Inland

Arbeit und Corona-Krise: Warum Deutschland ein höheres Kurzarbeitergeld braucht

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert es, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unterstützt es: Das Kurzarbeitergeld muss höher werden. Denn die Corona-Krise verschärft bestehende Ungleichheiten in Deutschland, wie eine aktuelle Studie zeigt.
von Vera Rosigkeit · 21. April 2020
Das Kurzarbeitergeld beträgt derzeit 60 Prozent des Netto-Gehalts, bzw. 67 Prozent bei Beschäftigten mit mindestens einem Kind. Gewerkschaften und SPD setzen sich für eine Erhöhung ein.
Das Kurzarbeitergeld beträgt derzeit 60 Prozent des Netto-Gehalts, bzw. 67 Prozent bei Beschäftigten mit mindestens einem Kind. Gewerkschaften und SPD setzen sich für eine Erhöhung ein.

Das Kurzarbeitergeld soll auf 80 Prozent angehoben werden. Dafür spricht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) aus. Denn für viele tausend Beschäftigte, die nicht unter dem Schutz von aufstockenden Tarifverträgen stehen, bedeutet Kurzarbeit, mit 60 beziehungsweise 67 Prozent (Beschäftigte mit Kindern) ihres bisherigen Nettolohns auskommen zu müssen. Das reiche jedoch bei den wenigsten Familien zum Leben und für die Miete, argumentiert der DGB. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sieht das ähnlich. Die „Forderung des DGB ist plausibel“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ)" am Samstag und verriet: „In der Bundesregierung und unter den Sozialpartnern wird darüber beraten, wie wir Kaufkraftverluste ausgleichen können, wenn die Krise fortdauert.“

Corona-Krise verschärft bestehende Ungleichheiten

Nun bestätigt eine Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 7.677 Erwerbstätige interviewt wurden, die Notwendigkeit dieses Vorhabens. Denn 40 Prozent der Befragten in Kurzarbeit ohne Aufstockung gaben an, diese Situation maximal drei Monate finanziell durchhalten zu können. Und auch viele Beschäftigte, die derzeit ihre Arbeitszeit noch nicht reduzieren mussten, sind skeptisch, mit dem derzeit zu erwartenden gesetzlichen Kurzarbeitergeld über die Runden zu kommen.

Generell seien Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat sowie Frauen derzeit überproportional belastet, so die ersten Ergebnisse. Damit könnte die Corona-Krise bestehende Ungleichheiten am deutschen Arbeitsmarkt verschärfen und „langfristig negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft haben“, erklärt die Soziologin Bettina Kohlrausch von der Universität Paderborn zur Auswertung der Befragungsdaten.

Insgesamt gaben 14 Prozent der zwischen dem 3. und 14. April Befragten in abhängiger Beschäftigung an, in Kurzarbeit zu sein. Rechne man diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hoch, entspräche dies einer Anzahl von rund vier Millionen Beschäftigten, die momentan in Kurzarbeit sind, wobei Beschäftigte in niedrigeren Einkommensgruppen häufiger in Kurzarbeit seien als Arbeitnehmer mit höherem Einkommen. 

Unterschiede zwischen Frauen und Männern

Während bei einem Drittel (32 Prozent) der Befragten das Kurzarbeitergeld vom Arbeitgeber aufgestockt werde, berichtete die Hälfte (52 Prozent) der Befragten, dass es in ihrem Betrieb keine Aufstockung gebe. Beschäftigte in einem Unternehmen mit Tarifvertrag erhalten danach mehr als doppelt so häufig (45 Prozent) eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes wie Kolleg*innen ohne Tarifvertrag (19 Prozent). Nur 21 Prozent der Beschäftigten, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro verfügen, arbeiten in Betrieben, die Aufstockung anbieten. Hingegen erhalten 39 Prozent der Beschäftigten die über ein Haushaltsnettoeinkommen von über 4500 Euro verdienen, eine Aufstockung.

Obwohl Frauen und Männer ungefähr im gleichen Maße von Kurzarbeit betroffen sind, wird bei Frauen das Kurzarbeitergeld etwas seltener aufgestockt. Es sei bekannt, „dass in tarifgebundenen Unternehmen generell besser bezahlt wird und dass Frauen häufiger in kleineren Dienstleistungsbetrieben ohne Tarifvertrag arbeiten“, erklärt Soziologin Kohlrausch dazu. Zudem seien Frauen deutlich häufiger freigestellt und befänden sich geringfügig häufiger im krisenbedingten Urlaub. Lebten Kinder im Haushalt, übernähmen ganz überwiegend Frauen den größten Teil der nach Kita- oder Schulschließungen anfallenden Betreuungsarbeit. Laut Kohlrausch setzten sich dabei in vielen Familien bestehende Muster der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fort.

Mehr Geld in Pflege und Einzelhandel

Auch äußerten 74 Prozent der Befragten Sorgen über den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, 70 Prozent sorgten sich um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Besonders ausgeprägt ist das in den unteren Einkommensgruppen. 94 Prozent der Befragten unterstützten zudem die Forderung nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in „systemrelevanten“ Berufen wie Pflege oder Einzelhandel.

Bundesarbeitsmninister Heil erklärte vergangenen Samstag im Interview mit den „Tagesthemen“, dass eine „zeitlich befristete Aufstockung zu schultern“ sei. Die Bundesregierung sei bereits im Gespräch dazu, versicherte er. Für Mittwoch steht die Debatte über die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf der Tagesordnung im Bundestag.

Die von Kantar Deutschland im Auftrag der Böckler-Stiftung durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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