleiberecht. Wir erleichtern es den Fachkräften, die wir so dringend brauchen, ihre Familien mit nach Deutschland zu bringen. Und, das ist mir sehr wichtig: Wir sorgen für Integration von Anfang an. Asylbewerber können künftig schon während des laufenden Asylverfahrens Sprach- und Integrationskurse machen – unabhängig von ihrer Bleibeperspektive.

Sie sind nicht nur Bundesinnenministerin, sondern auch Vorsitzende der hessischen SPD. Ein Vorgänger von Ihnen in diesem Amt, Georg August Zinn, prägte einmal den Satz: „Hesse ist, wer Hesse sein will.“ Lässt sich der Satz auch auf Deutschland übertragen?

Deutschland ist schon lange die Heimat von ganz vielen Menschen, die auf den unterschiedlichsten Wegen zu uns gekommen sind und sich hier zu Hause fühlen. Sie haben sich dafür entschieden, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir unser Staatsangehörigkeitsrecht jetzt modernisieren. Vielfalt macht uns als Gesellschaft stark – diese Überzeugung leitet mich.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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Kommentare

Dazu gehoeren oder nicht ist die Frage

"Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten geduldete Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Wir geben ihnen damit die Chance und auch die Zuversicht, dauerhaft dazu zu gehören." - Das sollte dann auch die Frage beantworten, wer nicht dazu gehoeren soll und dann auch nicht dazu gehoert. Abschiebungshindernisse? Egal. Wer herfindet, der findet wieder heim und wer luegt oder politische Verfolgung unwahrscheinlich ist, sollte auch nicht dazu gehoeren, wenn sich auf die Asylgesetzgebung berufen wird. Die Schweiz ist da wohl effektiver. Eine kluge Einwanderungspolitik ist dringend noetig, denn das bisherige Ausnutzen des Asylrechtes als Vehikel in den deutschen Sozialstaat macht diesen kaputt. Die Akzeptanz in der Bevoelkerung ist gering, sehe ich auch in unserer kleinen Stadt bei schoenem Wetter und Werktag die volle Innenstadt - vor 30 Jahren waren die meisten auf Arbeit und die Stadt war morgens recht leer. Heute sind die billigen Cafes und 1-Eur Shops voll mit irgendwelchen fremdartigen Leuten. Etliche aeltere Deutsche sind schon weggezogen und haben teils ihre Haeuser und Wohnungen verkauft. Damit kein Verdacht aufkommt: Meine Frau ist sichtbar Auslaenderin.

bitte nicht die Schweiz als

beispielgebend herausstellen, denn von dort kommen, wie jetzt bekannt wurde, täglich 2000 Schutzsuchende zu uns

Danke ...

... bin jetzt auf dem neuesten Stand. Sie haben recht, das muessen wir hierzulande nun besser machen.

Zweimal soviel ist doppelt so gut?

Nach der Grenzöffnung von 2015 und massenhaften illegalen Grenzübertritten nun das "Chancenaufenthaltsrecht"? Da muss man die heutigen Genossen doch fragen, seid ihr noch zu retten?

Bk Willy Brandt lobte in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 die Leistungen der damals ca. 2,5 Mio. ausländischen Bürger (und ihrer Angehörigen), die in Deutschland a r b e i t e n, um dann auszuführen: "Es ist a b e r notwendig geworden, dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten."

Jetzt soll Deutschland per Gesetz "vielfältiger" gemacht werden. Von sozialer Vernunft und Verantwortung hat man sich wohl schon lange verabschiedet.

ja, einerseits, dies, da mag man zustimmen, aber wir

müssen bei all dem auch die Interessen der Partei im Auge behalten, und es ist nun einmal nicht von der Hand zu weisen, dass wir, also die SPD, gerade in Migrantenkreisen eine sehr hohe Zustimmung erfahren. Wo wären wir im Konzert der demokratischen Parteien, wenn wir diese Wählergruppe nicht hätten oder sie gar durch eine restriktivere Zuwanderungspolitik verprellen würden?
Das, bitte ich Sie , auch einmal ins Kalkül zu ziehen, bei aller Ambivalenz, die ich einräume

Dann sollte ich als Deutscher ....

... die SPD nicht mehr waehlen, nur weil man auf Stimmenfang geht laesst man alle Vernunft fahren? Das wollten Sie den geneigten Lesern so sagen? Wenn die Vernunft nicht bald in die Parteienlandschaft einkehrt, die Migration sinnvoll(!) zu steuern, so wird man bei abnehmendem Wohlstand der Buerger und noch mehr Druck auf die Sozialsysteme schnell merken, dass auch andere auf Stimmenfang gehen - die Rechte und insbesondere die AFD sind da nicht ungeschickt. Nur wahltaktische Manoeuver werden sowieso schnell durchschaut und liefern allenfalls kurzfristige und fragwuerdige "Ergebnisse". Genau so das Wahlalter auf 16 herunter zu setzen, weil die Teenies gern gruen/rot waehlen - das ist der Sinn der Parteipolitik? Ich denke, dann sind wir auf dem Niveau des billigsten Populismus angekommen, in der Art kaum untercheidbar vom Geplaerre der AFD. Ein gefaehrliches Spiel mit dem Feuer - besser ist eine klare Programmatik mit vernuenftigen Programminhalten. Die meisten Buerger moechten die Haengemattenlieger konsequent ausgewiesen sehen und faehige fleissige Leute integriert. Islamismus ist auch so ein Thema.

nein, da widerspreche ich mit Sepp

Herberger

Nach der Wahl ist vor der Wahl, will sagen- allzusehr auf eine etwas längere Sicht darf man in der Politik nicht setzen