Wie das Chancenaufenthaltsrecht Deutschland vielfältiger machen soll
Janine Schmitz/photothek.net
Sie haben in einer Rede im Bundestag im Zusammenhang mit dem geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht kürzlich von einem „Neustart in der Migrationspolitik“ gesprochen. Warum ist dieser notwendig?
Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland – und wir brauchen endlich eine Politik, die dem auch gerecht wird. Viel zu lange wurde Einwanderung nach Deutschland nicht aktiv gestaltet, sondern widerwillig verwaltet. Man hat immer neue bürokratische Hürden geschaffen, die viele gut integrierte Menschen verunsichert und frustriert haben.
Für ein Jahr sollen bislang geduldete Menschen mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht die Möglichkeit erhalten, den Nachweis für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erbringen. NGOs wie Pro Asyl kritisieren, das sei zu wenig Zeit. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Wir wollen, dass Menschen, die gut integriert sind, auch gute Chancen in Deutschland haben. Deshalb geben wir Menschen, die seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben, für ein Jahr das Chancen-Aufenthaltsrecht. Das ist nach unserer Auffassung ein guter Zeitraum, um die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Dazu gehört vor allem, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, dass sie Deutsch sprechen und dass sie ihre Identität eindeutig nachweisen können.
Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten geduldete Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Wir geben ihnen damit die Chance und auch die Zuversicht, dauerhaft dazu zu gehören.
Ist eine Verlängerung dieses Jahres – zum Beispiel bei Härtefällen oder wenn die Kriterien nur knapp nicht erfüllt werden – denkbar?
Wir haben natürlich gut überlegt, welcher Zeitraum realistisch ist, um alle Bedingungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erfüllen. Das Gesetz richtet sich an Menschen, die bereits seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben und häufig sehr gut integriert sind. Wir denken daher, dass ein Jahr ausreicht, um die Erfordernisse zu erfüllen.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht wird häufig im Kontext des Fachkräftemangels thematisiert. Dabei betrifft die geplante Regelung wohl nur knapp 150.000 Menschen. Ist sie daher eher eine humanitäre als eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme?
Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist das Ende der Kettenduldungen. Und damit auch das Ende der Bürokratie und der Unsicherheit, die damit verbunden war. Für die betroffenen Menschen war das eine große Belastung. Auch für die Behörden waren Kettenduldungen schwierig und übrigens auch für viele mittelständische Unternehmen, die gut integrierten Menschen gerne eine Perspektive geben wollten. Es ist wirklich allerhöchste Zeit, das zu ändern. Unabhängig davon gehen wir mit unserer Einwanderungsreform gegen den Fachkräftemangel an.
Was plant die Bundesregierung darüber hinaus, um dem von Ihnen formulierten Anspruch gerecht zu werden, eine Politik für ein „vielfältiges Einwanderungsland“ zu machen?
Das ist richtig, ergänzend zum Chancen-Aufenthaltsrecht bringen wir weitere Veränderungen auf den Weg, die unser Land voranbringen werden.
Wir ermöglichen gut integrierten jungen Menschen unter 27 Jahren schon nach drei Jahren ein Bleiberecht. Wir erleichtern es den Fachkräften, die wir so dringend brauchen, ihre Familien mit nach Deutschland zu bringen. Und, das ist mir sehr wichtig: Wir sorgen für Integration von Anfang an. Asylbewerber können künftig schon während des laufenden Asylverfahrens Sprach- und Integrationskurse machen – unabhängig von ihrer Bleibeperspektive.
Sie sind nicht nur Bundesinnenministerin, sondern auch Vorsitzende der hessischen SPD. Ein Vorgänger von Ihnen in diesem Amt, Georg August Zinn, prägte einmal den Satz: „Hesse ist, wer Hesse sein will.“ Lässt sich der Satz auch auf Deutschland übertragen?
Deutschland ist schon lange die Heimat von ganz vielen Menschen, die auf den unterschiedlichsten Wegen zu uns gekommen sind und sich hier zu Hause fühlen. Sie haben sich dafür entschieden, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir unser Staatsangehörigkeitsrecht jetzt modernisieren. Vielfalt macht uns als Gesellschaft stark – diese Überzeugung leitet mich.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo