Meinung

Bürgergeld statt Hartz IV: Abschied vom Gängel-Staat

Mit dem Bürgergeld ändert sich mehr als nur ein Name. Die Bundesregierung reagiert damit auf die Veränderungen der Arbeitswelt. Der Staat wird zum Partner. Das kann ein Modell für die Zukunft sein.
von Kai Doering · 14. September 2022
Künftig auf Augenhöhe: Mit dem Bürgergeld werden Arbeitssuchende nicht mehr als Bittsteller*innen gesehen.
Künftig auf Augenhöhe: Mit dem Bürgergeld werden Arbeitssuchende nicht mehr als Bittsteller*innen gesehen.

„Wir wollen Hartz IV hinter und lassen“, versprach die SPD auf ihrem Bundesparteitag im Dezember 2019. Damals beschloss sie ihr neues Sozialstaatskonzept. Sanktionen sollten deutlich abgemildert, Transferleistungsempfänger*innen nicht als Bittsteller*innen, sondern auf Augenhöhe behandelt werden. Vor allem aber sollte es starke Anreize geben, sich fortzubilden. „Arbeitslosengeld Q“ hieß das damals.

Hartz IV ist für viele ein Synonym für Gängelung

Die Partei hatte lange um die Ausgestaltung dieses Sozialstaatskonzepts gerungen. Es gab ein Debattencamp, Mitgliederforen und eine Online-Debatte, Als Parteichefin nahm die frühere Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles deutlichen Einfluss. Dass sie nun als neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit die damals erdachten Reformen mit umsetzen wird, ist dabei eine schöne Fußnote.

Am Mittwoch hat die Bundesregierung nun das Bürgergeld auf den Weg gebracht. Das ist wenig überraschend, hatten sich SPD, Grüne und FDP doch bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt. Und doch kann der Gesetzentwurf nicht hoch genug bewertet werden. Denn er macht tatsächlich Schluss mit Hartz IV – einem System, dessen Name für viele zu einem Synonym geworden ist für eine Gängelung durch den Staat.

Ein Vertrauensvorschuss des Staates

Das Bürgergeld verfolgt einen komplett anderen, zugewandten Ansatz: Menschen werden nicht als Bittsteller*innen gesehen, sondern auf Augenhöhe behandelt. Die Abschaffung der „Eingliederungsvereinbarung“ steht hierfür symbolisch. Auch dass Wohnung und Vermögen bei Arbeitslosigkeit für zwei Jahre nicht angetastet werden, ist ein wichtiges Signal. Der Staat gibt einen Vertrauensvorschuss, statt den Menschen vom ersten Tag an mit Misstrauen zu begegnen.

Es ist deshalb auch unredlich, was konservative Kreise von der CDU bis zu den Arbeitgeber*innen tun: den künftigen Empfänger*innen des Bürgergelds zu unterstellen, sie würden sich „in die soziale Hängematte legen“, jetzt, da die Regelsätze deutlich steigen. Das ist kein Vertrauen, sondern einfach nur zynisch. Um es klar zu sagen: Niemand nimmt gerne Sozialleistungen in Anspruch und 500 Euro sind sicher nicht genug, um luxuriös zu leben. Sie sind das, was sie sein sollen: eine Hilfe, um die Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken.

Die Kindergrundsicherung fehlt noch

Denn genau das bleibt der Ansatz auch des Bürgergelds: die Menschen in Arbeit zu bringen. Allerdings nicht um jeden Preis. Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen 20 Jahren drastisch verändert. Ging es bei der Einführung der Hartz-Reformen 2002 darum, Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, steht heute im Vordergrund, Fachkräfte zu gewinnen. Dass das Bürgergeld auf Qualifizierung und Fortbildung setzt, ist die richtige Antwort auf diese neue Herausforderung.

Ja, mit dem Bürgergeld lassen die Sozialdemokrat*innen und die Bundesrepublik insgesamt Hartz IV hinter sich. Und das ist gut so. Allein damit getan ist es jedoch nicht. Ebenso wichtig ist die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, die zum 1. Oktober kommen wird. Vervollständigt wird das Paket dann mit der Einführung der Kindergrundsicherung. Hoffentlich im kommenden Jahr.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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