Inland

Nach dem 9-Euro-Ticket: Kommt jetzt das 365-Euro-Ticket bundesweit?

Eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket gibt es noch nicht. Als Alternative ab September ist nun wieder ein 365-Euro-Ticket im Gespräch - eine alte, sozialdemokratische Idee. Kann das die Lösung sein? Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Debatte.
von Benedikt Dittrich · 25. Juli 2022
Den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen, statt Autos mit Verbrennungsmotor fördern – so sieht es das Impulspapier der SPD für sozial gerechten Klimaschutz vor.
Den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen, statt Autos mit Verbrennungsmotor fördern – so sieht es das Impulspapier der SPD für sozial gerechten Klimaschutz vor.

Befristet war das Projekt für drei Monate, nun soll es Ende August auslaufen: das 9-Euro-Ticket. Gedacht als Entlastung für Menschen, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, aber auch als Motivation für bisherige Auto-Fahrer*innen, möglichst auf die Fahrt mit dem eigenen PKW zu verzichten. So die Idee hinter dem günstigen Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr, das bundesweit gilt.

Doch was kommt danach? Rückkehr zum Status Quo mit den teureren, regional begrenzten Monats- und Jahresabos? Ein bezahlbares, unkomplizierte Angebot für den öffentlichen Nahverkehr soll langfristig her, wen es nach der SPD geht. Dabei erlebt eine alte Idee im neuen Gewand jetzt eine Renaissance: Das 365-Euro-Ticket. Wir erklären, woher die Idee kommt.

Was heißt das eigentlich: 365-Euro-Ticket?

Die Zahl 365 bezieht sich auf die Zahl der Tage, die ein Jahr hat: 365. Das 365-Euro-Ticket soll einen günstigen ÖPNV ermöglichen – nämlich zu einem Preis von einem Euro pro Tag, hochgerechnet auf ein ganzes Jahr. Damit wäre es mit rund 30 Euro pro Monat rund drei Mal teurer als das derzeitige 9-Euro-Ticket – aber immernoch deutlich günstiger als ein reguläres Monatsabo das je nach Region mit Preisen von 50 Euro oder sogar über 100 Euro zu Buche schlägt.

Woher kommt die Idee?

Das ursprüngliche Vorbild ist die Hauptstadt Österreichs: Wien. Dort wurde ein solches Ticket vor zehn Jahren eingeführt, seitdem wird es immer wieder als Idee aufgegriffen. Als „Klimaticket“ oder „1-2-3-Ticket“ wurde es im Oktober 2021 sogar auf ganz Österreich ausgeweitet. Wer ein Ticket nur für ein Bundesland braucht, bezahlt in Österreich 365, wer in einem weiteren Bundesland mit dem ÖPNV unterwegs sein will, zahlt nochmal 365 Euro, also 730. Wer mit 1095 das Dreifache zahlt, kann sogar in ganz Österreich mit Bus und Bahn fahren.

Gibt’s sowas schon in Deutschland?

Von dem aktuellen 9-Euro-Ticket abgesehen: Nein, schon gar nicht bundesweit. Einzelne Kommunen, Regionen oder Bundesländer testen oder planen aber bereits mit einem 365-Euro-Ticket. Allerdings mit unterschiedlichen Regeln: In Hamburg gibt es beispielsweise ein solches Ticket für Auszubildende. In einzelnen Kommunen gilt es zusätzlich für Schüler*innen (München), andere haben die Einführung für 2023 angekündigt (beispielsweise Hannover). Auch Bundesländer wie beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern planen ein 365-Euro-Ticket für kommendes Jahr, allerdings zunächst beschränkt auf Senior*innen.

Und es war auch immer wieder Wahlkampfthema – zum Beispiel in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und im Saarland hatte die SPD mit einem 365-Euro-Ticket zuletzt geworben. Mit dem Regierungswechsel in Saarland hat Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) das Ticket für junge Menschen angekündigt.

Warum kann ein 365-Euro-Ticket nicht überall eingeführt werden?

Der öffentliche Nahverkehr ist erstmal keine Aufgabe des Bundes, sondern der Länder und Kommunen. Und die pochen – auch schon vor dem 9-Euro-Ticket – auf eine ausreichende Finanzierung des Nahverkehrs. Das 365-Euro-Ticket hängt damit an einer Debatte, die schon seit Jahrzehnten geführt wird: Öffentlicher Nahverkehr soll gleichzeitig bezahlbar und gut ausgebaut sein. Ein ständiger Spagat.

Denn der öffentliche Nahverkehr ist ein Zuschussbetrieb: Länder, Städte und Kommunen finanzieren zu einem Großteil das Nahverkehrsangebot, der Anteil schwankt je nach Region, aber schon jetzt ist klar: Auch bisherige Ticketpreise reichen nirgends aus, um Busse und Bahnen kostendeckend fahren zu lassen. Außerdem sind zusätzliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur notwendig. Darauf hatten Verkehrsexpert*innen auch in der SPD immer wieder hingewiesen. Überfüllte Züge, Verspätungen und Ausfälle sind aktuell deutliche Hinweise darauf, dass das Angebot ausgeweitet werden muss – aber das kostet eben Geld. „Wir schieben schon jetzt zwischen 1,5 und 2 Milliarden Defizit bei der Finanzierung vor uns her“, so SPD-Verkehrsexperte Detlef Müller im Gespräch mit dem „vorwärts“ vor der Einführung des 9-Euro-Tickets.

Welche Hürden gibt es noch?

Neben dem Preis ist einer der größten Vorteile des 9-Euro-Tickets, dass es bundesweit gültig ist und so das Nahverkehrsangebot erheblich vereinfacht. Wer das Ticket hat, muss sich im Urlaub oder auf Geschäftsreise in Deutschland keine Gedanken über das Tarifsystem vor Ort machen.

Um das langfristig zu ermöglichen, wäre eine landesweite Kooperation unter den Verkehrsverbünden notwendig und auch ein gerechter Finanzausgleich des ÖPNV durch den Bund. Kurzum: Nicht nur der Preis, auch das Angebot muss stimmen, um Menschen zum dauerhaften Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen.

Und warum kein kostenloser Nahverkehr, wenn Bus und Bahn eh vom Staat mitfinanziert werden müssen?

Auch das wurde vereinzelt getestet, bei Pilot-Projekten stiegen dann oft die Fahrgastzahlen an, also eigentlich ein Erfolg. Allerdings: Oftmals wurde dann offenbar auch der Bus für Kurzstrecken genutzt, die sonst mit Fahrrad oder zu Fuß absolviert wurden. Das sorgte für eine zusätzliche Nachfrage, die den Nahverkehr belastete.

Langfristig müsste dafür das Angebot also noch stärker ausgebaut werden. Eine doppelte Belastung, die für kommunale Haushalte ohne die Einnahmen aus den Tickets und Zuschüssen nicht zu stemmen ist. Ein Beispiel: Die Stadt Templin in Brandenburg hat nach einer fünfjährigen Testphase 2003 den kostenlosen ÖPNV aus diesem Grund wieder abgeschafft.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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