Geschichte

20 Jahre Rot-Grün: Was Gerhard Schröder der SPD rät

Vor 20 Jahren nahm die erste rot-grüne Bundesregierung ihre Arbeit auf. Mit einer Veranstaltung erinnerte die Friedrich-Ebert-Stiftung am Montag an die Verdienste des „rot-grünen Projekts“. Alt-Kanzler Gerhard Schröder nutzte das, um der SPD einen Tipp zu geben.
von Kai Doering · 6. November 2018
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Am Montagabend herrscht beinahe aufgekratzte Stimmung in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Edelgard Bulmahn umarmt Walter Riester, Heidemarie Wieczorek-Zeul herzt Ulla Schmidt. „Man hat das Gefühl, auf einem sozialdemokratischen Klassentreffen zu sein “, kommentiert Angela Ulrich das Stelldichein der ehemaligen sozialdemokratischen Bundesminister. Die ARD-Reporterin führt als Moderatorin durch den Abend, der mit „Das ,rot-grüne Projekt‘“ überschrieben ist.

Schröder: „Wir wollten deutlich neue Zeichen setzen“

Er soll zum einen erinnern an die Bildung der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene im Oktober 1998 – und zum anderen die Brücke schlagen in die Gegenwart. Für die Vergangenheit sind der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Umweltminister Jürgen Trittin gekommen, für die Gegenwart SPD-Chefin Andrea Nahles und die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock.

Die beiden Männer und die beiden Frauen werden von Ulrich jeweils getrennt voneinander befragt. Schröder, im grünen Sacko, und Trittin beginnen. „Wir haben damals eine Koalition gebildet, die etwas voranbringen wollte im Land“, sagt der Alt-Kanzler. Als Beispiele nennt er ein modernes Zuwanderungsrecht, den Atomausstieg und die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle. „Wir wollten deutlich neue Zeichen setzen“, so Schröder.

Wie es zum Ausspruch vom Koch und von Kellner kam

Dabei sei die Zusammenarbeit mit den Grünen keine Liebesheirat, sondern eher eine Zweckehe gewesen. „Damals bildete man nur notgedrungen Koalitionen mit den Grünen“, erinnert sich Schröder. Auch wenn sie in Hessen und in Niedersachsen bereits Regierungsverantwortung übernommen hatte, galt die Umweltpartei damals vielen als unberechenbar, ja, sogar radikal.

„Die SPD musste damals klarmachen, wer das Sagen hat“, sagt Schröder – schon alleine, um die eigenen Leute zu beruhigen. So sei auch sein Ausspruch vom Koch (der SPD) und dem Kellner (den Grünen) entstanden. „Das Bild würde ich heute nicht mehr benutzen“, zeigt sich der Alt-Kanzler einsichtig – allerdings auch deshalb, weil „das Gasthaus heute dafür zu leer ist“.

Trittin: Der Absturz der SPD kam nicht nach der Agenda

Doch keine Erinnerung an Rot-Grün ohne die Agenda 2010. Von einer „notwendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme“ spricht Jürgen Trittin in der Ebert-Stiftung und von einer heute „aufgeblasenen Debatte“ über Hartz IV. „Der Absturz der SPD“, erinnert Trittin, „kam nicht nach der Agenda unter Rot-Grün, sondern nach der anschließenden großen Koalition und der Rente mit 67.“

Gerhard Schröder ist sogar davon überzeugt, dass die SPD heute „ein besseres wirtschaftspolitisches Profil“ hätte, wenn sie damals „die Kraft gehabt hätte, diese Reformen selbstbewusst zu vertreten“. Stattdessen hätte Angela Merkel die Ernte einer niedrigen Arbeitslosigkeit und einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit eingefahren.

Schröder rechnet mit Neuwahl im kommenden Jahr

Was also rät der Kanzler seine Partei, die bei den jüngsten Landtagswahlen und in den Umfragen hinter die Grünen zurückgefallen ist? Da ziert sich Schröder kurz, um dann umso gezielter anzusetzen: „Wenn die SPD versucht, grüner zu sein als die Grünen und linker als die Linken, wird sie keinen Erfolg haben.“ Die Sozialdemokraten müssten ihr wirtschaftspolitisches Profil schärfen – besonders vor dem anstehenden Führungswechsel bei der CDU.

Hier geht Schröder übrigens davon aus, dass sich der frühere Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz durchsetzt. Dessen Wahl zum CDU-Vorsitzenden werde zum „Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel“ führen – und zu einer vorgezogenen Bundestagswahl „spätestens im Frühsommer 2019“.

Was die SPD von den Grünen lernen kann

Und dann? Gibt es vielleicht sogar eine Chance für eine Neuauflage für Rot-Grün, auch wenn die die aktuellen Umfragen nicht hergeben? Zumindest inhaltlich sind sich die beiden Vorsitzenden Andrea Nahles und Annalena Baerbock an diesem Abend nicht allzu fern. „Wir sind die beiden pro-europäischen Parteien“, betont Nahles mit Blick auf Baerbock, die sie duzt. Friedenspolitisch gebe es „mit keiner anderen Partei so große Gemeinsamkeiten“, sagt die Grünen-Vorsitzende.

Was kann die SPD also heute, 20 Jahre nach dem Start von Rot-Grün, von den Grünen lernen, will Moderatorin Angela Ulrich zum Abschluss von Andrea Nahles wissen. Die SPD-Chefin überlegt kurz und sagt dann: „Die Grünen fokussieren sich auf Themen und bringen sie auch noch gut rüber.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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