15 Jahre Elterngeld: Wie die SPD die Familienpolitik modernisierte
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Am 1. Januar 2007 tritt das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in Kraft, ein Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Familienpolitik. Damit reagiert die große Koalition auf die veränderten Lebensentwürfe von Frauen und Männern. Das Elterngeld soll den Menschen mehr Mut zu Kindern machen und einen Beitrag zur Sicherung ihrer Zukunft leisten. Das Elterngeld ist das Verdienst von Renate Schmidt (SPD), die als ehemalige Bundedfamilienministerin dafür sorgt, dass ihr Herzensprojekt 2005 in den Koalitionsvertrag mit der Union aufgenommen wird.
Blick zurück: Anfang der 2000er Jahre wird klar, dass das Erziehungsgeld nicht mehr der gesellschaftlichen Realität gerecht wird. Denn Männer und Frauen sind in der Regel beide berufstätig. Kinder werden zum Risiko für den Wohlstand, wenn das Einkommen der Frau wegfällt und der Vater der Hauptverdiener der Familie wird. Dieses Risiko wollen immer weniger Paare eingehen, das zeigt sich auch in der sinkenden Geburtenrate. Hinzu kommt, dass dem Arbeitsmarkt dringend benötigte hochqualifizierte Frauen verlorengehen, wenn sie als Mütter ihre Berufstätigkeit aufgeben. Das Erziehungsgeld unterstützt diese traditionelle Rollenverteilung, ohne den jungen Familien finanzielle Sicherheit geben zu können.
Renate Schmidt schafft 2003 den Politikwechsel
Das Elterngeld soll dem entgegensteuern, denn es ermöglicht ein zeitweiliges Ausscheiden aus dem Beruf, ohne große Einschränkungen des Lebensstandards. Eine längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von Müttern ist nicht nötig und die Familienaufgaben können partnerschaftlich aufgeteilt werden. Väter und Mütter können beruflich kürzertreten und sich Zeit für die Betreuung des Kindes nehmen. Das Elterngeld orientiert sich zudem an der Höhe des letzten Einkommens der Eltern vor der Geburt des Kindes, was besonders hochqualifizierte, gutverdienende Frauen ermutigen soll, Kinder zu bekommen. Gleichzeitig werden Väter motiviert, Familienaufgaben zu übernehmen, was die Gleichstellung von Mann und Frau fördert.
Verantwortlich für den Politikwechsel ab 2003 ist Renate Schmidt, damals Bundesfamilienministerin in der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie nutzt die Kompetenz maßgeblicher Wissenschaftler und bringt den progressiven Vorschlag eines einkommensabhängigen Elterngeldes erstmals 2004 in die politische Diskussion und damit in die Öffentlichkeit ein. Doch bereits das Rürup-Gutachten von 2003, das gemeinsam mit Renate Schmidt publiziert wird, empfiehlt als erste konkrete Maßnahme einer nachhaltigen Familienpolitik die Einführung eines Elterngeldes.
Vom Familienbericht zum Bundesgesetz
Auch im Siebten Familienbericht, der vom Bundesfamilienministerium und einer Sachverständigenkommission seit 2003 erarbeitet und 2005 veröffentlicht wird, wird das Elterngeld gefordert, als Instrument einer neuen Balance einer nachhaltigen Familienpolitik, die den „Widerspruch zwischen beruflicher Selbstständigkeit und ökonomischer Abhängigkeit vom Ehemann“ auflösen hilft.
In der Presseerklärung dazu sagt Renate Schmidt damals: „Wir werden das bisherige Erziehungsgeld zu einem einjährigen Elterngeld als Einkommensersatz weiterentwickeln. Dieser Weg hat sich vor allem in Skandinavien bewährt. Das Elterngeld ersetzt etwa zwei Drittel des vorherigen Einkommens (mit Höchstgrenze) und kommt dem Elternteil zugute, der für die Erziehung der Kinder seine Erwerbstätigkeit unterbricht.“
Widerstände bei CDU und CSU
Diese progressive Position bringt Schmidt ins Wahlprogramm der SPD ein und später in den Koalitionsvertrag mit der Union. Dort heißt es: „Deutschland braucht mehr Kinder. Das Wohl der Familien, ihrer Kinder und das Ziel, dass sich wieder mehr Menschen ihre Kinderwünsche erfüllen, ist deshalb das wichtigste gesellschaftliche Anliegen der nächsten Jahre. Deshalb werden wir ab 2007 mit dem Elterngeld eine einkommensabhängige Leistung für die Eltern neugeborener Kinder schaffen, das diese in einem Gesamtvolumen von drei Mrd. Euro fördert.“
Doch bevor das Gesetz (BEEG) verabschiedet werden kann, sind noch Streitfragen zu klären. Die Kritik betrifft vor allem zwei Themen, die sogenannten Vätermonate und die Verteilung. Besonders die Union kritisiert die Vätermonate als Bevormundung von Paaren. Gelöst wird dieser Konflikt, mit der 12-plus-2-Variante, die Paaren, bei denen der Vater mindestens zwei Monate Elternzeit nimmt, die 12 Monate Elterngeld um zwei weitere Monate aufstockt. Bei der Verteilungsfrage geht es vor allem darum, ob Besserverdienende bessergestellt würden. Doch letztlich bleibt es bei der einkommensabhängigen Konzeption des Elterngeldes.
von der Leyen erntet die Lorbeeren
Ein wesentlicher Punkt der nachhaltigen Familienpolitik von Renate Schmidt ist die Verknüpfung des Elterngeldes mit der Kinderbetreuung. Denn nach 12 Monaten Elterngeld sollen Mütter an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, wofür Kita-Plätze die Voraussetzung sind. Deshalb treibt Schmidt den Ausbau der Kleinkinderbetreuung voran, etwa mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004. Von der SPD wird diese Politik seither weiter vorangetrieben.
Ironie der Geschichte: Als das Gesetz, das Renate Schmidt mit so viel Schachverstand und Geschick vorbereitet hat, verabschiedet wird, ist sie nicht mehr Bundesfamilienministerin, sondern Ursula von der Leyen, die die Lorbeeren erntet. Seither wird das BEEG immer wieder an die Anforderungen moderner Partnerschaften angepasst. Die weitreichendste Änderung ist die Einführung des Elterngeldes Plus 2015. Eltern können seither zwischen dem Bezug von (Basis-)Elterngeld und Elterngeld Plus wählen oder beides kombinieren.