Geschichte

Warum der Bundespräsident nicht direkt vom Volk gewählt wird

In einer Woche wird der Bundespräsident gewählt. Wieder einmal wird die Frage laut, warum es keine Direktwahl gibt. Dafür gibt es gute Gründe. Sie reichen zurück bis zu den Anfängen der Demokratie in Deutschland.
von Kai Doering · 4. Februar 2022
Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier: Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung und nicht direkt vom Volk gewählt.
Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier: Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung und nicht direkt vom Volk gewählt.

Alle fünf Jahre, wenn sich die Wahl des bzw. der Bundespräsident*in nähert, wird irgendwann immer dieselbe Frage gestellt: Warum wird das deutsche Staatsoberhaupt eigentlich nicht vom Volk gewählt? Nach der Wahl von Frank-Walter Steinmeier im Februar 2017 trieben es rechtspopulistische Kreise, allen voran die AfD, sogar so weit zu behaupten, Steinmeier sei „nicht mein Präsident“, da sie ihn ja nicht direkt gewählt hätten. Abgesehen davon, dass das gesamte politische System der Bundesrepublik auf der repräsentativen Demokratie beruht, hat der oder die Bundespräsident*in genau genommen sogar eine höhere demokratische Legitimation als der oder die Bundeskanzler*in: Bei der Wahl des/der Präsident*in sind schließlich zusätzlich zum Bundestag auch Vertreter*innen der Bundesländer beteiligt.

Und doch lohnt es sich, die Ursachen zu ergründen, warum das deutsche Staatsoberhaupt nicht direkt, sondern von einem nur für diesen Zweck zusammentretenden Gremium, der Bundesversammlung, gewählt wird. Die Gründe reichen zurück bis zu den Anfängen der Demokratie in Deutschland.

Die Reichspräsidenten wurden direkt gewählt

Als nach dem Ersten Weltkrieg Kaiser Wilhelm II. abgedankt hatte und erstmals auf deutschem Boden eine Republik entstanden war, fehlte der Weimarer Verfassungsversammlung der Mut, gänzlich auf das parlamentarische System zu setzen. Als „Ersatzkaiser“ und Korrektiv zum Parlament wurde die Rolle des Reichspräsidenten geschaffen und mit reichlich Machtbefugnissen ausgestattet, bis hin zur Möglichkeit, per Notverordnung selbst am Parlament vorbei zu regieren. Vor allem Hindenburg machte davon reichlich Gebrauch. Bis Hitler wurden die Reichspräsidenten direkt vom Volk gewählt.

Nach den Erfahrungen von Weimar und dem Zweiten Weltkrieg setzten die Mütter und Väter des Grundgesetzes deshalb 1949 zwar wieder auf einen Präsidenten. Dieser sollte allerdings deutlich weniger Machtbefugnisse haben und eher repräsentative Aufgaben erfüllen. „Der Bundespräsident ist ‚lebendiges Symbol‘ des Staates“, heißt es dazu auf der Internetseite des Bundespräsidialamtes. „Über den Parteien stehend, wirkt er in Reden, Ansprachen, Gesprächen, durch Schirmherrschaften und andere Initiativen integrierend, moderierend und motivierend.“ Eine Direktwahl eines Symbols? Das würde nur falsche Erwartungen wecken.

Einfluss ist auch ohne Direktwahl möglich

Sie würde aber auch das Machtgefüge innerhalb unseres demokratischen Systems deutlich verschieben, befürchten Verfassungsexpert*innen. Für einen Bundespräsidenten, der ein direktes Mandat vom Volk hat, könnte es verlockend sein, sich als eigenständige politische Kraft zu positionieren, im Zweifelsfall gegen die Regierung. Ein politisches Patt, ein Gegeneinander wäre die Folge, Weimar lässt grüßen. Das würde der Demokratie schaden. Und selbst wenn der Präsident dieses Streben nicht hätte: Irgendwann könnten seine Wähler*innen darauf drängen, haben sie ihm doch dafür ihre Stimme gegeben. Ein möglicher Wahlkampf um das Präsidentenamt könnte die Situation zusätzlich verschärfen.

All dies haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes berücksichtigt als sie das Konstrukt des Bundespräsidenten schufen. Bewusst legten sie den Schwerpunkt des politischen Systems auf die parlamentarische Demokratie: In den Parlamenten sitzen die vom Volk gewählten Vertreter*innen, die darüber entscheiden, welchen Weg das Land nimmt. Das präsidiale System bildet seit 1949 nur das Beiwerk. Womit nicht gemeint ist, dass das Amt des Bundespräsidenten verzichtbar wäre. Schon einige Amtsinhaber haben entscheidend Einfluss genommen auf die Geschicke des Landes – und das ganz ohne direkt vom Volk gewählt zu sein.

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