Inland

Warum der Internet-Wahlkampf klare Regeln braucht

Der Bundestagswahlkampf wird wie keiner zuvor im Internet geführt. Doch viele Regeln aus der analogen Welt gelten in der digitalen noch nicht. Der Digitalverein D64 fordert die Parteien deshalb zu einer Selbstverpflichtung auf.
von Kai Doering · 19. Juli 2021
Internet und soziale Medien spielen im Wahlkampf eine immer wichtigere Rolle. Deshalb müssen auch hier klare Regeln gelten.
Internet und soziale Medien spielen im Wahlkampf eine immer wichtigere Rolle. Deshalb müssen auch hier klare Regeln gelten.

Der Wahlkampf im Internet gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die Corona-Pandemie gibt dem Ganzen nun einen weiteren Schub. Ist das in den Parteien schon angekommen?

Viele Jahre ist der Wahlkampf im Internet bzw. genauer gesagt in den sozialen Medien von den Parteien eher stiefmütterlich behandelt worden. Vieles wurde „mal eben so mitgemacht“. Inzwischen haben die meisten erkannt, dass die Präsenz und das Auftreten im Internet wahlentscheidend sein können. Einfach, weil sich ganze Generationen fast ausschließlich im Internet informieren. Spätestens jetzt in der Corona-Pandemie kommen die Parteien um den Wahlkampf im Internet nicht mehr herum, weil der ansonsten übliche Straßenwahlkampf nur eingeschränkt möglich ist. Auch die Wechselwirkung zwischen Online- und Offline-Wahlkampf ist stark wie nie. Das hat der US-Präsidentschaftswahlkampf gezeigt, wenn etwa Tweets von Twitter von den klassischen Medien aufgegriffen wurden.

Viele Regeln, die im analogen Wahlkampf bereits seit vielen Jahren Konsens sind, sind im Internet noch nicht etabliert. Diese Regelverstöße hat D64 immer wieder kritisiert. Was stört Sie besonders?

Ein konkretes Beispiel ist, dass im Digitalen Wahlwerbung auch noch am Wahltag selbst gemacht wird. Das ist in der analogen Welt ja eher verpönt. Durch so genanntes Geofencing besteht zudem die Möglichkeit, diese Werbung auf bestimmte Orte zuzuschneiden. Wenn also jemand im Wahllokal warten muss und sich die Zeit in den sozialen Medien vertreibt, kann er unmittelbar vor seiner Wahlentscheidung mit Wahlwerbung konfrontiert werden. Das halten wir für problematisch. Ein anderes Problem, das wir sehen, ist Wahlwerbung im Verborgenen. In den USA wurde zumindest 2016 mutmaßlich gezielt Werbung an verschiedene Bevölkerungsgruppen ausgespielt, die auf der Grundlage personenbezogener Daten genau auf ihre Interessen und Präferenzen zugeschnitten war, teilweise mit sich widersprechenden Aussagen je nach Gruppe. Das Ganze fand versteckt vor der Öffentlichkeit statt. Es gab also keinerlei Möglichkeit, das zu kontrollieren. Ähnliche widersprüchliche Wahlwerbung gab es auch im Bundestagswahlkampf 2017 in Deutschland. Inzwischen gibt es bei den großen Plattformen zwar Bibliotheken für Werbeanzeigen, diese müssten jedoch für noch mehr Transparenz optimiert werden.

Ihr Verein D64 fordert deshalb „klare Spielregeln für die digitale politische Kommunikation“ und hat einen „Code of Conduct“ für digitales Campaigning erarbeitet. Was war der Auslöser?

Bei der Entwicklung des „Code of Conduct“ haben wir all die bekannten Negativbeispiele der vergangenen Jahre ausgewertet, weil uns wichtig ist, dass sich so etwas nicht wiederholt bzw. in Deutschland gar nicht erst stattfindet. Gerade in den amerikanischen Wahlkämpfen haben abschreckende Dinge stattgefunden. Eine Polarisierung wie in den USA würde der Demokratie in Deutschland einen großen Schaden zufügen. 2019 haben wir schon erste Ideen für einen „Code of Conduct“ entwickelt. Die sind in unseren jetzigen Vorschlag eingeflossen. Es gibt ja auch bereits einige gute Beispiele: In den Niederlanden haben elf von 13 Parteien vor der Parlamentswahl im Frühjahr eine Selbstverpflichtung für einen fairen Wahlkampf unterzeichnet. Solange es keine gesetzlichen Regelungen gibt, sind Selbstverpflichtungen das Nächstbeste im Kampf gegen Desinformation und unfairen Wahlkampf durch Parteien.

