Inland

Bundeswehr: Warum die SPD mit Ursula von der Leyen abrechnet

Die Verteidigungsministerin fordert von der Bundeswehr mehr „Führungsverantwortung“. SPD-Politiker halten dagegen: Ursula von der Leyen müsse selbst Verantwortung übernehmen. Die CDU lenke vom eigenen Versagen ab.
von Paul Starzmann · 2. Mai 2017
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Es gibt ihn in jedem modernen Kampfflugzeug: den Schleudersitz. Wird ein Flieger vom Feind getroffen, ein Knopfdruck genügt und der Pilot kann das Flugzeug in Sekundenbruchteilen verlassen. Im übertragenen Sinn ist auch der Posten des Verteidigungsministers ein Schleudersitz: Ob Franz-Josef Strauß oder Karl-Theodor zu Guttenberg – immer wieder flogen Verteidigungsminister der Union in hohem Bogen raus.

Muss von der Leyen zurücktreten?

Seit dem Wochenende ist die Frage, ob Ursula von der Leyen bald das gleiche Schicksal ereilt und sie ihren Hut nehmen muss. Der Grund: In der Bundeswehr häufen sich Skandale und Affären – von Missbrauch in der Ausbildung bis zu den mutmaßlichen Terror-Plänen des rechtsextremen Offiziers Franco A. Von der Leyen reagierte am Wochenende in einem offenen Brief an die Truppe. Darin forderte sie von den Soldaten mehr „Führungsverantwortung“.

Nun schlägt der Ministerin Kritik aus den Reihen der SPD entgegen. „Was sollen die Soldaten, die für die Sicherheit dieses Landes zuständig sind, von einer Ministerin halten, die sich jetzt hinter ihren Untergebenen versteckt?“, fragte Thomas Oppermann, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, am Dienstag. Dass die Ministerin die Verantwortung für die Bundeswehr-Skandale ausschließlich in den Reihen der Soldaten suche, sei nicht in Ordnung.

Kritik aus der SPD-Bundestagsfraktion

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, Mitglied im Verteidigungssauschuss, sieht das ähnlich: „Wenn Frau von der Leyen heute feststellt, dass die Bundeswehr ein Führungsproblem hat, sollte sie bei sich selbst und ihrer Partei anfangen“, sagte er gegenüber vorwärts.de. „Führung heißt auch Verantwortung wahrzunehmen anstatt mit dem Finger pauschal auf alle Soldatinnen und Soldaten zu zeigen.“

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Hitschler hat kein Verständnis für das Verhalten der Verteidigungsministerin: „Offene Briefe an das eigene Haus sind ein Zeichen eklatanter Führungsschwäche. Offensichtlich sieht sich Frau von der Leyen nicht mehr in der Lage, Probleme intern zu lösen“, sagte Hitschler. „Der Kitt zwischen Ministerin und Bundeswehr scheint nicht mehr da zu sein.“

Oppermann: „Leitkultur“ ist ein Ablenkungsmanöver

Einig sind sich die SPD-Politiker auch, dass die Union gerade versuche, vom eigenen Versagen abzulenken. So habe der Fall des Soldaten Franco A., der sich vor den Behörden als syrischer Flüchtling ausgab, grobe Fehler im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) offengelegt. „Was sich da jetzt abspielt, ist ein innenpolitischer Skandal“, sagte Oppermann. Anstatt jedoch etwas dagegen zu unternehmen, habe Innenminister Thomas de Maizière am Wochenende mit Thesen zur deutschen „Leitkultur“ für Aufsehen gesorgt. Eine solche Debatte, gab Oppermann zu bedenken, „die brauchen wir im Moment überhaupt nicht.“

„Dass in der Bundeswehr bedauerlicherweise immer wieder Rechtsextremisten auftauchen, ist nicht neu“, sagte der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka. „Wenn die Bundesverteidigungsministerin daraus aber ein grundsätzliches Extremismusproblem in der Truppe stilisiert, gibt es dafür nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder hat die Ministerin über Jahre hinweg ignoriert, dass die Bundeswehr von einzelnen Neonazis unterwandert wird. Oder aber sie benutzt diese völlig unangemessene Verallgemeinerung eines punktuell sicher vorhandenen Problems, um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.“

Angela Merkel: Kein Glück mit ihren Verteidigungsministern

Klar ist, dass etwas schief läuft in der Bundeswehr. Dabei betont die SPD, dass nicht nur Ursula von der Leyen verantwortlich für die Missstände in den deutschen Kasernen sei – sondern die Union insgesamt: Seit zwölf Jahren ist das Verteidigungsministerium in konservativer Hand. Jedoch mit relativ wenig Erfolg: Mit Franz-Josef Jung (CDU) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mussten seit 2009 gleich zwei konservative Verteidigungsminister kurz hintereinander zurücktreten. Ob sich das Amt jetzt auch für deren Nachfolgerin Ursula von der Leyen als „Schleudersitz“ erweist, wird sich zeigen. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel kein großes Glück hat mit ihren Verteidigungsministern, das ist allerdings schon jetzt klar.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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