Ausstellung über Helmut Schmidt: Auf den Spuren des Alt-Kanzlers
Michael Zapf
Eine Flasche Weinbrand, einen „Armagnac Domaine de Gaube“, erwartet man nicht unbedingt, wenn man eine Ausstellung besucht, die sich dem Leben und Wirken eines früheren Kanzlers widmet. Aber sie gehört aus gutem Grund neben vielen anderen bemerkenswerten Objekten und Dokumenten zu den Exponaten der neukonzipierten Dauerausstellung „Schmidt! Demokratie leben“ im Zentrum Hamburgs. Die Flasche ist ein Geschenk des erst im Dezember verstorbenen früheren französischen Staatspräsidenten Giscard d´Estaing an seinen Freund Helmut Schmidt. Sie stammt aus dem Jahr 1918, dem letzten Jahr des Ersten Weltkriegs und dem Geburtsjahr des zweiten sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Und sie steht symbolisch für die Überwindung von Feindschaft und Krieg sowie die deutsch-französische Aussöhnung.
Eine kritische Bestandsaufnahme
Auf 270 Quadratmetern hat die vor vier Jahren vom Bundestag errichtete „Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung“ einen zeitlich-thematischen Rundgang konzipiert, der sich facettenreich mit dem Leben und der Lebensleistung Helmut Schmidts und damit gleichsam mit fast einhundert Jahren deutscher und internationaler Zeitgeschichte auseinandersetzt. Keineswegs, so Meik Woyke, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Stiftung, werde dabei „Helmut Schmidt in Stein gemeißelt oder wie ein Denkmal behandelt“. Es gehe vielmehr um eine kritische Bestandsaufnahme und die Darstellung des Kanzlers mit all seinen Vorzügen und auch Widersprüchen.
Die Ausstellung, so Kurator Magnus Koch, sei vor allem „ein Ort der politischen Bildung und der gesellschaftlichen Debatte“. Die freie Meinungsäußerung und der Wettstreit der Ideen waren für Schmidt Eckpfeiler der Demokratie. Politisch stand für ihn die Einheit Europas im Vordergrund und die Einsicht in die Notwendigkeit multilateraler Abstimmung. Über diese und andere Themen will die Ausstellung mit den BesucherInnen ins Gespräch kommen. Was bedeuten diese Grundsätze heute?
„Die Ausstellung soll Denkanstöße geben“, erklärt Koch. Es gebe deshalb viele interaktive Elemente, Umfragen und ein Quiz. Die Gäste werden aufgefordert, zu tagespolitischen Themen Stellung zu beziehen. Eindrucksvoll belegen Zitate des Staatsmannes Schmidt, die mit aktuellen Pressebildern verknüpft werden, dass die Aussagen des Bundeskanzlers auch heute noch von hoher Relevanz und Signifikanz sind. Für jüngere Besucher ist eigens eine „Schülerspur“ eingerichtet worden. Zielgerichtete Materialien und Fragestellungen sorgen auf diese Weise für einen „außerschulischen Lernort“.
Helmut Schmidt aus vielen Perspektiven
Die Ausstellung gliedert sich in vier Abschnitte. Zunächst geht es um den Menschen Helmut Schmidt, sodann um seinen politischen Werdegang in den 1950er und 1960er Jahren. Den Kernbereich bildet naturgemäß die Kanzlerschaft Schmidts von 1974 bis 1982 mit all ihren für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik so prägenden Ereignissen und Entscheidungen. Darunter der Umgang mit dem Terror der RAF, die Debatte um die NATO-Nachrüstung oder die Diskussion um die Atomkraft. Den Kuratoren war dabei das Prinzip der „Multiperspektivität“ wichtig. Den Positionen des Kanzlers werden die Auffassungen seiner Kritiker gegenübergestellt. Den Gästen, so Koch, soll das Material geliefert werden, dass sie brauchen, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Abschließend wirft die Ausstellung einen Blick auf Schmidts Jahre „außer Dienst“, als Publizist und Herausgeber der „Zeit“.
Den Reiz der Ausstellung machen auch viele spannende Exponate aus dem Wohnhaus der Schmidts in Hamburg-Langenhorn und aus diversen Archiven aus. So kann man Schmidts Dienstkalender mit Eintragungen aus der Zeit der Entführung des 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Matin Schleyer einsehen. Interessant ist auch ein von Schmidt eigenhändig geschnitztes Schachspiel aus der Zeit der Kriegsgefangenschaft. Und auch ein Schleuder-Aschenbecher aus Kunststoff und Metall darf nicht fehlen, den der frühere Kanzler regelmäßig nutzte.
Die Eröffnung der Ausstellung war ursprünglich für den 10. November geplant, den fünften Todestag von Helmut Schmidt. Corona-bedingt musste dieser Termin abgesagt werden. Virtuell war (und ist) aber ein erster Rundgang mit den Kuratoren der Ausstellung möglich. Das ersetzt nicht den späteren Besuch vor Ort, hat aber zumindest den Vorteil, dass man während der virtuellen Führung eine Zigarette rauchen kann. In den Ausstellungsräumen selbst ist das – obwohl der Glimmstengel zum Markenzeichen Schmidts wurde – strikt untersagt.
war Parlamentsredakteur für verschiedene Tageszeitungen sowie Sprecher der SPD und der NRWSPD. Für den vorwärts berichtet er vor allem aus Nordrhein-Westfalen.