Soziale Politik

Bürgergeld: Wie die Ampel Hartz IV beendet

Mit dem Beschluss des Bürgergelds im Kabinett besiegelt die Ampel das Ende von Hartz IV. Das neue System verspricht nicht nur höhere Leistungen, sondern auch einen anderen Vermittlungsansatz: Künftig steht die Qualifizierung im Mittelpunkt.
von Kai Doering · 13. September 2022
Ein Systemwechsel: Mit der Einführung des Bürgergelds lässt die Ampel Hartz IV hinter sich.
Ein Systemwechsel: Mit der Einführung des Bürgergelds lässt die Ampel Hartz IV hinter sich.

Der letzte strittige Punkt wurde erst kurz vor Schluss geklärt. Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil seinen Entwurf für das geplante Bürgergeld bereits im Juli vorgelegt hatte, blieb die geplante Höhe der neuen Regelsätze zunächst offen. Seit dem Wochenende ist klar: Für Alleinstehende soll das Bürgergeld 502 Euro betragen – ein Plus von 53 Euro im Vergleich zum bisherigen Hartz-IV-Regelsatz. Volljährige Partner*innen in einer Bedarfsgemeinschaft sollen künftig 451 Euro erhalten. Kinder je nach Alter zwischen 318 und 420 Euro. Zudem soll ein Ausgleichsmechanismus für die Inflation eingeführt werden.

Ein Systemwechsel, für den die SPD gekämpft hat

„Ein angemessener Inflationsausgleich bei der Regelsatzberechnung ist in Zeiten wie diesen besonders wichtig und war lange überfällig“, betont  Annika Klose, zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion. „Daher begrüße ich diesen Schritt, auf den sich mit dem dritten Entlastungspaket geeinigt wurde, sehr.“ Allerdings müsste aus Kloses Sicht mehr getan werden als nur die Inflation auszugleichen. „Es geht auch um mehr soziale Teilhabe“, sagt die Abgeordnete. Sie werde sich daher weiter für eine Anpassung der Regelsätze an die Lohnentwicklung stark machen.

„Dass der Regelsatz beim Bürgergeld nun um mehr als 50 Euro steigen soll, ist ein gutes Zeichen, gerade in Zeiten einer deutlich steigenden Inflation“, sagt der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil dazu. Gleichzeitig betont er, dass es beim Bürgergeld aber nicht nur um höhere Regelsätze gehe, „sondern auch um weniger Bürokratie und um Qualifizierung für diejenigen, die ihren Job verlieren und in eine schwierige Lage geraten“. Klingbeil hebt hervor: „Die Einführung des Bürgergelds ist ein Systemwechsel, für den wir als Sozialdemokraten gekämpft haben.“

„Mit dem Bürgergeld lassen wir das bestehende System hinter uns“, betont auch Annika Klose. „Es ist das Ende von Hartz IV.“ Das hat die SPD bereits 2019 eingeleitet: Auf ihrem Bundesparteitag beschloss sie ihr Sozialstaatskonzept, das sich schließlich im Programm für die Bundestagswahl wiederfand und auch in den Koalitionsvertrag von Grünen und FDP aufgenommen wurde. „Viele Kritikpunkte, die es am Hartz-IV-System immer gab, werden damit beseitigt“, betont Annika Klose.

Qualifizierung im Mittelpunkt

Sanktionen für Arbeitssuchende etwa würden deutlich reduziert: So dürfen Kosten für die Wohnung nicht mehr gekürzt werden. Unter 25-Jährige dürfen nicht mehr härter sanktioniert werden als ältere Bürgergeld-Empfänger*innen. Wenn doch Leistungen gekürzt werden, dann um maximal 30 Prozent. Und es gibt eine zweijährige Karenzzeit, in der weder das Vermögen noch die Wohnung der Bürgergeld-Bezieher*innen angetastet werden darf. Zwar wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zuletzt ohnehin nur drei Prozent der Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen mit Sanktionen belegt, doch vor allem die Sorge davor habe viele stark belastet.

Die eigentliche Veränderung ist aber das, was Annika Klose einen „Kulturwandel unserer Sozialpolitik“ nennt: Statt Menschen um jeden Preis so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen, soll es künftig darum gehen, sie so zu qualifizieren, dass sie diese möglichst lange behalten. Dafür sollen Arbeitssuchende, die sich weiterbilden, künftig einen monatlichen Bonus in Höhe von 150 Euro erhalten. So sollen Anreize gesetzt werden, einen Abschluss nachzuholen oder umzuschulen. „Die Menschen sollen einen Job finden, der zu ihnen passt“, erklärt Annika Klose den Ansatz. Statt der bisherigen „Eingliederungsvereinbarung“ sollen Arbeitsvermittler*innen und Arbeitssuchende künftig gemeinsam einen Kooperationsplan erarbeiten, in dem individuell Maßnahmen und Ziele festgelegt werden, um die Stärken der Arbeitssuchenden weiterzuentwickeln. Das sei deutlich wirksamer als die Androhung von Strafen, ist Klose überzeugt.

„2022 ist nicht mehr 2002“

Das Bürgergeld ist damit auch eine Reaktion auf einen vollkommen veränderten Arbeitsmarkt. War die damalige rot-grüne Bundesregierung bei der Einführung des Hartz-IV-Systems mit Massenarbeitslosigkeit konfrontiert, gehe es heute darum, Fachkräfte zu qualifizieren und offene Stellen zu besetzen, betont Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. „2022 ist nicht mehr 2002“, sagte er bei der Vorstellung des Referentenentwurfs im Juli. Für Annika Klose ist das Bürgergeld auch ein Teil der Versöhnung der SPD mit ihrer eigenen Geschichte. „Mit der Einführung des Bürgergelds können wir Sozialdemokraten wieder erhobenen Hauptes über unserer Sozialpolitik sprechen.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare