Portugal: Wie es nach dem Rücktritt von Premier Costa weitergeht
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Nach fast acht Jahren im Amt hat der sozialdemokratische Premierminister António Costa in dieser Woche seinen Rücktritt eingereicht. Wie überraschend kam die Nachricht?
Die Nachricht kam sehr überraschend. Die Parteizentrale war in Schockstarre. In seiner Rücktrittserklärung gab Costa an, nichts von den Untersuchungen gegen ihn gewusst zu haben. Das halte ich für glaubwürdig.
Ausschlaggebend für Costas Rücktritt waren offenbar Korruptionsermittlungen im Umfeld seiner Regierung. Worum geht es genau und was ist dran an den Vorwürfen?
Genau, das ist wichtig zu betonen, dass es sich um Costas Umfeld handelt. Gegen Costa selbst wird gar nicht ermittelt. Die Staatsanwaltschaft hält sich in der gesamten Angelegenheit noch äußerst bedeckt. In der Öffentlichkeit wird ihre Vorgehensweise allerdings bereits kritisch diskutiert. Denn diese hat eine erfolgreiche Regierung zu Fall gebracht. Nichtsdestotrotz funktioniert der portugiesische Rechtsstaat, arbeitet vertrauenswürdig und sauber. Das hat auch Costa in seiner Rücktrittserklärung nochmals betont.
Die Angelegenheit ist daher noch schwer zu durchschauen. Bisher bekannt ist, dass Costas Stabschef Vitor Escária und sein politischer Wegbegleiter und Trauzeuge Diogo Lacerda Machado im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen. Sie wurden neben drei weiteren Personen – zwei Unternehmer und der Bürgermeister der Stadt Sines – wegen Fluchtgefahr festgenommen.
Die Ereignisse ranken sich um den Bau eines Datenzentrums in Sines und der Vergabe von Abbaurechten von Lithium in Nordportugal für die kommenden 35 Jahre.
Im Fall des Datenzentrums Sines hat Costas politischer Wegbegleiter Diogo Lacerda Machado unter anderem Aktien im Wert von 200.000 Euro erhalten, als, so heißt es in einem veröffentlichten Schreiben, „vorzeitige Anerkennung für Leistungen für positiven Einfluss auf den zukünftigen Erfolg der Firma“. In den von der Staatsanwaltschaft abgehörten Telefonaten mit den beiden Firmenbossen hat Machado dann versichert, direkt mit Costa zu sprechen, um das Verfahren zu beschleunigen. Auch der ehemalige Staatssekretär für Energiefragen im Umweltministerium stand in engem Kontakt mit den Firmenbossen und hat Costas Stabschef darauf gedrängt, die Umweltzone in der Region neu zu definieren, damit das Verfahren beschleunigt werden könne. Galamba wird also ebenfalls der Korruption verdächtigt.
„Mit einer schnellen Rückkehr Costas ist nicht zu rechnen“
Costa selbst wurde übrigens nicht abgehört, er wurde lediglich als Referenzperson in den Telefonaten genannt, weshalb die Staatsanwaltschaft es als notwendig ansah, auch seinen Amtssitz zu inspizieren.
Im Falle der Vergabe von Abbaurechten von Lithium soll es einen Verfahrensfehler gegeben haben. Auch hier ist das Umweltministerium, damals unter Führung von Matos Fernandes, und Costas Weggefährte Machado ins Visier der Ermittler geraten, weil beide unlauteren Einfluss auf die Umweltbehörde APA und eben den Premierminister Costa ausgeübt haben sollen und dabei stets im engen Kontakt mit derjenigen Firma standen, der die Abbaurechte zugesprochen wurden.
Was an den Vorwürfen dran ist, muss die Justiz klären. Fakt ist, dass das mehrere Jahre dauern wird. Mit einer schnelle Rückkehr Costas ist daher wohl erst einmal nicht zu rechnen.
Noch im Januar 2022 hatte Costa bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit errungen. Welchen Einfluss hat sein Rücktritt auf die sozialistische Partei?
