Cansel Kiziltepe: „Ich bin sicher, dass wir eine verfassungsgemäße Vermögenssteuer hinbekommen.“
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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat kürzlich ermittelt, dass die reichsten zehn Prozent der Deutschen 67 Prozent des gesamten Nettovermögens besitzen, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur auf rund ein Prozent kommt. Woran liegt das?
Das DIW bestätigt ein erschreckendes Phänomen, das sich seit Jahren zuspitzt. Das oberste Prozent in Deutschland besitzt 30 Prozent des Netto-Vermögens. Mit einer einzigen Ursache lässt sich das nicht erklären. Ein Grund ist sicher, dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland sehr niedrig sind. Eine weitere Ursache ist, dass die soziale Mobilität in Deutschland die geringste in ganz Europa ist. Und es liegt daran, dass wir den Arbeitsmarkt zu großen Teilen liberalisiert haben, was zu einem der größten Niedriglohnsektoren geführt hat. Wer Geld hat, profitiert obendrein noch zusätzlich, etwa von geringen Steuern, wenn Vermögen vererbt wird, oder von steigenden Immobilienpreisen, wenn man Wohneigentum besitzt. Doch wenn immer weniger Menschen ein immer größeres Vermögen auf sich vereinen, führt das über kurz oder lang zu sozialen Spannungen. Deshalb sollten wir dringend etwas dagegen tun.
Die SPD will deshalb die Vermögenssteuer, die vor mehr als 20 Jahren abgeschafft wurde, wieder einführen. Was versprechen Sie sich davon?
Das Hauptziel ist natürlich, die Ungleichheit in Deutschland wieder zu verringern und dafür zu sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich wieder schließt. Das Steuersystem kann hier einen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Gerade im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Deutschland eine deutliche Unwucht bei der Besteuerung von Vermögen im Vergleich zur Besteuerung von Lohnarbeit. In keinem anderen OECD-Land sind die vermögensbezogenen Steuern so gering wie in Deutschland. Die Wiederbelebung der Vermögenssteuer könnte Abhilfe schaffen, weil sie garantiert, dass Spitzenvermögende ihren gerechten Beitrag für das Gemeinwohl leisten.
Kritiker sagen, eine Vermögenssteuer sei ungerecht, weil sie gegen das Leistungsprinzip verstoße. Obendrein gefährde sie die durch Corona ohnehin gebeutelte Wirtschaft. Was entgegnen Sie denen?
Die Frage der Leistungsgerechtigkeit ist aus meiner Sicht falsch gestellt. Welche Leistung ist es, ein Vermögen zu haben oder gar zu erben, das dann für einen arbeitet? Und auch die Kritik, eine Vermögenssteuer würde die Wirtschaft gefährden, kann ich nicht nachvollziehen. Der SPD-Vorschlag ist aus meiner Sicht sehr moderat und würde weder den Mittelstand noch Arbeitsplätze gefährden. Konkret bedeutet er, dass Betriebsvermögen unter bestimmte Verschonungsregeln fallen würden, solange gewisse Kriterien erfüllt werden. Bei unserem Modell gilt die Regel: Je höher das Vermögen, desto höher der Vermögenssteuersatz. Niemand wird durch eine Vermögenssteuer arm werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vermögenssteuer 1995 für verfassungswidrig erklärt. Sind Sie sich sicher, dass das Konzept der SPD nicht vor Gericht scheitern würde?
Ja, das bin ich. Entscheidend ist für mich dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014. Damals haben die Richterinnen und Richter gesagt, dass Betriebsvermögen überprivilegiert sind. Beim Urteil 1995 hat das Gericht auch nicht die Vermögenssteuer an sich für verfassungswidrig erklärt, sondern die Bewertungsunterschiede zwischen Barvermögen und Grund- bzw. Immobilienwerten kritisiert. Der SPD-Vorschlag berücksichtigt das. Deshalb bin ich sicher, dass wir damit eine verfassungsgemäße Vermögenssteuer hinbekommen und damit mehr Gerechtigkeit schaffen.
Die „Seeheimer“ fordern in einem Diskussionspapier, den Spitzensteuersatz auf bis zu 49 Prozent zu erhöhen. Könnte das die Vermögenssteuer ersetzen?
Nein, das sind zwei unterschiedliche Dinge, weil der Spitzensteuersatz ja auf Einkommen erhoben wird, die Vermögenssteuer aber auf bereits bestehende Vermögen. Insofern hat beides nichts miteinander zu tun. Die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz ist übrigens bereits Beschlusslage der SPD und soll auch Teil unseres steuer- und finanzpolitischen Konzepts für die Bundestagswahl werden. Ich persönlich und auch große Teile der SPD lehnen eine Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags wie ihn die Seeheimer fordern aber ab. Bezieher hoher Einkommen sollen ihn auch weiterzahlen. Wir brauchen das Geld dringend für Zukunftsinvestitionen.
Die CDU hat bereits klar gemacht, dass eine Vermögenssteuer unter keinen Umständen mittragen wird. Wird die SPD damit in den Bundestagswahlkampf ziehen?
Ja, da bin ich recht sicher. Die SPD hat die Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf ihrem Parteitag im Dezember 2019 beschlossen. Dieser Beschluss wird von der gesamten Partei getragen. Die CDU will stattdessen eine Debatte über den Abbau von Schulden und die möglichst schnelle Rückkehr zur schwarzen Null führen. Das halte ich für gefährlich, denn ohne einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung kann das nur Sozialabbau bedeuten. Gerade in der Corona-Krise wurde das Bewusstsein in der Bevölkerung geschärft, wie wichtig es ist, einen starken Staat zu haben. Und um ihn zu finanzieren, brauchen wir die Vermögenssteuer. Das werden wir auch im Wahlkampf deutlich machen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.