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Bürgergeld statt „Hartz4“: Lob vom DGB für Vorschlag von Hubertus Heil

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte die Grundsicherung reformieren, Das System „Hartz4“ überwinden. Der erste Vorschlag, das System als „Bürgergeld“ zu reformieren wertet DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel als „richtigen Schritt“ – fordert aber noch mehr.
von Benedikt Dittrich · 19. Januar 2021
Anja Piel, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB.
Anja Piel, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB.

Anja Piel, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat den Entwurf zum „Sozialen Bürgergeld“ als „Meilenstein“ bezeichnet. Woran machen Sie das fest?

Der Begriff „Soziales Bürgergeld“ ist erstmal ein guter neuer Name. Denn der Begriff „Hartz 4“ hat ein ganz schlechtes Image und steht für ein ungerechtes, stigmatisierendes System.

Aber entscheidend sind natürlich die Inhalte. Wir treten dafür ein, dass das „Hartz 4“-Unwesen durch eine Grundsicherung ersetzt wird, die wirksam vor Armut schützt, soziale Teilhabe sichert und auch den Leistungsberechtigten auf Augenhöhe begegnet. Dazu gehören gute Fördermöglichkeiten und echte Perspektiven. Dafür sind die Vorschläge von Hubertus Heil ein substantieller Fortschritt, die uns dem Ziel näherbringen.

Besonders positiv finden wir, dass in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs die tatsächlichen Wohnkosten in voller Höhe übernommen und eine Prüfung der Vermögensverhältnisse praktisch nicht mehr stattfinden soll. Das ist gerade in der Krise schon eine besondere Linie gewesen, die für weniger Stigmatisierung sorgt. Es ist eine enorme Belastung, wenn man seine Wohnung nicht halten kann, Ersparnisse vorlegen oder aufbrauchen muss, ehe man überhaupt an solche Leistungen herankommt. Das wird von Menschen, die ihre Arbeit oft ohne eigenes Verschulden verlieren, als zutiefst ungerecht empfunden. Eine langjährige Arbeitsleistung wird überhaupt nicht gewürdigt.

CDU und FDP erwarten ohne diese Prüfungen umfangreichen „Sozialbetrug“ und reden von einem „Bedingungslosen Grundeinkommen durch die Hintertür“. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Das ist populistisch und geradezu zynisch den Menschen gegenüber, die es betrifft. Die Pläne sind weit entfernt von einem bedingungslosen Grundeinkommen ohne jegliche Verpflichtungen. Es bleibt dabei, dass ein Leistungsanspruch nur dann besteht, wenn das eigene Einkommen und das der Partnerin oder des Lebenspartners nicht zum Leben reicht. Das ist eine Bedingung, ebenso wie die Pflicht, zumutbare Arbeit anzunehmen und an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

Wenn man mit dem Stempel „Bedingungsloses Grundeinkommen“ einen guten Vorschlag diskreditiert, verteidigt man das bestehende Hartz-4-Elend. Das kann man machen, aber dann muss man das politisch auch so sagen und nicht so tun, als ob man etwas anderes beschreibt.

Das bestehende System macht Angst vor dem sozialen Abstieg und da setzen die Pläne von Hubertus Heil an. Stattdessen mit der Peitsche die Menschen zur Arbeit anzuhalten ist eine mittelalterliche Vorstellung, die nebenbei bemerkt auch etwas über die Qualität der vorhandenen Arbeitsplätze aussagt.

Könnte die Politik aus Ihrer Sicht noch mehr tun, damit Betroffene wieder mehr Wertschätzung erfahren?

Die Frage ist, wie man mit den betroffenen Menschen umgeht. Macht man ihnen nur Angebote unter ihrer Qualifikation? Bietet man gezielte Weiterbildung an, die auch ausreichend honoriert und finanziert wird?

Der Weiterbildungsbonus, den es dafür gibt, der reicht noch lange nicht aus. Den muss man höher legen, um einen echten Anreiz zu bieten, sich weiterzubilden. Wenn das Angebot dann noch zu der bisherigen Arbeit passt undAufstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt bietet, würde es echte Perspektiven bieten. Wenn wir den Menschen immer nur Angebote unter ihrer eigenen Qualifikation machen, machen wir nur die Preistreiberei der Arbeitgeber*innen mit.

An welchen Stellen sehen Sie denn noch Nachbesserungsbedarf?

Eigentlich gehen die Vorschläge noch nicht weit genug. Von der eigentlichen bürgerfreundlichen, bedarfsgerechten Grundsicherung sind wir auch damit noch ein paar weitere Reformen entfernt. Es ist aber ein richtiger Schritt. Alles, was die Arbeitgeber*innen jetzt dazu sagen, zeigt nur deutlich, dass sie die Menschen als preiswerte Arbeitskräfte sehen, die man über Angst wieder in unterqualifizierte und prekäre Jobs schicken kann.

Stichwort Qualifikation: Wie müsste denn ein gutes Weiterbildungsangebot konkret aussehen?

Der finanzielle Zuschlag von 75 Euro für Weiterbildungsmaßnahmen ist im Ansatz richtig, aber noch viel zu niedrig. Wir wissen aus Gesprächen, dass viele Arbeitslose angeben, sich Weiterbildungen nicht leisten zu können. Denn sie sind darauf angewiesen, zumindest zwischendurch befristet einen Job zu ergattern. Deswegen schlagen wir einen Zuschlag von 200 Euro im Monat vor. Dann wäre die Weiterbildung attraktiver als ein schlecht bezahlter Job.

Die zweite Stellschraube sind die Zumutbarkeitsregeln. Die müssen angepasst werden, sollen in diesem Entwurf aber unverändert bleiben. Das finden wir als DGB nicht in Ordnung, denn das bahnt wieder den Weg in prekäre Beschäftigungen.

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