Geburtstag von Björn Engholm: Ein Überzeugungsrhetoriker wird 80
Lübeck hat der Sozialdemokratie viel zu verdanken, aber umgekehrt hat auch die Sozialdemokratie Lübeck viel zu verdanken. Zwei ihrer Vorsitzenden wurden hier geboren. Der eine von ihnen war unser Ehrenvorsitzender Willy Brandt, der Generationen inspiriert hat. Der andere ist Björn Engholm, der viel zu kurz – von 1991 bis 1993 – an der Spitze der SPD stand, bevor er in der Folge der sogenannten Schubladen-Affäre als Ministerpräsident und Parteivorsitzender zurücktrat. Heute feiert ein großer Sozialdemokrat 80. Geburtstag, dessen politisches Erbe vor allem Schleswig-Holstein bis heute prägt, der aber auch die gesamte SPD mit seinem unverwechselbaren Profil bereichert hat.
Reden aus dem scheinbaren Stegreif
Zur Sprache hatte der gelernte Schriftsetzer Björn Engholm schon immer ein besonderes Verhältnis. Er ist Überzeugungsrhetoriker, der auch das Vorformulierte nie vorliest, sondern komprimiert bis es auf eine Serviette passt um daraus scheinbar aus dem Stegreif politische Reden zu entfalten, die auch heute noch beeindrucken und zum Nachdenken anregen. Björn Engholm beherrschte und beherrscht die Kunst der politischen Rede in einer Weise, die heute kaum noch anzutreffen ist.
Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum die Lübecker den damals erst 29-Jährigen 1969 das erste Mal in den Deutschen Bundestag wählten. 1977 wurde er parlamentarischer Staatssekretär für Bildung und Wissenschaft, von 1981 bis zum Ende der sozialliberalen Koalition Bundesminister und damit einer der Konstrukteure jener bis heute nachwirkenden Bildungswende, die vielen Tausend jungen Menschen den Weg an die Hochschulen ebnete.
1983 folgte er den Rufen vieler Genossinnen und Genossen in Schleswig-Holstein und kandidierte bei der Landtagswahl als Spitzenkandidat. Trotz Zuwächsen für die SPD konnte die CDU ihre absolute Mehrheit verteidigen. Doch Björn Engholm blieb im Norden, wurde Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer.
„Schläfrig-Holzbein“ wachgerüttelt
Spätestens hier zeigten sich vollends die Qualitäten von einem, der erst die eigene Landtagsfraktion und dann ein ganzes Land wachrütteln sollte, das zu dieser Zeit überregional noch als Schläfrig-Holzbein verspöttelt wurde. Björns Konzept war nie die Spiegelstrichpolitik. Es ging immer um das große Ganze, das Gemeinwesen, die Gerechtigkeit, die Verantwortung. Davon ausgehend wurde Politik gemacht. Mit Lust, Neugier und wirklichem Interesse an Land und Leuten.
Das führte 1987 zum Erfolg, die SPD wurde stärkste Kraft, doch durch den Einzug der FDP kam es im Landtag zum Patt. Ein halbes Jahr später, auch unter dem Eindruck der gegen ihn selbst gerichteten üblen Machenschaften der Barschel-Affäre, führte Björn Engholm die SPD nach 38 Jahren in der Opposition bei den vorgezogenen Neuwahlen zur absoluten Mehrheit.
Als Ministerpräsident rückte er die Modernisierung des Landes in den Mittelpunkt. Anders als bei Vielen bedeutete das bei ihm keine Verengung auf Industrie- oder Wirtschaftspolitik, sondern es ging um Gleichstellung, gesellschaftliche Liberalisierung und schloss die Kultur, das besondere Verhältnis zu den schleswig-holsteinischen Minderheiten und die freundschaftliche Zusammenarbeit mit den jungen osteuropäischen Nachbarstaaten im Ostseeraum selbstverständlich mit ein.
Vorreiter bei der Energiewende
Auf Einladung des Ministerpräsidenten referierten und diskutierten in Kiel Hans-Otto Apel und Hans Küng über Diskursethik und Weltethos. Der Philosoph Hans Jonas sprach über Verantwortungsethik: „Handle so, dass die Wirkungen Deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Dieser ökologische Imperativ hat auch Engholm geprägt und fand Niederschlag in seiner Politik.
Die SPD im Norden war mit ihren Beschlüssen zum Atomausstieg in den 70er-Jahren Vorreiter, unter Engholm wurde Schleswig-Holstein auch zum Vorreiter bei der Energiewende. Engholm mutete den eher bodenständigen Schleswig-Holsteinern viel zu. Viel aber nicht zu viel, denn trotz Verlusten gelang es, die absolute Mehrheit der SPD auch bei der Landtagswahl 1992 zu verteidigen.
Engholm war zwischenzeitlich als Nachfolger Hans-Jochen Vogels auch zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Und mit seiner Ausstrahlung weit über die klassische sozialdemokratische Klientel hinaus war er damit innerhalb der Enkel-Generation auch die Kanzler-Hoffnung für die Bundestagswahl 1994.
Ein Mann der Kultur
Es kam anders, als durch den zweiten Kieler Untersuchungsausschuss klar wurde, dass er früher als zuvor eingestanden von den Machenschaften gegen sich selbst im Rahmen der Barschel-Affäre gewusst hatte. Mit seinem konsequenten Rücktritt blieb er sich selbst auch in schwierigen Zeiten treu und legte zugleich die Grundlagen für zwölf weitere erfolgreiche Jahre sozialdemokratischer Regierungsführung unter seiner Nachfolgerin Heide Simonis.
Björn Engholm ist als aktiver Politiker aber auch – und gerade danach – ein Mann der Kultur geblieben und vermag interessierte und damit auch interessante Menschen um sich zu scharen. Als Brückenbauer zu den Künsten kann er Menschen inspirieren wie kaum ein anderer – und da schließt sich der Kreis wieder mit dem anderen großen Lübecker Sozialdemokraten.
Ich selbst habe ihm für manches beeindruckende Gespräch, stets wohlwollenden Rat und immer die Bereitschaft, von seinen Erfahrungen partizipieren zu dürfen, zu danken. Um ihm selbst das letzte Wort zu lassen: „Realität ist, wo man durch muss. Daran wachsen oder scheitern wir“. Herzlichen Glückwunsch, lieber Björn!