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Mit Backen in den Bundestag: Rasha Nasr will aus Dresden nach Berlin

Rasha Nasr will für die SPD in den Bundestag. Denn der sei „zu weiß, zu alt, zu männlich und zu akademisiert“, sagt die junge Dresdnerin. Unterstützt wird sie von der Initiative „Brand New Bundestag“.
von Jonas Jordan · 20. April 2021
Rasha Nasr aus Dresden kandidiert für den Bundestag.
Rasha Nasr aus Dresden kandidiert für den Bundestag.

„Backen ist ein bisschen wie Politik. Man braucht die richtigen Zutaten, die richtigen Mengen und ganz viel Geduld. Dann kann am Ende was richtig Schönes rauskommen“, sagt Rasha Nasr, während sie einen Muffin verziert. Sie hält ihn in die Kamera. Er trägt eine Rosenverzierung. Zu sehen ist das im Vorstellungsvideo der jungen Dresdnerin, das sie unter anderem auf Twitter veröffentlicht hat. Nasr kandidiert für den deutschen Bundestag. „Es ist der Moment gekommen, an dem auch Menschen wie ich den Mut haben, ihren Hut in den Ring zu werfen“, sagt sie im Interview mit dem „vorwärts“.

Jemand wie sie? Eine junge Frau aus Ostdeutschland mit Migrationshintergrund. Sie steht gleich für vier Gruppen, die zurzeit im Parlament unterrepräsentiert sind. „Ich weiß nicht, ob ich die perfekte Repräsentantin für alle diese Gruppen bin. Ich glaube aber schon, dass es immer wichtiger wird, diese Perspektiven einzubringen“, sagt sie. Denn der Bundestag ist aus ihrer Sicht „zu weiß, zu alt, zu männlich und zu akademisiert“. 1986 kamen Nasrs Eltern aus Syrien in die damalige DDR. Sie selbst ist nach dem Mauerfall geboren. Trotzdem sagt sie, dass sie sich immer mehr als ostdeutsche Frau fühle.

Harte Ungerechtigkeiten 30 Jahre nach der Wiedervereinigung

Das habe mit „harten Ungerechtigkeiten“ zu tun, die auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer spürbar seien. In Sachsen erhalten nur 39 Prozent der Beschäftigten einen Tariflohn, referiert sie. Damit ist das Bundesland deutschlandweites Schlusslicht. Auch insgesamt haben Renten und Gehälter noch lange kein West-Niveau erreicht. Die Grundrente sei immerhin ein wichtiger, erster Schritt für mehr Respekt und Anerkennung der Menschen in Ostdeutschland. Auch der Mindestlohn müsse deutlich steigen, fordert sie. Wenn sie nach dem 26. September Bundestagsabgeordnete ist, will sie sich dafür einsetzen. Denn mehr als 120.000 Sächs*innen seien darauf angewiesen.

Sie will stärker in den Dialog treten, Menschen wieder an die Politik heranführen. „Es braucht ein Gegengewicht zu all denen, die auf die Straße gehen, „Wir sind das Volk“ rufen und gegen Geflüchtete hetzen“, sagt Nasr. Dabei bekommt sie Ablehnung aufgrund des Aussehens auf der Straße selbst zu spüren. Wenn jemand ihr ein „Geh doch nach Hause“ hinterherruft, reagiert sie schlagfertig und ruft zurück: „Wohin? Nach Dresden?“

„Meine Kandidatur allein ist für einige Provokation genug“

Doch manchmal gibt es auch Momente, die die junge Frau einfach nur traurig und wütend machen. Einmal stand sie an einer vollen Straßenbahnhaltestelle. Eine Gruppe junger Leute stand ihr gegenüber, einer lief los und verteilte einen vollen Kaffeebecher auf ihrer Bluse. „Ich habe gerufen: Was soll das? Bist du bescheuert?“, sagt Nasr. Er antwortete: „Wieso? Jetzt passt die Bluse wenigstens zur Hautfarbe.“ Niemand ging dazwischen. Nasr lief weinend nach Hause und zog sich um. Die Anfeindungen beschäftigen sie. „Meine Kandidatur allein ist für einige Provokation genug, dass ich viel stärker auf den Schutz meines Umfeldes achten muss als andere Kandidierende.“ Doch unterkriegen lässt sich die Sozialdemokratin weder vom Hass im Netz noch von Anfeindungen auf der Straße.

Unterstützung erfährt sie dabei von der überparteilichen Initiative „Brand New Bundestag“, die eine neue Generation von Politiker*innen ins Parlament bringen möchte. Nasr gehört zu den Finalist*innen. In einem mehrstufigen Auswahlverfahren musste sie zunächst einen Fragebogen ausfüllen und ein Vorstellungsvideo über sich drehen. Nun erfährt sie wöchentlich Unterstützung durch Workshops, bei denen es um den eigenen Auftritt in sozialen Medien, den Umgang mit Hate Speech geht oder darum, wie es eigentlich ist, als junge Frau im Bundestag zu sein. „Sie helfen mir, Türen zu öffnen, durch die ich alleine nicht hätte gehen können“, sagt Nasr. Das Vorbild der Initiative ist „Brand New Congress“ aus den USA, das der jungen demokratischen Hoffnungsträgerin Alexandria Ocasio-Cortez den Sprung ins Parlament ermöglichte.

Vanille-Cupcakes mit bunten Streuseln zur Kindergrundsicherung

Innerhalb der Dresdner SPD erfährt Nasr auch von ihrer Freundin Sophie Koch große Unterstützung. Vor zwei Jahren bewarb sich Koch selbst um einen Sitz im sächsischen Landtag. „Sophie Koch hat mich inspiriert mit ihrem tollen Wahlkampf 2019. Ich glaube, dass wir das auch mit meiner Kampagne hinbekommen“, hofft Nasr. Koch griff damals ganz tief in die Wortspiel-Kiste und veröffentlichte ein „Kochbuch“ mit sowohl politischen als auch kulinarischen Rezepten. Ähnliches schwebt Nasr auch vor, ohne Wortwitz, aber mit Schwerpunkt auf dem Thema Backen: „Backen bedeutet für mich, meine Seelenruhe zu finden. Wenn ich abschalten muss, backe ich.“

Daher will sie für den Wahlkampf ein Küchenstudio mieten und mit Gäst*innen zusammen über politische Themen diskutieren und passende kulinarische Kreationen entwerfen. „Zum Beispiel könnten wir beim Thema Kindergrundsicherung Vanille-Cupcake mit bunten Streuseln backen, bei nachhaltiger Verkehrspolitik gibt’s dann einen veganen Matcha-Cupcake mit grünem Tee-Topping“, führt sie aus. Die Rezepte will sie später auf ihrer Homepage veröffentlichen. Und vielleicht kommt dann ja auch mal ihre Freundin Sophie im Kochstudio vorbei. Denn Nasr sagt: „Mir ist es auch total wichtig, Freunde zu haben, die wissen, wer ich bin, und mich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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