Parteileben

Alexander Jorde: Kämpfer gegen den Pflegenotstand

Ein Rededuell mit der Kanzlerin im Fernsehen machte Alexander Jorde bundesweit bekannt. Seine Populiarität nutzt der 22-jährige Auszubildende, um sich für bessere Bedingungen in der Krankenpflege einzusetzen – seit kurzem auch in der SPD.
von Kai Doering · 29. Mai 2019
„Mehr Menschen aus der Pflege würden der Politik gut tun.“ Pflege-Azubi Alexander Jorde ist seit einigen Monaten Mitglied der SPD.
„Mehr Menschen aus der Pflege würden der Politik gut tun.“ Pflege-Azubi Alexander Jorde ist seit einigen Monaten Mitglied der SPD.

Der Tag, der ihn bundesweit bekannt machen sollte, begann für Alexander Jorde um Viertel vor fünf am Morgen. Für Jorde ist das nichts Besonderes. Als Auszubildender zum Gesundheits- und Krankenpfleger in einem Hildesheimer Krankenhaus gehört Schichtdienst zu seinem Alltag. Nach der Arbeit stieg Jorde um halb drei nachmittags in sein Auto und fuhr nach Lübeck. Um 20:33 Uhr stellte er Angela Merkel eine Frage, die die Kanzlerin verlegen und Jorde ein wenig berühmt machte.

Der „Pfleger, der Angela Merkel sprachlos machte“

Was Angela Merkel gegen den Pflegenotstand in Deutschland unternehmen werde, wollte der Azubi wissen. „Warum führen Sie nicht endlich eine Quote ein, wo man sagen kann, eine Pflegekraft betreut maximal soundso viele Patienten? Das muss doch in einem Land wie Deutschland möglich sein und da muss es auch möglich sein, mehr Geld in die Pflege zu stecken, oder?“ Jorde sprach von Menschen, die „stundenlang in ihren Ausscheidungen“ liegen und dass die vom Grundgesetz garantierte Würde des Menschen in deutschen Krankenhäusern „tagtäglich tausendfach verletzt“ werde. Es war der 11. September 2017 in der „Wahlarena“ der ARD zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Vom „Pfleger, der Angela Merkel sprachlos machte“, schrieben die Zeitungen am nächsten Tag.

„Ich bin da damals reingerutscht“, sagt Alexander Jorde eineinhalb Jahre nach seinem Fernsehauftritt, dem einige weitere folgten. „Die Wahlarena war für mich die Chance, das anzusprechen, was mich bewegt. Was für Konsequenzen das nach sich zieht, habe ich nicht im Ansatz geahnt.“ Bekanntheit sei nie sein Ziel gewesen. Er sieht sie nun aber als Möglichkeit, den Problemen rund um das Thema Pflege eine Öffentlichkeit zu verschaffen, die diese sonst zu selten hätten.

Lob von Karl Lauterbach

So auch am 20. Februar. An dem Mittwoch sitzt Alexander Jorde in einem Raum im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Vor ihm eine Riege Journalisten. Neben ihm Karl Lauterbach, promovierter Mediziner und Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion. Lauterbach stellt das Buch „Kranke Pflege“ vor, das Alexander Jorde nach seinem Auftritt in der „Wahlarena“ geschrieben hat – an Wochenenden und nach Feierabend, wie der 22-Jährige später erzählt. „Alexander Jorde weiß genau, wovon er spricht“, lobt Lauterbach. „Gut, dass sich junge Menschen derart für das Thema Pflege engagieren.“

In „Kranke Pflege“ berichtet Jorde von seinem Alltag im Krankenhaus und den Folgen des Pflegermangels. Pro Schicht sei eine Fachkraft in Deutschland im Durchschnitt für 13 Patienten verantwortlich – bei kurzfristigen Ausfällen könnten es im Nachtdienst aber auch mal 40 sein, schreibt Jorde. „Der Personalmangel hat nicht nur einen Effekt auf die Gesundheit der Patienten, sondern auch auf die des Personals.“ Bis zur Rente könnten die wenigsten ihrer Arbeit nachgehen. Hinzu komme die schlechte Bezahlung, da Tarifverträge vor allem in der Alten- und ambulanten Pflege fehlten. Gerade einmal siebeneinhalb Jahre würden Gesundheits- und Krankenpfleger in Deutschland ihren Job durchschnittlich ausüben. Das verschärfe den Fachkräftemangel. „Es macht einen Unterschied, ob Fachkräfte in der Industrie fehlen oder eben in der Pflege“, ist Alexander Jorde überzeugt.

Scharfe Kritik an der Politik

Auch er selbst ist sich nicht sicher, ob er die kommenden 40 Jahre als Pfleger arbeiten wird. „Wenn die Bedingungen besser wären, könnte ich mir das vorstellen, aber so wie sie derzeit sind, ist es eher schwierig.“ Im Sommer wird Jorde erstmal seine Ausbildung abschließen, danach an einem Krankenhaus in Hannover anfangen zu arbeiten. „Und vielleicht werde ich in einigen Jahren auch noch studieren.“ Die Pflege bleibt dabei für ihn ein Herzensthema. Der Politik wirft Jorde vor, „kein tragfähiges Konzept für die Zukunft der Pflege“ zu haben, doch auch sich und seine Kollegen sieht er in der Pflicht. „Wir müssen uns viel stärker organisieren und zusammenschließen. Je mehr Pflegekräfte sich konstruktiv in der Gewerkschaft, im Berufsverband oder in der Kammer einbringen, desto zielführender können ihre Interessen verfolgt werden“, ist er sicher.

Auch deshalb ist Alexander Jorde im vergangenen Herbst in die SPD eingetreten. Obwohl er nicht mit allem einverstanden ist und es schade findet, dass die SPD ihr Konzept der Bürgerversicherung in den Koalitionsverhandlungen nicht durchgesetzt hat, „ist das die Partei, in der ich mich am ehesten wiederfinde“. Alexander Jorde ist sich sicher: „Mehr Menschen aus der Pflege würden der Politik gut tun.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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