Sie haben zehn Punkte aufgeschrieben, auf die sich die Parteien in Deutschland aus Ihrer Sicht verpflichten sollten. Wovon haben Sie sich dabei leiten lassen?

Diese zehn Punkte sind das, was wir als zivilgesellschaftlicher Akteur für wichtig halten, um einen fairen, demokratischen Wahlkampf zu gewährleisten. Wir sehen sie als Diskussionsgrundlage, die wir den Parteien zur Verfügung gestellt haben. Im besten Fall übernehmen sie die Regeln und verpflichten sich öffentlich dazu, sie im Wahlkampf einzuhalten.

Bisher gibt es keine Einigung der Parteien, eine solche Selbstverpflichtung zu unterzeichnen. Woran scheitert das?

Das ist schwer zu sagen. SPD und Grüne haben inzwischen eigene Selbstverpflichtungen veröffentlicht. Die Linkspartei hat das wohl noch vor. Von CDU, CSU und FDP haben wir keine Rückmeldung erhalten. Lars Klingbeil hat betont, dass sich die Generalsekretäre der sechs Parteien in die Hand versprochen haben sollen, einen fairen Wahlkampf zu führen. Es gibt ja aber bereits Anzeichen dafür, dass das nicht unbedingt von allen eingehalten wird.

Die Selbstverpflichtung der SPD deckt sich in vielen, aber nicht in allen Punkten mit den Vorschlägen, die D64 macht. Wie bewerten Sie sie?

Aus meiner Sicht ist die Selbstverpflichtung der SPD sehr gut. Auch wenn einiges zusammenfasst wurde, hat die Partei so gut wie alle unsere Forderungen aufgenommen. In manchem würden wir gern einen Schritt weitergehen, etwa bei der Bewerbung aufgrund politischer Interessen, aber ich kann gut verstehen, dass solch ein Instrument für eine Partei sehr wichtig ist. Ich denke auch nicht, dass das die Demokratie gefährdet, wenn es offen und transparent passiert. Problematischer ist eher, dass Plattformen wie Facebook diese Informationen über ihre Nutzer sammeln. Aber das ist dann eher eine Frage der Gesetze.

Parteien sind ja nie zentral organisiert. Im Wahlkampf machen viele Kandidat*innen das, was sie selbst für richtig halten. Wie kann man da dafür sorgen, dass sich alle an eine Selbstverpflichtung halten?

Das ist tatsächlich ein Problem. Bei SPD und Grünen haben die Vorstände der Bundesparteien eine Selbstverpflichtung beschlossen. Die Landesverbände haben sich bisher nicht positioniert. Und was auf den Ebenen darunter passiert, ist ohnehin nicht zu kontrollieren. Wir appellieren deshalb an die Parteien, ihre Mitglieder aufzuklären und Schulungen anzubieten – sowohl zum Umgang mit Daten als auch mit sozialen Medien.

Sie haben bereits gesagt, dass Selbstverpflichtungen nur ein Zwischenschritt hin zu einer gesetzlichen Regelung sind. Wann sollte es die geben?

So schnell wie möglich, allerspätestens in der nächsten Legislatur. Denn je später gehandelt wird, desto schwieriger wird es werden, Dinge wieder einzufangen. Die Diskussion darüber dürfte jedoch hitzig werden, denn natürlich haben Parteien ein Interesse daran, Wahlkampf auf Grundlage möglichst genauer persönlicher Daten zu machen. Andererseits sollte man aus unserer Sicht erst gar keine Anreize schaffen, solche Daten zu sammeln. Dieses Spannungsverhältnis wird sich nur schwer auflösen lassen. Aber wir brauchen eine Entscheidung. Andere Punkte, wie etwa ein Verbot von Social Bots, die die Wählerinnen und Wähler in die Irre führen, sollten unter Demokraten ja ohnehin unstrittig sein.

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