Bundestag konstituiert: Bärbel Bas ist neue Parlamentspräsidentin
picture alliance/dpa
Der 20. Bundestag hat sich im Berliner Reichstagsgebäude konstituiert. Mit großer Mehrheit von rund 80 Prozent der abgegebenen Stimmen wählte er die bisherige stellvertretende SPD-Fraktionschefin Bärbel Bas zu seiner Präsidentin. 576 Parlamentarier*innen stimmten mit Ja, 90 mit Nein, 58 enthielten sich. Nötig für die Wahl waren mindestens 369 Stimmen der 736 Abgeordneten. Das Vorschlagsrecht für das Amt des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Bundestages steht nach parlamentarischem Brauch der stärksten Fraktion zu. Dies ist nach ihrem Wahlsieg bei der Bundestagswahl die SPD-Fraktion mit 206 Abgeordneten, die damit die Union als stärkste Kraft ablöst.
Die Sozialdemokratin Aydan Özoguz wurde mit 544 Stimmen zur Vizepräsidentin gewählt. Als weitere Vizepräsident*innen der anderen Fraktionen wurden gewählt: Yvonne Magwas (600 Stimmen) für die CDU/CSU, Claudia Roth (565 Stimmen) für die Grünen, Wolfgang Kubicki (564 Stimmen) für die FDP und Petra Pau (484 Stimmen) für Die Linke. Damit gehören dem Präsidium des Bundestages fünf Frauen und ein Mann an.
Erst die dritte Frau an der Parlamentsspitze
Wie bereits bei ihren sechs Kandidaten in der letzten Legislaturperiode fand die AfD mit ihrem Personalvorschlag auch im neuen Bundestag keine Mehrheit. Ihr Kandidat Michael Kaufmann erhielt lediglich 118 statt der nötigen 369 Stimmen. Die Rechtsradikalen stellen damit weiterhin keinen Vizepräsidenten.
In ihrer Antrittsrede erinnerte die neu gewählte Präsidentin Bärbel Bas an die erste Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD). Ihre Wahl 1972 sei „eine Zeitenwende“ gewesen. Auch ihre eigene Wahl bezeichnete Bas als Zeitenwende. „Es tut unserem Land gut, wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, im Herzen unserer Demokratie trägt eine Frau die Verantwortung.“ Seit Gründung der Republik sei sie „erst die dritte Frau“ an der Spitze des Bundestages. „Die Dritte seit 1949 – ruhmreich ist das nicht. Denn die Verantwortung ist lange noch nicht gerecht auf alle Schultern verteilt.“ Daran zu arbeiten sieht sie als eine ihrer besonderen Aufgaben als Bundestagspräsidentin, sagte Bas unter großem Applaus der Abgeordneten.
Bärbel Bas: Bundestag braucht neue Bürgernähe
Die Wahl ins Amt der Parlamentspräsidentin sei eine große Ehre. „Ich danke Ihnen herzlich für das Vertrauen“, so Bas an die Abgeordneten. „Das ist ein großes Vertrauen, das Sie mir gegeben haben und mir ist auch völlig bewusst, dass mit diesem Amt hohe Erwartungen verbunden sind.“ Bas gab den Abgeordneten ein Versprechen: „Ich verspreche Ihnen, ich werde die Präsidentin aller Abgeordneten sein. Ich werde all meine Kraft daran setzen, den Bundestag nach innen überparteilich zu leiten und nach außen selbstbewusst zu repräsentieren.“
Die neue Parlamentspräsidentin will „in dieser Legislaturperiode eine neue Bürgernähe entwickeln“. Es gehe darum, auf die Bürger*innen zuzugehen, vor allem auch die Menschen zu erreichen, die sich nicht mehr von der Politik angesprochen fühlten. Dazu gehöre es auch für die Politiker*innen, sich verständlich und klar auszudrücken. „Ein vielfältiges, junges, frisch gewähltes Parlament kann leichter Brücken bauen“, so Bas. „Es kann Vorurteile, Abwehrreaktionen und Misstrauen überwinden helfen.“ Sie wünsche sich „Abgeordnete, die zuhören und ein Parlament, dem zugehört wird“.
