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Was die Wiederwahl Putins in Russland für Europa bedeutet

Vladimir Putin wird für weitere sechs Jahre Staatspräsident in Russland bleiben. Nun muss sich Europa entscheiden, wie es sich im Haifischbecken zwischen den USA, China und Russland positionieren möchte, schreibt der Moskauer FES-Büroleiter Mirko Hempel. Seine Analyse.
von Mirko Hempel · 21. März 2018
Hofft auf Zustimmung im Referendum: Russlands Staatspräsident Wladimir Putin
Hofft auf Zustimmung im Referendum: Russlands Staatspräsident Wladimir Putin

Mit knapp 77 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent ist Vladimir Putin am vergangenen Sonntag im Amt des Staatspräsidenten bestätigt worden. Der für die Kommunistische Partei angetretene Pawel Grudinin brachte es als Zweitplatzierter auf immerhin knapp 12 Prozent – und das ist die eigentliche kleine Überraschung. Der im Vorfeld medial massiv diffamierte Grudinin hat offenbar in Abwesenheit des nicht zur Wahl zugelassenen Alexey Nawalny den Großteil der Proteststimmen auf sich vereinen können.

Russland hat entschieden

Denn trotz der großen Zustimmung für Putin gibt es eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen, die mit den gegenwärtigen Bedingungen, vor allem im Bereich Sozial- und Gesundheitspolitik, nicht einverstanden sind. An den realen Fakten ändert dies aber ebensowenig wie an den nachgewiesenen Fällen von Wahlfälschung oder Einschüchterungen am Wahltag. Auch wenn sich Europa etwas anderes wünschen mag, muss es zur Kenntnis nehmen, dass mehr als zwei Drittel der russischen Bevölkerung hinter Putin stehen.

Mit der Wiederwahl Vladimir Putins hat sich Russland sehr eindeutig entschieden, auch in den kommenden sechs Jahren keine tiefgreifenen Wirtschaftsreformen realisieren zu wollen. Das alte russische Sprichwort „Hauptsache, es wird nicht schlechter“ behält auch in diesen Zeiten seine Gültigkeit. Putin muss allerdings in den kommenden Jahren enorme Anstrengungen unternehmen, die wachsende Armut zu bekämpfen, die Gesundheitsversorgung nicht nur in den Städten zu verbessern und die Modernisierung der Wirtschaft, die mittlerweile zu 70 Prozent vom Staat kontrolliert wird, voranzutreiben.

Sanktionen des Westens ohne Wirkung

Die Sanktionen des Westens, so wie sie bisher aufgestellt waren, haben bisher kaum Wirkungen erzielt. Sie haben einerseits die Legende von der Bedrohung von außen genährt und dem nationalistisch-patriotischen Narrativ des Systems neue Nahrung gegeben. Andererseits hat der Zwang zur Importsubstitution neue zarte Pflänzchen der Agrarindustrie befördert und gezeigt, dass Russland sehr wohl perspektivisch in der Lage sein kann, sich selbst, z.B. mit Nahrungsmitteln, zu versorgen.

Problematisch wird in den kommenden Jahren auch ein zunehmender „brain drain“ von jungen, gut ausgebildeten Menschen werden, die Russland in Richtung Westen verlassen, weil sie im Russland von Vladimir Putin keine Zukunft sehen – denn, wer nicht loyal zum System steht, hat es schwer. Und vor allem die Jugend will sich nicht mit dem Status Quo zufriedengeben.

USA, China, Russland – Wo steht Europa?

Für Europa ist dieses Wahlergebnis Problem und Chance zugleich. Mit der Konsolidierung der drei neuen globalen Machtpole, die aggressiv, protektionistisch und egoistisch auftreten – USA unter Trump, China unter Xi Jingping und Russland unter Putin – ist Europa nun gezwungen, sich schnellstens darüber zu verständigen, wie es sich in diesem Haifischbecken positionieren möchte – und mit wem strategische Bündnisse sinnvoll sind.

Dazu ist es aber zunächst einmal wichtig, sich von Wunschdenken zu verabschieden und Realitäten anzuerkennen, so schmerzhaft sie momentan für den liberalen Westen sind: Trump stellt momentan alles, was uns jahrzehntelang als selbstverständlich erschien im transatlantischen Verhältnis und als NATO-Schutzmacht, von den Füßen auf den Kopf. Seine Politik erodiert den bisherigen Wertekonsens des Westens zunehmend. Die USA werden mehr Konkurrent als Partner – „America first“.

