Kultur

Schöner trauriger Iran

von ohne Autor · 5. Januar 2012

Drehbuchautoren können Marjane Satrapi nur beneiden. Nach dem Welterfolg ihres Comics „Persepolis“ und der gleichnamigen Verfilmung schöpft sie in ihrem ersten Realfilm „Huhn mit Pflaumen“ erneut aus dem reichen Geschichten-Fundus ihrer iranischen Familie.

Andererseits fragt man sich: Was würde Satrapi ohne diesen biografischen und politischen Hintergrund, der sie 1994 endgültig ins Pariser Exil führte, anfangen? Ihr mehrfach ausgezeichnetes literarisches und filmisches Werk wäre ein anderes.

Wieder einmal tauchen wir mit ihr in eine Welt von verschrobenen Individualisten und praller Lebenslust ein. Diesmal begegnen wir ihnen im Teheran der 50er-Jahre. Die wuselige Metropole wirkt seltsam vertraut und hat wenig mit jenem grimmigen Bild gemein, das die Islamische Republik vor allem während der ersten Jahre nach Khomeinis Revolution von sich propagierte – bis heute prägt es den westlichen Blick auf die aufstrebende Großmacht im Mittleren Osten.

Auch in „Huhn mit Pflaumen“ ist das Private politisch. In dem zweiten Teil einer geplanten Trilogie über das Leben von Satrapis Familie im Iran des vergangenen Jahrhunderts geht es vordergründig um die unglückliche Liebe des Ausnahme-Violinisten Nasser-Ali Khan zu der bezaubernden Kaufmannstochter Irâne – und um die kaum weniger innige Verbindung des Genies zu seiner geliebten Geige.

Beide Leidenschaften werden von bitteren Verlusterfahrungen abgewürgt. Fortan bleibt Nasser jegliche Erfüllung des Herzens und der Klangkunst versagt – für ihn und seine Familie wird es ein Höllentrip. Auf seinem Sterbebett, wo der sensible Egomane seiner traurigen Existenz ein Ende zu setzen trachtet, zieht er Bilanz. Was ist Traum? Was ist Realität? Ist Nasser überhaupt noch Herr seiner Sinne, geschweige denn der Dinge?

Überdosis Kitsch

Auch der Zuschauer verliert in diesem Rausch aus Erinnerungs- und Traumbildern – gedreht wurde im Studio Babelsberg – schnell den Überblick über Zeit und Raum. Das Ganze grenzt an eine Überdosis aus melodramatischer und orientalisch opulenter Kitschkunst zwischen Fifties Glamour und Bollywood, bedient sich darüber hinaus aber auch spielerisch-absurder Elemente, was wiederum den Bogen zu zeitgenössischer Ironie und ebensolchen Beziehungsdramen schlägt.

Über allem schwingt, nicht zuletzt wegen der Musik von Olivier Bernet ein symphonischer Grundton, dessen Lust am Schwelgen an Regie-Altmeister wie Fellini oder Visconti erinnert: Er ist die Klammer, die das Dickicht aus animiertem Irrsinn, sehnsüchtiger Hingabe und rasanten Wortwechseln zusammenhält.

All jenen, denen all das reichlich dick aufgetragen ist, sei empfohlen, hinter den märchenhaften Schleier zu blicken und sich mit dem realistischen Kern der Handlung zu beschäftigen. Zum einen hat es jenen gefeierten Musiker wirklich gegeben hat: Nasser war der Bruder von Satrapis Großvater, den wir bereits in „Persepolis“ kennen gelernt haben. Wie kaum ein anderer soll er die Tar, ein altes persisches Lauteninstrument beherrscht haben – Satrapi machte ihn zum Geiger, um, wie sie sagt, dass hervorzuheben, was „wir miteinander teilen, und nicht das, was uns unterscheidet“. Nasser starb, so die Regisseurin, unter „seltsamen Umständen“. Auch in diesem sich aus Erinnerungen und Fiktivem speisenden Film bleibt sein Abgang im Dunkeln. 

Der ersehnte Iran

Der eigentliche Aha-Effekt steckt jedoch hinter Nassers Liebe zu jener überirdischen Schönheit, die nicht zufällig Irâne heißt. Sie steht für die Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume, die bis heute viele Iraner mit ihrem Land verbinden. Also jene, die sich einen freiheitlichen Weg jenseits des erdrückenden klerikal-militärischen Komplexes für ihr Land erhoffen, wie auch immer dieser Weg aussehen mag.

Gemeinhin richtet sich deren Blick auf die frühen 50er-Jahre, also auf jene Zeit, die „Huhn mit Pflaumen“ wieder zum Leben erweckt. Damals standen die Zeichen weniger auf Demokratie, vielmehr suchte die Regierung von Premier Mohammad Mossadegh nach einer eigenständigen Politik jenseits des Konzerts der Großmächte. Mossadegh ließ den Schah entmachten und betrieb die Regierung die Verstaatlichung der iranischen Ölquellen. Die USA und Großbritannien machten dem Treiben ein Ende und hoben den Schah erneut auf den Thron. Der kostete seine Alleinherrschaft nun umso hemmungsloser aus – und der Boden für die Revolution von 1979 wurde bereitet. Daher sind Nassers Tränen, so viel Pathos sei gestattet, die Tränen einer ganzen Nation.

So folgt am Ende auch dieser Film einer ähnlichen Grundintention wie „Persepolis“. Zu zeigen: Ein anderer Iran ist nicht nur möglich, es gibt ihn längst, nämlich in den Köpfen und in den Herzen seiner Menschen. Manchmal braucht es einen Rausch, um die Wahrheit zu erkennen.

Info:

Huhn mit Pflaumen/ Poulet aux prunes (Frankreich/ Deutschland / Belgien 2011), nach der gleichnamigen Graphic Novel von Marjane Satrapi, Buch und Regie: Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud, mit Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani, Isabella Rossellini u.a.,
90 Minuten

Kinostart: 05. Januar

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