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Anke Hennig: für die SPD von der Kindertagespflege in den Bundestag

Taxifahrerin, Aldi-Kassiererin, Tagesmutter: ein ungewöhnlicher Lebenslauf für eine hauptamtliche Politikerin. Das wollte sie auch nicht werden, doch seit Oktober 2021 ist Anke Hennig für die SPD im Bundestag.
von Vera Rosigkeit · 17. Oktober 2022
SPD-Bundestagsabgeordnete Anke Hennig
SPD-Bundestagsabgeordnete Anke Hennig

Immer noch bekommt sie Gänsehaut, wenn sie an den Moment denkt, in dem sie den Plenarsaal des Bundestages als gewählte Repräsentantin für ihre erste Fraktionssitzung betrat. „Die Fraktion ist wie eine Familie auf mich zugekommen, dennoch war es seltsam. Ich kannte da ja niemanden, und wenn, dann nur aus dem Fernsehen“, erzählt Anke Hennig. Seit einem Jahr vertritt die 59-Jährige den Wahlkreis Osnabrücker Land im Deutschen Bundestag. Rund 45.000 Wähler*innen konnte sie im Wahlkampf im vergangenen Jahr von sich überzeugen, 6.000 Stimmen mehr als ihr Vorgänger. Über den Listenplatz 18 zog sie in den Bundestag ein. 

Kindertagespflege als Steckenpferd

Dort sitzt sie im Familienausschuss und ist Berichterstatterin für die Kindertagespflege. „Das ist mein Steckenpferd“, betont sie. Bis zu ihrer Wahl in den Bundestag war sie als qualifizierte Kindertagespflegeperson in einer Grundschule in Bramsche tätig. „Ich bin wohl die erste Tagesmutter im Bundestag und will anderen Tagesmüttern eine Stimme geben“, sagt sie. Denn diese Arbeit sei in den vergangenen Jahren sehr stiefmütterlich behandelt worden. Zwar sei der Betreuungsschlüssel gut, denn jede Tagespflegeperson dürfe bis zu fünf Kinder betreuen.

Doch Hennig kritisiert, dass Tagesmütter und -väter in die Selbstständigkeit gedrängt werden und so keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachkommen können. „Sie werden dazu gezwungen, sich selbst freiwillig pflichtzuversichern. Das ist für mich ein Problem“, so Hennig. Die Mitarbeiter*innen würden als pädagogische Hilfskräfte nicht selten als Lückenfüller benutzt, obwohl sie qualitativ hochwertige Arbeit leisten und gut ausgebildet seien. Ihrer Meinung nach haben sie ein hohes Potenzial, um bei der Kinderbetreuung einzusteigen, erklärt sie mit Blick auf den Fachkräftemangel in diesem Berufszweig.

Kinderrechte ins Grundgesetz

Der Abschied als Tagesmutter ist ihr schwergefallen, weil sie so gerne mit Kindern gearbeitet habe. Und das schon seit ihrer Jugendzeit. Deshalb liegt ihr die gesetzliche Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz auch besonders am Herzen: „Nicht weil wir sagen, dass es gut für die Kinder ist, sondern weil Kinder sagen, dass sie ihre Rechte im Grundgesetz haben wollen.“

Seit 2011 ist die Mutter dreier Kinder in der Bramscher Kommunalpolitik tätig. Neben vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, die sie schon seit ihren Jugendtagen übernehme, war sie zunächst Mitglied des Ortsrates in Achmer. 2015 wurde Hennig Mitglied des Rates der Stadt Bramsche und dort Vorsitzende des Ausschusses für Soziales und Sport. „Im Januar 2018 übernahm ich das Amt der Ortsbürgermeisterin in Achmer“. Als die Anfrage kam, für den Bundestag zu kandidieren, war ihr schnell klar: „Diese Chance bekommt man nur einmal im Leben. Deshalb bin ich auch ganz selbstbewusst in den Wahlkampf gegangen.“

Aber es gab Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Für Hennig kein Grund, die Kandidatur zurückzuziehen: „Meine Familie stand voll hinter mir.“ Ihre Partei habe sie davon erzeugt, dass man im Bundestag Frauen wie sie brauche. „Ich komme voll aus dem Leben und weiß, wovon ich rede, wenn ich über Probleme von Menschen spreche. Ich bringe alles mit, was die SPD in ihren Reihen haben muss.“ Sie gewann die Nominierung als Bundestagskandidatin und startete mit Volldampf in den Wahlkampf.

Ein Jahr beim Discounter Aldi an der Kasse

Dabei war es für sie eigentlich nie eine Option, hauptberuflich Politikerin zu werden. Denn das Leben ihrer Mutter Helga Lewandowsky, die 16 Jahre lang Abgeordnete des Niedersächsischen Landtages war, war von Entbehrungen geprägt. Tatsächlich ist Hennigs Lebensweg für eine Bundestagsabgeordnete eher ungewöhnlich. Nach dem Abitur arbeitete sie als Taxifahrerin in Bramsche, dann als Büroassistentin in Hamburg und zurück in Bramsche. 2007 dann ging sie mit ihren zwei Töchtern nach Australien und saß ein Jahr lang beim Discounter Aldi-Süd an der Kasse. Erst nach ihrer Rückkehr qualifizierte sie sich für die Kindertagespflege.

Seit 1986 ist sie in der SPD. Als stellvertretende queerpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion setzt sie sich unter anderem dafür ein, das menschenunwürdige Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Aber auch Frauenrechte liegen ihr am Herzen, nicht zuletzt weil sie als kurzzeitig alleinerziehende Mutter Diskriminierung erleben musste, als sie ihre Tochter als uneheliches Kind beim Jugendamt meldete, um einen Unterhaltsvorschuss zu beantragen.

Einsatz auf Augenhöhe

Als Bundestagsabgeordnete sei sie jedoch für alle Themen und Belange in ihrem Wahlkreis zuständig. Schließlich sei sie unter dem Motto „Mit Herz und Respekt für das Osnabrücker Land angetreten, um die Interessen unserer Region in Berlin zu vertreten“, erklärt Hennig.

Das Gefühl von Demut ist geblieben – bis heute. „Wenn ich den Plenarsaal betrete, denke ich, das ist so groß und ich habe das Privileg hier zu sein. Die Menschen erwarten von mir, dass ich mich für sie einsetze und zwar auf Augenhöhe.“ Das sei ihr Auftrag und für sie als Sozialdemokratin ganz wichtig. „Ich bin nicht bereit, mich von den Menschen in meinem Wahlkreis zu entfernen.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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