In der sozialistischen Partei wird es nun zu Grabenkämpfen zwischen den Parteilinken unter Führung des ehemaligen Infrastrukturministers Pedro Nuno Santos und den Moderaten unter Führung von Innenminister José Luís Carneiro und Finanzminister Medina auf der anderen Seite kommen. Die Linken sprechen sich für eine Koalition mit dem Linksblock und der Kommunistischen Partei aus. Die Moderaten glauben, dass die PS auch mit der liberalkonservativen PSD koalitionsfähig sei.
Es wird wohl Anfang Januar einen außerordentlichen Parteikongress geben, auf dem Costas Nachfolge als Generalsekretär dann bestimmt werden soll. Pedro Nuno Santos hat mehr Unterstützung in der aktuellen Fraktion und bei den Jusos. José Luís Carneiro ist als ehemaliger Bürgermeister von Porto und Vizegeneralsekretär eng mit der Basis landesweit verbunden.
Beide Flügel müssen sich jedenfalls darauf einstellen, dass die Zeit der absoluten Mehrheit von 2022 eine Ausnahme war und die PS einen oder gar zwei Koalitionspartner braucht, um überhaupt Chancen auf die Regierungsbank zu haben. Dafür muss die Partei Geständnisse machen. Nach links in der Außenpolitik, da die Kommunisten und der Linksblock die Russland-Sanktionen in der EU nicht mitgetragen haben; und in die moderate Mitte mit Blick auf die PSD beim Ausbau des Sozialstaats, den Portugal so dringend nötig hätte.
Wie geht es politisch nun weiter im Land?
Der Staatspräsident hat für den 10. März Neuwahlen ausgerufen. Bis Ende November muss nun noch der Staatshaushalt verabschiedet und ein paar wenige, nicht äußerst umfassende Gesetzesvorhaben umgesetzt werden. Darauf hat der konservative Marcelo Rebelo de Sousa Wert gelegt. Die Erhöhung des Mindestlohnes auf 820 Euro ab 1. Januar 2024 wird also ebenso kommen wie die Mietunterstützung für sozial schwache Haushalte.
Die großen und viel wichtigeren Reformen, die noch mehr Zeit geraucht hätten, bleiben allerdings aus. Von der Mietmarktreform und den Anpassungen der Steuertabellen hätte insbesondere die Mittelschicht profitiert. Doch dies bleibt nun auf der Strecke.
Auch die Privatisierung der Fluggesellschaft TAP, über die man seit 2015 spricht, wird nun wohl nicht mehr stattfinden. Und wann wieder Gelder aus dem Europäischen Rettungsfonds abgerufen werden, kann jetzt ebenso wenig gesagt werden.
Der Stillstand könnte bis in den April 2024 dauern. Portugal stünde möglicherweise zu Beginn der Feierlichkeiten zu 50 Jahren Nelkenrevolution ohne Regierung dar. Das wäre dann so ganz nebenbei ebenfalls keine angenehme Momentaufnahme, 50 Jahre nach der Demokratisierung des Landes.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie bei den Wahlen im März?
Wenngleich es im Moment das naheliegendste Szenario ist, halte ich den Rechtsruck noch nicht für abgemacht. In vergangenen Umfragen standen die linken Parteien in der Summe vor einem rechten Bündnis, angeführt von der Liberalkonservativen PSD, von der man derzeit nur sicher sagen kann, dass sie mit der Liberalen Initiative koalieren würde.
Die Haltung der PSD zu Chega ist noch nicht klar: auf den Azoren lässt sich die PSD von den Rechtsnationalen dulden, in Madeira lehnt sie eine Kooperation ab und koaliert stattdessen mit der Tierschutzpartei PAN.
Wenn sich die PSD nicht klar zu Chega abgrenzt, könnte dies die Wähler der Mitte, wie auch im Jahr 2022, wieder für die Sozialisten stimmen lassen. Ich bin mir lediglich sicher, dass die Rechtsnationale Chega von den Neuwahlen profitieren wird. Und das ist nach all den Irrungen der letzten Tage zusätzlich kein gutes Signal für ein sozialdemokratisches Europa.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo