Debatte

Andrea Nahles: Was uns eine anständige Rente wert sein sollte

Bundesministerin Andrea Nahles will die gesetzliche Rente stärken und fordert ein garantiertes Rentenniveau. Die Kosten dafür will sie gerecht verteilen, erklärt sie im Interview. Doch die Union zieht nicht mit. Kommt es zum Rentenstreit im Wahlkampf?
von Vera Rosigkeit · 15. Dezember 2016
Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles will mit ihrem Rentenkonzept „Sicherheit schaffen für alle, die einzahlen.
Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles will mit ihrem Rentenkonzept „Sicherheit schaffen für alle, die einzahlen.

Andrea Nahles, Sie wollen mit einer unteren Haltelinie von 46 Prozent das Rentenniveau stabilisieren. Lässt sich das als klares Bekenntnis zur gesetzlichen Rentenversicherung werten?

Ja! Anfang der 2000er Jahre wurde Rentenpolitik vorwiegend unter dem Aspekt der Lohnnebenkosten betrachtet, die gesetzliche Rente schlecht geredet, und private Anlagemöglichkeiten wurden hochgepriesen. Seit der Finanzkrise wissen wir, dass sich die gesetzliche Rentenversicherung seit 126 Jahren als wetterfest erweist. Ich möchte die gesetzliche Rente verlässlich stabilisieren, weil ich glaube, dass sie auch in 30 Jahren die zentrale Säule der Alterssicherung in Deutschland sein muss und sein wird.

Kann man mit 46 Prozent jungen Menschen die Angst vor unsicheren Renten nehmen?

Erstens sollen 46 Prozent die unterste Haltelinie sein. Wenn wir uns anstrengen und die Weichen für hohe Beschäftigung und Wachstum richtig stellen, können wir auch mehr erreichen. Deshalb habe ich als unsere politische Ziellinie formuliert, dass wir das Rentenniveau bei 48 Prozent halten wollen. Wichtig zu wissen ist aber: Das Rentenniveau ist eine relative Größe und beschreibt das Verhältnis von Renten zu Löhnen. Wenn wir gute Löhne haben, führen auch 46 Prozent zu einer anständigen Rente. Aber das muss es mindestens sein. Ich möchte verhindern, dass die Kaufkraft der Renten in Zukunft im Vergleich zur Kaufkraft der Löhne weiter an Wert verliert. Und darum brauchen wir eine feste Haltelinie. Gesetzlich festgelegt sind derzeit nur 43 Prozent bis zum Jahr 2030. Das ist zu wenig.

Ist das Ganze generationengerecht finanziert?

Ich will, dass das Rentenniveau bis 2045 nicht unter 46 Prozent fällt, damit sich auch die Jüngeren darauf verlassen können, dass sich ihre Anstrengungen am Ende bezahlt machen. Denn Generationengerechtigkeit bemisst sich nicht nur daran, was man einzahlt, sondern auch daran, was man rausbekommt. Damit aber auch die Finanzierung generationengerecht ist, muss die besondere Anstrengung, die durch die geburtenstarken Jahrgänge entsteht, über Steuermittel geleistet werden. Dafür habe ich einen Demografiezuschuss vorgeschlagen. Über die Einkommenssteuer werden damit auch hohe Einkünfte über der Beitragsbemessungsgrenze mit herangezogen, über die Umsatzsteuer sind sogar Rentner an den Kosten mitbeteiligt.

Nun hat die Union diesem Teil Ihres Konzeptes nicht zugestimmt. Ist damit die Stabilisierung der gesetzlichen Rente ersatzlos gestrichen?

Nein. Das ist ein Thema, das 53 Millionen Rentenversicherte und 21 Millionen Rentner brennend interessiert. Wenn wir nichts tun beim Rentenniveau, droht es ohne Haltelinie auf unter 42 Prozent bis 2045 zu sinken. Außerdem werden angesichts der demografischen Entwicklung die Beiträge und Steuermittel in jedem Fall steigen. Daher müssen wir uns fragen: Was ist uns eine anständige Rente in Zukunft wert? Das ist eine Frage der gerechten Verteilung. Wir suchen einen Kompromiss zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt, und ich werbe für eine sachliche Diskussion.

Ebenfalls abgelehnt wurde ihr Vorschlag zur Einführung einer Solidarrente. Lässt die Union vor allem Geringverdiener im Stich?

Die Frage von gezielter Armutsbekämpfung im Alter und Lebensstandardsicherung lässt die Union unbeantwortet. Die sind da blank.
Wir haben im Koalitionsvertrag ein Versprechen gegeben, dass die, die jahrzehntelang gearbeitet haben, mehr verdienen als eine Grundsicherung. Ich sage: Zehn Prozent zusätzlich zur regionalen Grundsicherung im Alter. Das hat zwei wesentliche Vorteile: Wir berücksichtigen Unterschiede bei den Wohnkosten und erhalten eine Lösung außerhalb des Rentenrechtes und ohne Bedarfsprüfung. In München gibt es dann einen höheren Auszahlbetrag als in der Eifel. Aber das entspricht den Lebensrealitäten.

Es gibt auch einen Erfolg, nämlich Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Rente bei den Erwerbsgeminderten. Was wird sich da konkret ändern?

Da hat die SPD in der Regierung wirklich viel erreicht. Wir gehen damit über den Koalitionsvertrag hinaus und helfen denen, die am stärksten von Altersarmut betroffen sind. 2014 haben wir bereits die Zurechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre angehoben. Das erhöhen wir noch mal schrittweise bis 2024 auf 65 Jahre. Damit bekommen die Leute dann im Durchschnitt rund sieben Prozent mehr Rente. Das betrifft rund 170.000 neue Erwerbsgeminderte, die jährlich dazu kommen.

Die Zukunft unserer Rente hängt auch davon ab, wie wir den digitalen Wandel in der Arbeitswelt bewältigen. Ihr Ministerium hat ein Weißbuch mit Vorschlägen erarbeitet. Darin fordern Sie zum Beispiel ein Recht auf Weiterbildung. Warum?

Die Rente ist eine abgeleitete Größe von dem, was wir an Wirtschaftskraft und Löhnen haben. Das ist eine klare Reihenfolge. Erst kommt die Arbeit, dann kommt die Rente. In der Arbeitswelt steht eine große Transformation an, Branchen und Berufe werden sich drastisch verändern. Da werden andere Qualifikationen gefragt sein. Menschen, die schon 20 Jahre im Beruf arbeiten, müssen da mithalten können. Das kann nicht allein ihr Problem sein, dafür müssen wir ihnen Angebote machen.
Deswegen lege ich so viel Wert auf das Recht auf Weiterbildung. Ich möchte, dass die Bundesagentur Weiterbildungsberatung flächendeckend anbietet. Und jeder Arbeitnehmer soll ein Startguthaben – ein Erwerbstätigenkonto – bekommen. Die weniger Qualifizierten ein höheres als die, die gut qualifiziert sind. Damit können sie Auszeiten, z.B. wenn sich jemand weiterbildet, finanziell absichern.
Unsere jetzige Weiterbildungslandschaft ist sehr vielfältig, greift aber nicht wie Zahnräder ineinander. Deswegen habe ich eine nationale Weiterbildungsstrategie angeregt.

Haben Ihre Vorschläge noch eine Chance umgesetzt zu werden?

Die Weiterbildungsstrategie steht in den Startlöchern, unser Weißbuch Arbeiten 4.0 geht jetzt in die Ressortabstimmung. Um die Solidarrente und auch die Sicherung des Rentenniveaus werden wir weiterkämpfen. Da ist der Deckel noch nicht auf dem Topf. Wollen wir mal sehen, was da noch geht. Aber wenn die Union da nicht mitzieht, müssen wir eben im Wahlkampf Mehrheiten dafür erkämpfen. 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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