„Wir brauchen jetzt mehr Geld“

Nach dem 9-Euro-Ticket: Warum Bus und Bahn teurer werden könnten

Benedikt Dittrich27. Juli 2022
Das 9-Euro-Ticket sorgt seit Juni für volle, teils überfüllte Nahverkehrszüge.
Das 9-Euro-Ticket sorgt seit Juni für volle, teils überfüllte Nahverkehrszüge.
Was kommt im September nach dem 9-Euro-Ticket? Eine direkte Fortsetzung des günstigen Tickets wird es wohl nicht geben. SPD-Verkehrsexperte Detlef Müller warnt im Gespräch sogar vor einer Preisexplosion des ÖPNV – und appelliert an Volker Wissing.

Detlef Müller, wie teuer, wie günstig darf die Nachfolge des 9-Euro-Tickets sein?

Das kann man nicht genau sagen. Wir brauchen ein Ticket, idealerweise bundesweit, zu einem vernünftigen Preis. Ich sage bewusst „vernünftig“ weil man gar nicht definieren kann, was kostengünstig ist. Günstig kann in Mecklenburg-Vorpommern etwas anderes bedeuten als in München.

Wichtiger ist aber, dass es einfach ist. Dass ich in den Zug einsteigen kann, ohne mir viel Gedanken über Tarifzonen oder Verkehrsverbünde zu machen. Das ist der große Vorteil des 9-Euro-Tickets.

Allerdings müssen wir erstmal den Status Quo finanzieren: So wie der ÖPNV in Städten und Landkreisen fährt, fährt er aktuell große Defizite ein. Die roten Zahlen durch steigende Energiekosten und vieles mehr müssen zu einem Großteil die Kommunen und Landkreise decken. Allein in meiner Heimat Chemnitz steckt die Stadt inzwischen 14 Millionen Euro in den ÖPNV, in den kommenden Jahren wird es vermutlich auf 25 Millionen steigen. Das wird die Kommunen irgendwann überfordern.

Der ÖPNV wird aber doch immer bezuschusst in Deutschland. Warum das System dann nicht vereinfachen, Bus und Bahn kostenlos machen und komplett aus dem Staatshaushalt finanzieren?

Ganz kostenlos finde ich nicht gut, weil der ÖPNV dann einfach „da“ ist und keinen Wert mehr hat. Mobilität und gutes Personal haben einen Wert und der sollte auch direkt bezahlt werden, finde ich.

Zur Person: Detlef Müller

Detlef Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Chemnitz.
Detlef Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Chemnitz.

Detlef Müller (geboren 20. April 1964) ist SPD-Bundestagsabgeordneter für Chemnitz – er gewann den sächsischen Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2021 als Direktkandidat. Erstmals zog der Lokomotivführer schon 2005 in den Bundestag ein, inzwischen ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und für die Fachbereiche Verkehr und Digitales verantwortlich. Seit 1994 ist der Sozialdemokrat außerdem Stadtrat in Chemnitz.

Müller ist verheiratet und hat vier Kinder.

Außerdem decken die Ticketverkäufe im Schnitt ein Drittel der Ausgaben eines Verkehrsunternehmens. Die anderen zwei Drittel kommen aus Steuermitteln, in der Regel von den Kommunen. Würde man das komplett umlegen, bräuchte man pro Jahr vermutlich rund 25 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen.

Solange wir in den ländlichen Regionen dafür kein gutes Angebot haben, finde ich das schwierig. Es macht eben einen Unterschied, ob ich in Berlin wohne und von einem gut ausgebauten Nahverkehr profitiere oder im Vogtland, wo am Tag vielleicht nur zwei Mal der Schulbus fährt.

Wenn komplett kostenlos keine gute Idee ist, das 9-Euro-Ticket aber ausläuft – wie wäre es mit einer nur etwas teureren Alternative: Dem 365-Euro-Ticket?

Die Debatte darüber ist auf jeden Fall sinnvoll, weil es das Thema weiterbringt. Es wird endlich mal richtig auf den ÖPNV geschaut. Und wir haben jetzt auch gesehen: Die Menschen wollen auf Bus und Bahn umsteigen.

Dass man sich nun Gedanken darüber macht, wie so ein bundesweites Ticket und ein zukunftsfähiger ÖPNV aussehen könnte, das werte ich schon als einen Riesenerfolg.

Was mich aber ein wenig ärgert: Es ist immer einfach, etwas zu fordern. Vergessen wird aber dann der Satz hinter dem Komma: Wie wird das denn dann bezahlt? Wer übernimmt die Kosten, wird die Differenz zum günstigeren Ticket ausgeglichen?