China hat sich still und leise aus allen Konflikten herausgehalten und die Zeit genutzt, sich in Afrika und anderswo neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte zu sichern. Auch die Seidenstraßeninitiative nützt, sofern sie realisiert wird, in erster Linie China. Das China unter Xi Jingping tritt zunehmend selbstbewusst auf und macht klar, dass „China first“ die neue Maxime ist.

Russland unter Putin hat gelernt, dass diese selbstbewusste Rücksichtslosigkeit und Selbstzentrierung zumindest nicht schadet im Ringen um globale Machtsphären. Auch wenn die Wirtschaftsleistung Russlands nur ein Bruchteil der US-amerikanischen oder chinesischen ausmacht, ist das militärische Potential absolut gleichwertig.

Europa verliert an Einfluss

Und Europa, als vierter Machtpol einer zunehmend multipolaren Welt? Verliert zunehmend an Einfluss, kann sich im Notfall kaum selbst verteidigen und ist fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Der mittlerweile extreme Dissenz einer planlosen Migrationspolitik bei anhaltender Massenmigration wirft immer größere Gräben auf und beschäftigt die nationalen und europäischen Institutionen und Apparate fast rund um die Uhr. Der ewige Verweis auf die ungebremst boomende Wirtschaft verschließt die Augen vor dringend notwendigen strategischen Entscheidungen im Umgang mit den anderen Machtzentren der Erde und auch in der Absicherung der Grundlagen des eigenen Wirtschaftens – Stichwort: strategische Bündnisse zur langfristigen Absicherung der Rohstoffgrundlage unserer Industrien.

Mit den neuen, wenn auch aus liberaler westlicher Sicht nicht gewünschten, Realitäten, die uns umgeben, muss Deutschland, muss Europa jetzt dringend umgehen – Russland entfernt sich im Bereich Werte immer weiter vom Westen. Das kann man verurteilen, es ist aber Realität. Russland wird in den kommenden Jahren keine Demokratie im westlichen Sinne sein, sondern ein stark vertikal organisiertes System, dass nach außen hin zunehmend selbstbewusst, weiterhin destruktiv, zuweilen aggressiv und isolationistisch auftreten wird.

Das bisherige Sanktionsregime des Westens hat Russland nicht wirklich beeindruckt. Europa weiß sehr wohl: wer das russische System wirklich ins Wanken bringen will, muss die Pfründe, Fonds, Immobilien der Oligarchen im Ausland einfrieren, ihre Mobilität in Europa einschränken und totale Transparenz aller Transaktionen herstellen. Dann gerät das System in Russland selbst unter Druck, denn der Pakt zwischen dem Kreml und den Oligarchen, „wir fassen euer Geld nicht an, und ihr haltet euch aus der Politik heraus“ bekäme dann Risse. Europa wäre aber gut beraten, keinerlei Initiative zu fahren, die Russland derart destabilisiert – denn ein Russland unter Putin im Jahre 2018 ist allemal berechenbarer als ein Koloss der in sich selbst zerfällt und alle Nachbarn mit in den Abgrund reißt.

Russland wird strategischer Partner Deutschlands bleiben

Russland wird und muss trotz allem ein strategischer Partner Deutschlands und Europas bleiben. Auch wenn wir mittlerweile völlig verschiedene Ansichten haben, wie Gesellschaft organisiert werden kann, brauchen wir einander mehr als je zuvor. Appeasement um jeden Preis darf es trotzdem nicht geben – aber ein völliger Neuanfang unserer Beziehungen darf nicht an Verbohrtheit scheitern. Gesunde Härte und Stehvermögen gegenüber Russland in Fragen völkerrechtsverletzender Aktion bei gleichzeitiger interessensgeleiteter Wirtschafts- und Sicherheitspolitik wären schon mal ein Anfang.

Putin hat sich seit dem Jahre 2000, als er nach seiner Rede im Deutschen Bundestag mit stehenden Ovationen gefeiert, dann aber jahrelang ignoriert wurde, kontinuierlich gerächt für diese Demütigung. Spätestens seit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hätte man in Europa wissen müssen, dass er es ernst meint. Auch das wurde ignoriert. Sein vorerst letztes Statement in Richtung Europa und des Westens kam in seiner Rede zur Nation vor: „Ihr habt uns nicht zugehört und nicht ernst genommen – jetzt müsst ihr uns zuhören“. Weiterhin ignorieren dürfte kaum noch möglich sein - aber dann muss endlich auch von Seiten Russlands mal eine Idee kommen, die über die üblichen stereotypen Floskeln hinausgeht und eine neue Vertrauensbasis schaffen kann für einen Neubeginn. Wir hören ....

Autor*in
Mirko Hempel

leitet seit Beginn des Jahres 2016 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation mit Sitz in Moskau.

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