Warum die Atomwaffenkonferenz gescheitert ist – und was folgen muss
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Atomwaffen sind wieder auf der Agenda: Russland droht mit ihrem Einsatz, China baut sein Arsenal aus und die Bundesregierung plant, F-35 Kampfjets zu beschaffen, um die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen im Ernstfall einsetzen zu können. Gleichzeitig ist das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes zurzeit so hoch wie seit dem Kalten Krieg nicht.
Das Risiko einer nuklearen Eskalation steigt
Die Staatengemeinschaft steht somit vor der drängenden Herausforderung, konkrete Antworten auf stetigen Aufrüstungsbestrebungen und die aktuelle nukleare Bedrohung zu finden. Eine Chance dazu bot die zehnte Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) bei den Vereinten Nationen in New York. Der Vertrag wurde 1968 verabschiedet und gilt als Eckpfeiler des nuklearen Rüstungskontroll- und Abrüstungsregimes. Die Überprüfungskonferenzen finden nur alle 5 Jahre statt. Die aktuelle Konferenz war regulär für 2020 geplant und wurde pandemiebedingt mehrmals verschoben.
Für Fortschritte in der nuklearen Abrüstung muss die Staatengemeinschaft auf diesen Konferenzen konkrete, mess- und überprüfbare Maßnahmen mit einem klaren Zeitrahmen verabschieden. Das ist jedoch selbst mit dem vergleichsweise progressiven Aktionsplan von 2010 nicht gelungen. 2015 scheiterten die Staaten, ein Abschlussdokument zu verabschieden. Unter anderem deshalb steigt das Risiko einer nuklearen Eskalation weiter in den vergangenen Jahren.
Vielversprechender Beginn, ernüchterndes Ende
Außenministerin Annalena Baerbock sprach persönlich zum Auftakt der Konferenz. Sie forderte eine Verurteilung des kriegerischen Vorgehens von Russland und des nordkoreanischen Raketenprogramms. Außerdem sprach sie sich für “konkrete Maßnahmen zu Transparenz bei den Arsenalen und Zurückhaltung bei den Doktrinen, krisenfeste Kommunikation zur Verhütung von Eskalation und einen Dialog über künftige Rüstungskontrollvereinbarungen” aus.
Die ersten Arbeitspapiere der Konferenz klangen in ihren Ansätzen noch recht vielversprechend: Sie enthielten konkrete Bemühungen für Abrüstung, die Verantwortung der Staaten der nuklearen Teilhabe - zu denen auch Deutschland gehört - wurde betont und die humanitären Folgen von Atomwaffen anerkannt. Doch der vierwöchige Verhandlungsprozess verwässerte jegliche Ambitionen. Alle Anstrengungen, welche die Staatengemeinschaft unternommen hatte, wurden schrittweise am Ende durch Zugeständnisse an die Atomwaffenstaaten konterkariert. Der finale Entwurf für ein Konsensdokument enthielt schließlich keinerlei Bestrebungen mehr, konkrete und überprüfbare Schritte zur nuklearen Abrüstung anzugehen, geschweige denn umzusetzen.
Die Konferenz sah sich durch den Angriffskrieg auf die Ukraine und insbesondere den Kampfhandlungen am Atomkraftwerk Saporischschja außerdem mit einer neuen Konfliktdimension konfrontiert: der Militarisierung eines Nuklearkraftwerks. Dieser Konflikt führte schließlich auch zum Scheitern der Verhandlungen. Russland lehnte die Formulierung des Abschlussentwurfes ab. Die russische Delegation argumentierte, dass die Verhandlungen ein “einseitiges Spiel” gewesen seien und erhob Einwände gegen “einige Absätze, die offenkundig politischer Natur sind”. Mit der Ablehnung Russlands kann das Abschlussdokument aufgrund des Konsensprinzips nicht angenommen werden. Damit ist die Konferenz nicht nur inhaltlich, sondern auch offiziell gescheitert. Vier Wochen Verhandlungen enden ohne Ergebnis.
Neue Dynamik zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen
Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus dieser Konferenz ziehen? Zum einen lässt sich eine neue Dynamik im Verhältnis der Gegner- und Befürworter*innen von Atomwaffen beobachten. Costa Rica verlas im Namen von 144 Staaten ein Humanitäres Statement, das die Folgen von Atomwaffen auf Mensch und Umwelt thematisiert und feststellt, dass ein Atomkrieg jetzt und in Zukunft niemals geführt werden darf. Zu den Unterstützer*innen zählen unter anderem Österreich, Südafrika und Irland, auch NATO-Staat Griechenland ist dabei. Die Bundesregierung hat die Unterstützung des Statements hingegen abgelehnt. Diese Entscheidung ist eine Enttäuschung, denn eine Beteiligung wäre ein starkes Signal gewesen, dass die menschliche Sicherheit in der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands eine stärkere Rolle einnimmt.
Darüber hinaus war der Verhandlungsprozess für die Zivilgesellschaft phasenweise sehr intransparent. In der letzten Woche fanden alle Beratungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen statt. Aber auch in den vorherigen Wochen wurde ein partizipativer Dialog zwischen der Zivilgesellschaft und den staatlichen Vertreter*innen durch separate Eingänge wie auch Aufenthaltsorte erschwert. Zudem war es vielen Wissenschaftler*innen und NGO-Mitgliedern aus dem globalen Süden aufgrund der mehrmaligen Verschiebung des Konferenztermins nicht möglich, rechtzeitig einen Visatermin zu realisieren oder die Finanzierung für eine Reise zur Konferenz sicherzustellen. Ein inklusiver Prozess zu einer der drängendsten internationalen Herausforderungen sieht anders aus.
Große Aufgaben für die Bundesregierung
Das Scheitern der Konferenz ist ein weiterer Rückschlag für das internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime. Es spiegelt die fragile internationale Sicherheitslage wider und stellt abermals Fragen an die Glaubwürdigkeit und Funktionalität des Nichtverbreitungsvertrags. Zu bezweifeln ist aber, ob eine Einigung auf ein Abschlussdokument, das durch Zugeständnisse und Relativierungen maximal den Status Quo erhalten, wenn nicht sogar verschlechtern würde, eine bessere Option gewesen wäre. Es ist fraglich, wie die Mehrheit der Staatengemeinschaft, die Atomwaffen ablehnt, dieses Forum in Zukunft unterstützt.
Daher ist es zwingend notwendig, in Hinblick auf die kommende Vorbereitungskonferenz des NVV in Wien, diesen nachhaltig zu stärken und verantwortungsbewusste Schritte für die Zukunft der Nukleardiplomatie einzuleiten. Für die Bundesregierung bedeutet das, dass sie sich jetzt ernsthaft mit den Perspektiven der atomwaffenfreien Staaten auseinandersetzen muss. Dazu gehört auch, die Rolle der US-Atomwaffen in Deutschland zu hinterfragen und konkrete Maßnahmen zur Auseinandersetzung mit den Betroffenen von Atomwaffentests und Einsätzen zu entwickeln.