Neue Vorsitzende des Partito Democratico: Wofür steht Elly Schlein?
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Außerhalb der Emilia-Romagna – Stammland und Herzkammer der italienischen Linken, vergleichbar nur mit der Bedeutung des Ruhrgebiets für die SPD – kennt auch in Italien bislang kaum jemand la Signora Schlein. Das dürfte sich bald ändern, denn die 37-Jährige ist mit der Wahl zur Generalsekretärin des Partito Democratico faktisch zur Oppositionsführerin geworden. Ein steiler Aufstieg in der ohnehin bereits schnellen Karriere der Verfassungsjuristin, die vor drei Jahren für die Linke Liste „Emilia-Romagna Coraggiosa Ecologista e Progressista“ (mutige, ökologistische und fortschrittliche Emilia-Romagna) ins Regionalparlament gewählt worden war, und zwar mit dem besten persönlichen Stimmergebnis aller angetretenen Kandidat*innen, egal welcher Partei.
Regionalpräsident Stefano Bonaccini (PD) ernannte Schlein daraufhin zu seiner Stellvertreterin und berief sie als Beigeordnete für den Kampf gegen Ungleichheit und den ökologischen Wandel in sein Kabinett. Genau jener Stefano Bonaccini, gegen den sich Elly Schlein nun in der Stichwahl für den Parteivorsitz des PD mit 54 zu 46 Prozent klar durchgesetzt hat.
Enkelin eines antifaschistischen Widerstandskämpfers
Wer also ist Elly Schlein? Elena Ethel Schlein, genannt Elly, wurde am 4. Mai 1985 in Lugano, in der italienischsprachigen Schweiz geboren. Die Eltern sind Uniprofessoren. Die Mutter Maria Paola Viviani lehrt Öffentliches Recht und ist Tochter des italienischen antifaschistischen Widerstandskämpfers und späteren Senators Agostino Viviani. Der Vater, Melvin Schlein, ist US-Amerikaner und emeritierter Professor für internationale Beziehungen.
Elly Schlein, die neben der italienischen auch die Schweizer und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt, schloss 2011 im Alter von 26 Jahren ihr Jurastudium in Bologna ab. Während der Universitätszeit hatte sie Wahlkampf für Barack Obama gemacht. Sie trat 2013 dem Partito Democratico bei und rechnet sich selbst dem linken Flügel der Partei zu.
Die 2007 gegründete PD ist das links-liberale Sammelbecken verschiedener früherer Parteien; das Spektrum reicht von den Kommunist*innen über die Sozialist*innen bis zu Christdemokrat*innen. Der PD definiert sich als Sozialdemokratische Partei, verbunden durch eine progressive, pro-europäische und antifaschistische Grundhaltung. Gleichwohl hat es seit der Gründung immer Diskussionen über die inhaltliche Ausrichtung der PD gegeben, die nur partiell überdeckt wurden, durch die gemeinsame vehemente Ablehnung der Politik eines Silvio Berlusconi.
Eintritt 2013, Austritt 2020, Wiedereintritt 2022
Elly Schlein trat also 2013 ein und das mit dem dezidierten Ziel, das Nach-Rechts-Rücken des PD und eine „Große Koalition“ mit Berlusconi zu verhindern. Sie konnte sich damals nicht durchsetzen, denn die Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta (PD) wurde mit Hilfe von Berlusconi gebildet. Sie blieb genau acht Monate im Amt.
Elly Schlein wurde dagegen 2014 für den PD ins EU-Parlament gewählt. Sie blieb dort bis zum Ende der Wahlperiode 2019 Mitglied der S&D-Fraktion, obwohl sie den Partito Democratico im Jahr darauf aus Protest gegen den zunehmend selbstreferentiellen Kurs des damaligen Parteivorsitzenden (und italienischem Ministerpräsidenten) Matteo Renzi verließ. 2022 wurde Elly Schlein erneut PD-Mitglied, um nun zur Nachfolgerin des Vorsitzenden Letta gewählt worden zu sein.
Ihren Grundprinzipien treu geblieben
In Relation zu den teils persönlichen, teils politisch-inhaltlichen Ränkespielen der vergagnenen Jahre innerhalb der Partei, ist Schlein sich selbst und ihren Grundpositionen ziemlich treu geblieben. Wohl auch ein Grund für ihre Wahl zur Vorsitzenden. Sie hat den Willen, die zerstrittene und gespaltene Partei (wieder) zusammenzuführen mit den Kernthemen Arbeitsmarktreform, Grünere Wirtschaft und Vermögensverteilung. Ob sie auch das Zeug dazu hat, muss sich erst weisen.
Denn zu ihrem Wahlerfolg hat unter anderem auch beigetragen, eben nicht zum politischen Establishment zu gehören. Dieses Nicht-Verwobensein mit dem bestehenden Machapparat wird nicht nur in Italien inzwischen für ein wichtiges Auswahl-Kriterium gehalten. Aber gleichzeitig erwarten diejenigen, die das „Unverbrauchte“ goutieren und einfordern, dass der oder die neu ins Amt Gewählte sehr wohl sofort und unmittelbar diesen Apparat nutzen, kontrollieren und beherrschen soll. Dies Problem wird nun auch Elly Schlein zu lösen haben.
Und das Problem wird nicht kleiner dadurch, dass der PD bei der Parlamentswahl 2022 zwar zweitgrößte Einzelfraktion wurde, aber mit gerade einmal 19 Prozent der Stimmen himmelweit von einer Regierungsoption entfernt ist – zum einen wegen der eigenen Schwäche, zum zweiten mangels Koalitionspartner*innen. Die ultrarechte Regierung Meloni kann sich dagegen auf deutlich über die Hälfte der Mandate stützen.
Was jetzt auf Elly Schlein zukommt
Da kommt reichlich Arbeit auf Schlein zu. Sie muss der heterogenen Partei eine gemeinsame inhaltliche Ausrichtung geben und dazu noch eine realistische Machtoption. Und sie muss sich dabei gleichzeitig persönlich profilieren und im ganzen Land bekannt machen. Eine echte Herkulesaufgabe.
Manche werden Elly Schlein jetzt zur „Anti-Meloni“ stilisieren, wie es in deutschen Medien bereits zu lesen war. Schlein ist jung, mutig, gebildet und progressiv. Sie ist pro-europäisch, pro-ökologisch und sie lebt offen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Aber selbst, wenn Schlein tatsächlich wie der Gegenentwurf zur reaktionären Ministerpräsidentin wirkt, das allein wird nicht reichen.
Vor allem wird es darum gehen, dem PD ein einheitliches Fundament zu geben, das alle Mitglieder in der Spannbreite von liberal-konservativen Gewerkschaft*innen bis sozialistisch/linkssozialdemokratisch Orientierten einbindet und das in der Folge so ein wirklich gemeinsames Auftreten von der Emilia Romagna bis Kalabrien ermöglicht, weil politische Inhalte vor individuellen (Macht-)Interessen stehen. Das braucht Courage, Können und Kraft. Schafft sie das, wird der Name Elly Schlein nicht nur den Menschen in Italien künftig ein Begriff sein.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Textes hieß es, Elly Schlein lebe in einer lesbischen Beziehung. Wir haben das korrigiert.