Zum Tod von Horst Heimann: „Theorie-Papst der Sozialdemokratie“
Generationen von jungen Sozialdemokrat*innen gewannt Horst Heimann für grundsätzliche Fragen der Gesellschaftsreform und bot ihnen Orientierung. Zudem entriss er Eduard Bernstein dem Vergessen. Nun ist der SPD-Vordenker Heimann im Alter von fast 92 Jahren gestorben.
Klaus-Jürgen Scherer
Streitbarer Geist: Horst Heimann ist kurz vor seinem 92. Geburtstag gestorben.
Politische Theorie und politische Bildung, das war sein Metier. Jetzt, am 13. Januar, verstarb Dr. rer. pol. Horst Heimann kurz vor seinem 92. Geburtstag. Ein erfülltes Leben zwischen Politikwissenschaft, SPD-Geschichte, demokratisch-sozialistischer Programmatik und sozialdemokratischer Überzeugungsarbeit. Er hat Generationen von jungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für grundsätzliche Fragen der Gesellschaftsreform gewonnen, ihnen Orientierung geboten. Wer ihn kannte, dem ist seine freundliche Art, seine witzige Dialektik, in der er seine treffenden Argumente vorbrachte, in bleibender Erinnerung.
„Freiheit und Sozialismus“ als Lebensmotto
Nach dem Abitur aus der DDR übergesiedelt, studierte Horst Heimann Politikwissenschaft und Geschichte in Berlin und Paris, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und später viele Jahre Dozent und Vizedirektor der Gustav-Heinemann-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Freudenberg bei Siegen.
Bereits im Studentendorf der FU war er politisch aktiv, bereits frühe Veröffentlichungen standen unter seinem Lebensmotto „Freiheit und Sozialismus“. Anfang der 60er Jahre organisierte er die „Linkswende“ in der studentisch geprägten Zehlendorfer SPD-Abteilung Nikolassee. Er kritisierte die pseudorevolutionären „68er“, die praxisferne „Kritische Theorie“ und agierte ganz im Sinne der „Doppelstrategie“: die SPD zu stärken und gleichzeitig ihren kritischen Geist wiederzubeleben.
Bei den „Reformsozialisten“ des OSI war er gegen revolutionären Zeitgeist und konservative Tendenzwende hochschulpolitisch aktiv. In den theoretischen Auseinandersetzungen vor allem innerhalb der Jungsozialisten der 70er Jahre war Horst Heimann eine starke Stimme für reformpolitischen Realismus ohne das Ziel der Überwindung des Kapitalismus jemals aufzugeben.
Gesellschaftskritisch und nicht geschichtsvergessen
Seit Mitte der 70er Jahre organisierte er in der FES-Heimvolkshochschule in Freudenberg, meist gemeinsam mit Thomas Meyer, zahllose Debatten, die alle darauf hinausliefen, die Sozialdemokratie realitätstüchtig, gesellschaftskritisch und nicht geschichtsvergessen zu positionieren. Rückblickend erwies sich vieles, was da als wissenschaftliche Tagung, aber auch in der Erwachsenenbildung stattfand, als Vorgeschichte hin zum einzigartigen Berliner Grundsatzprogramm der SPD von 1989.
Die vor 50 Jahren maßgeblich von Horst Heimann gegründete Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus e.V., die sich gegen marxistische Dogmatik wie gegen theorielosen Pragmatismus gleichermaßen richtete, hat er wie kein anderer geprägt. Bis ins hohe Alter hinein schrieb er in deren Halbjahreszeitschrift „perspektivends“ streitbare Beiträge, die falsches Denken, problematische Ideologien, verwirrende Positionen (liebevoll) bekämpften, um „links der Mitte“ aus der selbstverschuldeten Defensive und Zersplitterung herauszukonmen.
Er sorgte mit zahllosen Publikationen und Referaten dafür, dass Eduard Bernstein, der mit seinem Revisionismus und Reformismus den Marxismus mit der modernen Sozialdemokratie verband, der Vergessenheit entrissen wurde. Er hat es nie aufgegeben im Demokratischen Sozialismus (für diesen Begriff stritt er bis zuletzt!) die reformpolitische Alternative zum real existierenden Kapitalismus und zu allen antidemokratischen Versuchungen zu sehen.
70 Jahre in der SPD
Sein Ortsverein Barop/Menglinghausen ehrte ihn noch im Dezember für seine 70-jährige Mitgliedschaft in der SPD, war er doch 1954, bereits kurz nach seiner Übersiedlung aus der DDR, in die SPD eingetreten. In Dortmund wurde er respektvoll „Theorie-Papst der Sozialdemokratie“ genannt. Noch in den letzten Jahren bemühte er sich gemeinsam mit den dortigen Jusos darum, die Geschichte der altehrwürdigen Partei in Erinnerung zu halten.
„Die Partei hat einen großen Sozialdemokraten verloren. Wir werden ihn und seine Verdienste immer in Erinnerung behalten“, ist sich nicht nur der SPD-Ortsverein Barop/Menglinghausen sicher.
Zum Weiterlesen:
Horst Heimann, Hendrik Küpper, Klaus-Jürgen Scherer (Hg.): Geistige Erneuerung links der Mitte. Der Demokratische Sozialismus Bernsteins, Schüren Verlag Marburg 2020