Bilanz nach einem Jahr: Die zwei Baustellen beim Klimaschutz
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Vor rund einem Jahr einigte sich die Bundesregierung nach langen Debatten auf ein Klimaschutzpaket. Begleitet wurden die Verhandlungen von großen Protesten von „Fridays For Future“, vielen gingen die Maßnahmen der großen Koalition nicht weit genug. Trotzdem fällt die erste Bilanz von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) nach einem Jahr gut aus: „Seit Herbst haben wir vieles angeschoben“, sagt sie, spricht bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsforums der SPD von einem „kräftigen Schub“, ergänzt durch das Konjunkurpaket in diesem Jahr.
Klimaschutzgesetz in Kraft, Kohleausstieg beschlossen
Fakt ist: Viele der Einigungen aus dem Herbst 2019 wurden inzwischen ausformuliert, das Klimaschutzgesetz in Kraft. Ab Januar 2021 gibt es in Deutschland eine CO2-Abgabe auf die Nutzung fossiler Brennstoffe, der Einstiegspreis wurde noch vor der Einführung angehoben. Zur Bekämpfung der Coronakrise und des Strukturwandels fließen viele Milliarden in die Förderung nachhaltiger Konzepte. In der Zwischenzeit wurde auch der Kohleausstieg konkretisiert.
Das übergeordnete Ziel sei nicht, einfach alles teurer zu machen, erklärt Schulze die verschiedenen Maßnahmen, sondern es müssten in erster Linie Alternativen zu fossilen Brennstoffen gefördert werden. „Wir wollen vor allem das Verhalten ändern“, erklärt Schulze. Klimaschutz dürfe kein Projekt von den Reichen sein, sondern müsse von allen getragen werden, so ihr sozialdemokratischer Anspruch.
Doch es gibt weiterhin große Baustellen. Über zwei davon diskutierte Schulze in dieser Woche beim Wirtschaftsforum der SPD und bei der Bundestagsfraktion mit weiteren SPD-Politiker*innen sowie Vertreter*innen von Unternehmen und Gewerkschaften.
Erste Baustelle: Heizung und Wärme
Der CO2-Preis, der ab 2021 gilt, wird Energie, die aus Kohle, Gas und Öl gewonnen wird, verteuern. Um den Preisanstieg zu dämpfen, wird zwar die EEG-Umlage gedeckelt, doch das löst ein Problem nicht: In Deutschland werden viele Wohnviertel mittels „Kraft-Wärme-Kopplung“ (KWK) versorgt. Diese Kraftwerke arbeiten oft mit Erdgas – Mieter*innen haben keine Alternative zu diesem fossilen Energieträger.
„Es gibt noch keine Lösung für grüne Fernwärme“, erklärt Marie-Luise Wollf vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Hinzu kommt, dass viele Häuser in Deutschland vor Jahrzehnten gebaut wurden und noch auf fossile Heizungstechniken ausgerichtet sind. Die Sanierung des Bestands nehme zwar zu, meint Wolff, aber: „Wir müssen die Sanierungsraten noch deutlich nach oben kriegen.“ Dem pflichtet auch Rolf Buch von „vonovia“ bei, einem der größten Wohnungsunternehmen in Deutschland. „Teilweise ist ein Abriss wirtschaftlicher als die Sanierung.“ Er fordert zudem eine andere Denkweise bei der Energie- und Wärmeerzeugung: „Es macht keinen Sinn, Häuser einzeln zu betrachten.“
Die gegenwärtige Probleme erklärt Buch anhand mehrerer Beispiele, unter anderem am Mieterstrom-Konzept: Wenn auf großen Wohnhäusern Solarzellen installiert werden und der Strom von den Bewohner*innen verbraucht wird, werden dafür trotzdem teilweise Steuern fällig, außerdem kann überschüssiger Strom nicht an Nachbarn weitergegeben werden. „Selbst produzierte Energie sollte frei von Abgaben sein“, fordert Buch.
Diese Probleme sieht auch Schulze: „Wenn wir nicht stärker in Quartieren denken, werden wir das Problem nicht lösen.“ Sie sieht im Quartiersmanagement, in dem ganze Wohnviertel gemeinsam betrachtet werden, aber noch mehr Potential. Rechenzentren verbrauchen beispielsweise sehr viel Energie und produzieren Abwärme. „Diese Abwärme könnte man nutzen“, schlägt sie vor und plädiert für eine Integration dieser Zentren in Wärmekonzepte von Wohnquartieren. Ähnliches schlägt Buch auch für die Elektrolyse, also die Produktion von Wasserstoff mittels Strom, vor – ein zentraler Aspekt der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.
Zweite Baustelle: Carbon Leakage
Steigen für die Stahlindustrie die Kosten durch den CO2-Preis, führt das dazu, dass Stahl „Made in Germany“ teurer wird. Die Folge: Deutscher Stahl wird nicht gekauft, Importe sind günstiger, Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland gehen verloren. Und das ohne Effekt für das Klima, solange der Stahl woanders mit fossilen Brennstoffen produziert wird.
„Carbon Leakage“ wird dieses Risiko genannt, wenn aufgrund nationaler Auflagen die Emissionen nur verlagert, aber nicht gesenkt werden. Um das zu verhindern, ziehen Klimaschützer*innen, Gewerkschaften und SPD an einem Strang. „Die IG Metall arbeitet mit Fridays for Future im Saarland Hand in Hand, um eine grüne Stahlproduktion hinzubekommen“, sagt der saarländische SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Petry. Europa müsse den Schutz garantieren, um diesen Umbau zu ermöglichen. Staatliche Unterstützung ist dafür ebenso notwendig, wie Kajsa Borgnäs ergänzt. „Wir brauchen eine aktivere Industriepolitik von Seiten des Staates“, so die Geschäftsführerin der IGBCE-Stiftung Arbeit und Umwelt. „Die Märkte sind viel zu langsam.“ Borgnäs drängt deshalb zur Eile, um Unternehmen Sicherheit zu geben.
Außerdem fordert sie einen Umbau der EEG-Umlage, an dem auch die SPD-Bundestagsfraktion gerade arbeitet. „Wir müssen das gesamte Steuersystem neu denken“, pflichtet Umweltministerin Schulze ihr bei und verweist auf die Bemühungen, ein Steuermodell zu entwickeln, das CO2-Neutralität fördert. Gelöst werden müsse „Carbon Leakage“ aber auf europäischer Ebene, da sind sich Schulze und Borgnäs ebenso einig.
Einen Ansatz hat Schulze allerdings schon jetzt parat: Eine CO2-Steuer auf Importe wie Stahl, der nicht so klimafreundlich produziert wird wie in Deutschland. „Und das machen wir so lange, bis alle CO2-frei produzieren.“