Irgendwie müssen wir zwischen Bund und Ländern zumindest Ideen entwickeln. Ein Ansatz wäre beispielsweise die Regionalisierungsmittel anders zu verteilen.

Viele Fahrgäste haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass Züge ausgefallen sind, Verspätung hatten, völlig überfüllt waren. Auch eine Frage des Geldes?

Dass das passieren wird, war ja wenig überraschend. Das muss man einfach so sagen. Diesen Ansturm, die Probleme gab es auch schon früher an Feiertagswochenenden.

Deswegen habe ich die Regionalisierungsmittel angesprochen – diese Probleme liegen auch an dem System, das wir haben: Der Bund stellt die Mittel bereit, gibt sie an die Länder und die geben das an die Verkehrsverbünde. Die bestellen die Leistung über Ausschreibungen. Den Auftrag kriegen dann die mit dem günstigsten, dem wirtschaftlichsten Angebot.

Da ist dann aber keine Reserve eingeplant, weder Fahrzeuge noch Personal, die nach Bedarf eingesetzt werden könnten. Ganz abgesehen davon, dass es schwierig ist, das zu finden.

Und da kommen wir wieder zurück zum Anfang: Wenn wir als Gesellschaft etwas besseres wollen, müssen wir dafür mehr Geld zur Verfügung stellen.

Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, für ein neues Ticket ab September?

Nein, das Thema ist durch. Grundsätzlich war das Ticket aber ja auch nicht als verkehrspolitische Maßnahme, sondern als finanzielle Entlastung für Pendler gedacht. So wie der Tankrabatt, der auch im August ausläuft.

Es gibt aus meiner Sicht auch keine Variante, mit der wir direkt weitermachen könnten. Denn die Gestaltung des ÖPNV obliegt ja den Bundesländern und jetzt noch eine gemeinsame Regelung mit allen Ländern für die Zeit ab dem 1. September zu finden, halte ich für unrealistisch.

Aber es wäre doch jetzt sinnvoller denn je, wenn so viele Menschen wie möglich auf ihr Auto verzichten, Benzin sparen und stattdessen weiter Bus und Bahn nutzen?

Ja, motivieren sollte man die Menschen, verordnen kann man es aber nicht. Viele denken schon um, fangen an zu sparen, weil sie ja die Preise an der Tankstelle sehen und ahnen, welche Heizkosten auf sie zukommen.

Ich sehe aber tatsächlich eine große Gefahr, wenn nach dem 31. August das 9-Euro-Ticket endet. Es kann nämlich passieren, dass die Verkehrsunternehmen dann ihre Preise erhöhen, weil sie ihre Defizite ausgleichen müssen, die sie seitdem angehäuft haben.

Das wäre das schlimmste, wenn wir jetzt drei Monate lang den Menschen ein gutes Angebot machen konnten – und dann im Oktober entweder die Preise deutlich erhöht werden oder das Angebot zusammengestrichen wird.

Das müssen wir unbedingt verhindern. Wir müssen erstmal den ÖPNV, wie er jetzt gerade ausgestaltet ist, für die nächsten Jahre ausreichend finanzieren. Dafür brauchen wir mehr jetzt mehr Geld.

Darüber sollte der Bundesverkehrsminister jetzt mit den Landesverkehrsministern sprechen, im Oktober oder November, wie er es angekündigt hat, wäre es dafür schon zu spät.

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Kommentare

Nur ein soziales Pflaster

jetzt werden soviel Bedenken von den professionellen Bedenkenträger nach vorne geschoben, so das sich das neun Euro Ticket sehr schnell erledigt. Ja kurzfristig ein soziales Pflaster verteilen, mit der Hoffnung das sich, dass das Thema aus der Tagesdiskussion verschwindet.

das kommt etwas undifferenziert daher

zum einen kann nicht von einem "guten Angebot" gesprochen werden, wenn Menschen am Bahnsteig zurückbleiben, weil der Zug voll ist.
Weil es an der Qualität mangelt, irrt der Autor auch, wenn behauptet wird: "Die Menschen wollen auf Bus und Bahn umsteigen".
Wollten Sie dies, so hätte der Nachfrageboom beim ÖPNV zu einer Reduzierung des Individualverkehrs führen müssen. Das ist aber nicht der Fall, und wer reisen muss, wird das Risiko scheuen, wegen Überfüllung des Zuges zurückbleiben zu müssen. Er wird sicherheitshalber auf seinen PKW vertrauen.
Nach meinem Eindruck ist die Zunahmen der Nachfrage zurückzuführen auf Reisen von Reisenden, die nur deshalb stattfanden, weil das Ticket so billig ist. Wenn es nichts kostet, fahre ich mal von Celle nach München auf ein Bier in Schwabing- da war ich noch nicht. Das ist zwar auch nicht verdammenswürdig, entspricht aber ja nicht dem Ziel, Pendler weg von der Straße und rein in den Zug zu bringen- dieses Ziel ist klar verfehlt- wer pünktlich sein muss, verlässt sich besser ausschließlich auf sich selbst. Wem es nicht auf die Stunde ankommt, für den ist das Angebot super - im Urlaub ja, aber sonst nur mit reserviertem Sitzplatz

