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Warum ein Berliner bei der Parlamentswahl in Italien kandidiert

Sein Wahlkreis ist ein ganzer Kontinent. Als Vertreter der Italiener*innen im Ausland kandidiert Federico Quadrelli bei der italienischen Parlamentswahl. Dabei treibt ihn auch die Sorge vor einem Rechtsruck an.
von Kai Doering · 23. August 2022
Will aus Berlin ins italienische Parlament: Federico Quadrelli
Will aus Berlin ins italienische Parlament: Federico Quadrelli

Die erlösende E-Mail kam um ein Uhr nachts. Am 15. August wurde Federico Quadrelli mitgeteilt, dass er bei der italienischen Parlamentswahl am 25. September für den Partito Democratico (PD), die Schwesterpartei der SPD, kandidieren darf. Sein kleines Wahlkampfteam stand da bereits. „Wir haben direkt am nächsten Morgen begonnen, Flyer vorzubereiten, erzählt Quadrelli.

Ein Wahlkreis bis zum Ural

Das Besondere an seiner Kandidatur ist, dass Federico Quadrelli gar nicht in Italien lebt, sondern in Berlin: Der 35-Jährige kandidiert im Auslandswahlkreis Europa. In diesem geben alle italienischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz im europäischen Ausland ihre Stimme ab, per Brief. 2,5 Millionen Menschen sind das. „Der Wahlkreis reicht von Portugal bis zum Ural“, erklärt Quadrelli. Und damit fangen seine Probleme an.

„Ich schlafe im Moment kaum“, sagt Federico Quadrelli. Gerade ist er aus Magdeburg zurückgekehrt, wo am Wochenende ein italienisches Kulturfestival stattgefunden hat – „La Dolce Vita“, das süße Leben. Auf das wird Federico Quadrelli in den kommenden Wochen verzichten müssen, auch wenn sein Reiseplan verführerisch klingt. London, Wien, Paris, Brüssel, Madrid will er besuchen. Dazu in Deutschland Hamburg, Frankfurt, München und Stuttgart, alles Städte, in denen es größere italienische Communities gebe.

Von der SPD lernen

„Ich möchte mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommen, damit sie sich ein Bild von mir machen können“, erzählt Quadrelli. Es reiche nämlich nicht, dass sie bei der Wahl den PD ankreuzten. Sie müssten auf den Wahlzettel auch seinen Namen schreiben, damit die Stimme ihm zugerechnet werde. Nur so habe er eine Chance, ins italienische Parlament einzuziehen.

Bei der letzten Wahl 2018 habe der PD 190.000 Stimmen im europäischen Wahlkreis erhalten, erzählt Qadrelli. 15.000 Stimmen hätten damals gereicht, um ins Parlament einzuziehen. Das ist die Zielmarke. „Es leben etwa 40.000 wahlberechtigte Italiener in Berlin und Umgebung“, weiß Quadrelli. Auf die wolle er sich konzentrieren. Im Wahlkampf will er dabei auch auf Dinge zurückgreifen, die die SPD erfolgreich genutzt habe, den Tür-zu-Tür-Wahlkampf etwa.

Stimme der Verletzlichen

Dabei hilft Quadrelli, dass er eine Liste zur Verfügung gestellt bekommen hat mit den Adressen aller Wahlberechtigten seines Wahlkreises. „Am einfachsten wäre es natürlich, alle zweieinhalb Millionen einfach anzuschreiben, aber wer soll das bezahlen?“, sagt er. Ohnehin muss Federico Quadrelli seinen Wahlkampf vollständig aus der eigenen Tasche bezahlen. Unterstützung von der Partei erhält er nicht. Immerhin gebe es ein paar Klein-Spender*innen.

So bleibt ihm also nur, selbst unterwegs zu sein und seinen Flyer zu verteilen, auf dem erklärt ist, wie das Wahlverfahren im Ausland abläuft und ein Link zu seinem Programm aufgedruckt ist. „Ich bin der einzige PD-Kandidat hier mit eigenem Programm“, berichtet er stolz. Als Themen, die ihn bewegen, nennt Quadrelli Umweltschutz, Jugend und Minderheitenrechte. „Ich sehe mich als Brückenbauer ins Parlament“, sagt er. „Gerade Menschen, die vulnerabel sind, brauchen eine Stimme. Die will ich sein.“

Sorge vor einem Rechtsruck

Die italienische Community in Deutschland nimmt Federico Quadrelli als gespalten wahr. Da gebe es auf der einen Seite die, die einst als „Gastarbeiter“ ins Land kamen und die vor allem Themen wie Rentenansprüche und die Gesundheitsversorgung beschäftigten. Auf der anderen Seite gebe es die Jungen, die zum Studieren kämen und die vor allem die Anerkennung ihrer Abschlüsse und eine vernünftige Bezahlung bewegten.

Federico Quadrelli selbst kam 2012 nach Berlin. Er arbeitete für das Dienstleistungsunternehmen „Arvato“, begann etwas später ein Masterstudium in „European Studies“ an der Universität Frankfurt/Oder. Über den Europawahlkampf 2014 fand er den Weg zur SPD, wurde Mitglied. Inzwischen promoviert er zum Thema Rechtspopulismus unter Jugendlichen in Deutschland und Italien. Das Thema bewegt ihn auch persönlich. „Meine Oma wurde fast von den Nazis erschossen“, erzählt Qadrelli. Sie sei inzwischen 93 Jahre alt.

Auch deshalb trifft es Federico Quadrellli, dass bei der Parlamentswahl ein extrem nationalpopulistisches Lager aus den „Fratelli d'Italia“, der „Lega“ und „Forza Italia“ die Mehrheit erringen könnte. „Sie wollen das politische System grundlegend verändern“, ist Quadrelli überzeugt. „Darauf müssen wir eine Antwort geben.“ Und so reist er weiter durch Europa und wirbt für sich und den PD. Aufgeben kommt für Federico Quadrelli nicht infrage.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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