Bas will Parlament vor Angriffen schützen
Sie stehe „für ein respektvolles Miteinander“, betonte Bärbel Bas. Respekt sei „keine Einbahnstraße“. Sie erwarte Respekt für die Bürger*innen, aber auch von ihnen. Ebenso erwarte sie einen respektvollen Umgang im Bundestag. „Wir haben eine Vorbildfunktion. Jede und jeder einzelne von uns steht für die Politik und damit in der Pflicht, den Deutschen Bundestag würdig zu vertreten.“ Es gehe um einen angemessenen Ton. Der politische Gegner dürfe nicht herabgewürdigt oder beschädigt werden. „Hass und Hetze ist keine Meinung“, stellte Bas klar. „Als Präsidentin werde ich dieses Parlament vor Angriffen schützen und die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen.“
Den Wunsch der Union nach zwei Vizepräsident*innen lehnte der Bundestag ab. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erinnerte am Montag vor Journalisten in Berlin daran, dass CDU und CSU in der letzten Wahlperiode eine zweite Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten für die zweitstärkste Fraktion abgelehnt hatten. „Die Union hat natürlich Bedarf, dass sie jetzt in dieser neuen Rolle versucht, weitere Ämter zu besetzen“, so Mützenich. Aber, gab er zu bedenken: Wäre man dem Wunsch der Union gefolgt, hätte man noch eine weitere Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten schaffen müssen, damit die Mehrheitsverhältnisse korrekt abgebildet seien. Die SPD sei „sehr verantwortungsvoll umgegangen mit dieser Frage“, indem sie dem Vorschlag der Union nicht entsprochen habe.
Wolfgang Schäuble eröffnete die Sitzung
Eröffnet wurde die Sitzung traditionell vom Alterspräsidenten, dem dienstzeitältesten Mitglied des Bundestages. Das war auch diesesmal Wolfgang Schäuble (CDU), der bisherige Parlamentspräsident, der dem Bundestag seit 1972 ununterbrochen angehört. Nach seiner Eröffnungsrede applaudierten die Abgeordneten stehend. Unmittelbar nach ihrer Wahl übernahm die neue Bundestagspräsidentin Bas von Schäuble die Leitung der Sitzung.
Umstritten ist zur Zeit noch die Sitzordnung im Parlament. Im 19. Bundestag saß die AfD, aus Sicht der Präsidenten, ganz rechts, gefolgt von der FDP. Die Freien Demokraten wollen im neuen Bundestag aber nicht mehr neben den Rechtspopulisten sitzen, sondern in der Mitte des Plenarsaals. Das würde bedeuten, dass die Union künftig neben der AfD Platz nehmen muss, was CDU und CSU ablehnen.
Streit um die Sitzordnung im Plenarsaal
Für die konstituierende Sitzung des Bundestages am Dienstag galt zunächst noch die alte Sitzordnung: So saßen von rechts nach links im Plenarsaal AfD, FDP, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke. Die endgültige Sitzordnung kann später durch die Fraktionen durch Mehrheitsentscheidung im Bundestag wieder geändert werden. Da SPD, Grüne und FDP zusammen die Mehrheit haben, können sie den Wunsch der Freien Demokraten erfüllen und die Union überstimmen.
Laut Grundgesetz hat der Bundestag 30 Tage nach der Bundestagswahl Zeit, sich zu konstituieren. Da die Bundestagswahl am 26. September stattfand, war der 26. Oktober der letztmögliche Tag für die Konstituierung. Bis dahin waren die 736 neu gewählten Abgeordneten noch nicht im Amt. Sie waren zunächst nur gewählte Bewerber*innen. Erst mit der konstituierenden Sitzung sind sie nun offiziell die Vertreter*innen der Bürgeri*nnen im 20. Deutschen Bundestag.
Wichtige Rolle des Bundestagspräsidium
Mit der Wahl der Bundestagspräsidentin ist die Grundlage für weitere wichtige Schritte im neuen Parlament gelegt. Die neue Präsidentin und ihre Vertreter*innen bilden das Präsidium des Bundestages. Sie treffen sich in den Sitzungswochen regelmäßig und besprechen offene Fragen für den Bundestag.
Zudem sind sie ein wichtiger Teil des Ältestenrates. Er ist das beratende Gremium des Bundestages und unterstützt die Präsidentin bei ihrer Arbeit. Neben der Bundestagspräsidentin und ihren Vertreter*innen besteht der Ältestenrat aus Abgeordneten aller Fraktionen. Er legt die Sitzungswochen fest oder beschließt die Tagesordnungen für die Plenarsitzungen.
Regierung Merkel nur noch geschäftsführend
30 Tage nach der Wahl gibt es nun ein neues Parlament mit den gewählten Abgeordneten und einer neuen Bundestagspräsidentin. Alle weiteren Gremien des Bundestages, wie beispielsweise seine Ausschüsse, werden sich erst dann bilden, wenn die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP abgeschlossen sind.
Mit der Konstituierung des 20. Bundestages endet auch die reguläre Amtszeit der Bundesregierung. Sie ist nun nur noch geschäftsführend im Amt, bis das Parlament mit Olaf Scholz einen neuen Bundeskanzler wählt. Deshalb erhalten die amtierende Kanzlerin und die Bundesminister*innen heute von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue ihre Entlassungsurkunden.