Falsche Tatsachenbehauptung

Vorab: Wir wollen weder die Aussage von Detlef Müller verteidigen/interpretieren noch das Angebot selbst an dieser Stelle bewerten.

Aber: Die Aussage, dass eine Reduzierung des Individualverkehrs "nicht der Fall" ist, ist als Tatsachenbehauptung einfach so nicht haltbar und damit erstmal falsch. Gegenbeweis: Es gab messbar weniger Stau in den Städten und eine messbare Reduzierung des Individualverkehrs in den vergangenen Wochen, wie hier verschiedene Verkehrsexperten (mit Auswertung von Mobilitätsdaten) darlegen: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/neun-euro-ticket-verkau...

Das ist natürlich nur eine kurze Bilanz nach wenigen Wochen und nur anhand eines indirekten Messwertes. Aber hier zu behaupten das Gegenteil wäre „Fakt“ ist damit mindestens infrage gestellt. Dazu kann es ja noch gar keine abschließende Bewertung geben.

Insofern verweisen wir gerne auf unsere Netiquette: Wenn Sie etwas behaupten, belegen Sie es anhand des Artikels oder einer anderen Quelle.

Beste Grüße
Die Redaktion

siehe hier

https://taz.de/Debatte-um-das-9-Euro-Ticket/!5864045/

Man hat über Handyortungsdaten festgestellt, dass die Nutzung des ÖPNV zwar zugenommen, die der Autos aber nicht abgenommen hat. Ich kann es ja auch nicht ändern, würde mir anderes wünschen, aber was soll man machen. Die fakten anpassen, ich wüsste nicht wie das gelingen könnte

Kein Widerspruch

In dem verlinkten Text (der übrigens ein Kommentar/Meinungsartikel ist) steht nicht, dass der Autoverkehr gar nicht abgenommen hat, sondern dass er nur "geringfügig" abgenommen hat.

Das mag manch eine*r als Haarspalterei empfinden, aber es gibt offenbar einen Effekt, den auch die Autorin anerkennt. Der ist nach ihrer Bewertung aber eben nicht hoch genug, um das Angebot (9-Euro-Ticket) als positiv zu bewerten. Die Meinung kann man natürlich haben.

Wir wollten nur darauf hinaus dass die Aussage "es hat gar nichts gebracht" eben nicht stimmt. Man könnte dazu sogar noch ein paar Unwägbarkeiten in der Datenerhebung ergänzen (Ulrike Herrmann bezieht sich auf die Auswertung von Bewegungsdaten von Handys – die lassen aber z.B. auch nur bedingt Aussagen darüber zu, ob Menschen auf der Straße mit Bus oder Auto unterwegs waren). Aber dabei wollen wir es belassen. ;)

Beste Grüße

ja, der Link verweist auf einen Kommentar in der TAZ,

der allerdings weiter verlinkt ist zu einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts. Dieses hat die Daten ausgewertet. Wenn man dann noch in Kalkül zieht, dass das Statistische Bundesamt eher regierungsnah agieren muss (also die Daten noch aufgehübscht haben wird) - dann sind die Fakten so ernüchternd, wie ich sie dargestellt habe.

Das 9 € Ticket

Es war eine Idee um in die angespannte Lage etwas Entspannung zu bringen. Gibt es denn schon eine belastbare Statistik inwieweit die eine Reduktion des Individualverkehrs zeigt. Wieviel wurde im Vergleich zu Vorjahresmonaten getankt ? Das wären Fakten auf deren Basis man weitermachen könnte.
Eines wurde auch deutlich: die Bahn war auf die Menge an Kundschaft nicht vorbereitet - Stress für das Personal, aber der Privatvorstand investiert ja lieber in Megaprojekte.
Und ganz nebenbei: hier in OHV ist kein einziger Bus mehr gefahren - ohne Auto sitzt man auf dem Dorf fest.