Soziale Medien im Wahlkampf: Weiterhin auch die Haustür im Blick behalten
Wegen Corona findet ein großes Teil des Wahlkampfs für die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen im Internet statt, vor allem in den sozialen Medien. Inwieweit kann Social Media die persönliche Begegnung ersetzen?
Grundsätzlich ist es so, dass die persönliche Begegnung überhaupt nicht ausgeschlossen ist, auch nicht in dieser Kommunalwahl. Ich muss dabei nur ein paar Dinge beachten. Ein klassisches Mittel des Kommunalwahlkampfes ist es, im eigenen Wahlkreis – in NRW gibt es Wahlkreise auch bei der Kommunalwahl – Hausbesuche zu machen.
Wenn ich eine Maske aufziehe, klingele, zurücktrete und einen Meter vor der Tür stehe, kann ich eine komplette Hausbesuchsstrategie durchführen. Dann gefährde ich auch nicht die Person die ich besuche, und kann das mit gutem Gewissen tun. Kandidierende können selbstverständlich allen Wahlberechtigten im Wahlkreis einen Brief schreiben und ihn selbst austragen, auch mehrmals. Auch so kann ich Kontakt aufnehmen.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit Social Media als Ratsmitglied den eigenen Wahlkreis komplett erreichen könnte. Auf Facebook lässt sich keine Werbung auf den Wahlkreis schalten, es gibt riesige Streuverluste. Sie können auch sehr viel Zeit verplempern. Ich glaube, es ist wichtig, auch Social-Media-Arbeit zu machen, aber auch weiterhin die Haustür und den Briefkasten im Blick zu behalten.
Facebook, Instagram oder Twitter: Für welche Botschaften eignet sich welcher Kanal am besten?
Man sollte sich nur in den sozialen Netzwerken bewegen, die man kann. Wenn man selber auf Facebook zu Hause ist, ist das der richtige Ort. Das gleiche gilt für Instagram oder Twitter. Sich fünf Minuten vor der Kommunalwahl zu überlegen zu twittern, wird schlicht und ergreifend wirkungslos bleiben und schlimmstenfalls schief gehen, weil man nicht weiß, wie das Netzwerk funktioniert.
Immer gut ist es, direkt Nachrichten an Leute im Wahlkreis zu schreiben. Das kann man auf unterschiedlichen Ebenen machen: Mit einer Postkarte an Leute in der Nachbarschaft, in sozialen Netzwerken, per WhatsApp oder SMS – also alle Kontaktwege nutzen, die man hat.
Auf Social Media werden häufig komplexe Themen enorm verkürzt auf einzelne Statements. Besteht nicht die Gefahr, dass dabei die komplexen politischen Inhalte verloren gehen?
An der Stelle kann ich den Lesern und Leserinnen meine Facebookseite „Erik Flügge“ als Gegenbeispiel empfehlen. Sie hat eine Reichweite von mehreren 500.000 Leuten pro Woche, und ich verkürze kein einziges politisches Thema. Ich erkläre es so, dass man es versteht und nutze keine Fremdworte. Es sind relativ lange Texte. Es wird trotzdem gelesen. Ich glaube, es ist eine Illusion, anzunehmen, dass Leute Informationen immer nur häppchenweise kriegen wollen. Sie wollen sie so kommuniziert bekommen, dass man sie voraussetzungslos verstehen kann und nicht vorher Planungsrecht studiert haben muss.
Ein Beispiel: Im Stadtrat wird gesagt, „wir haben eine Stelle zugesetzt“. Diese Rede gibt es nirgendwo, außer in der Kommunalpolitik. Nirgends wird eine Stelle zugesetzt. Da muss man darüber nachdenken, was man unter normalen Umständen sagen würde, wenn man nicht im Ausschuss sitzen würde. Dann sagt man: Wir haben jemanden eigestellt oder eine Stelle besetzt.
Viele Ortsvereine und Bürgermeisterkandidaten entwickeln gerade neue Formate, mit denen sie die Menschen ansprechen, etwa Videobotschaften, Zoom-Veranstaltungen oder Podcasts. In Dortmund diskutierten etwa OB-Kandidaten über Wirtschaftsthemen ohne Publikum – das Video wurde ins Netz gestellt. Gibt es dabei Formate, die Sie für so gut halten, dass Sie auch nach Corona bleiben werden?
Ich mache ein konkretes Beispiel: Sascha Solbach in der Stadt Bedburg mit wenigen zehntausend Einwohnern macht seit Beginn der Corona-Pandemie jeden Tag ein Video und erzählt, wie die Lage in der Stadt ist, er spricht über die Kita-Öffnungszeiten, die Schulen usw. Das ist doch ein Format der Bürgerinformation, das sich weit über Corona hinaus durchführen lässt – wenn man es schon eingeübt hat, ein bisschen Routine hat und sich sagt: diese zehn Minuten jeden Tag für den Videodreh nehme ich mir. Denn es werden natürlich auch danach Themen kommen. Dann habe ich ein weiteres Format, um Bürgerinnen und Bürger darüber zu informieren, was in der Stadt gerade passiert. Solche Formate sind gut. Es muss nicht täglich sein, wie bei Sascha Solbach, aber es lohnt sich, es regelmäßig zu machen.
Oder wenn wir nach Solingen schauen, zu Oberbürgermeister Tim Kurzbach: Er veranstaltet regelmäßig Videoschalten, bei denen er Experten befragt, mit Leuten aus der Stadtgesellschaft diskutiert, Bürgerinnen und Bürger können Fragen stellen. Die Stadt hat jetzt die Infrastruktur und die Technik dafür: Warum sollte man dieses sehr leicht durchzuführende Dialogformat nicht fortsetzen nach Corona? Es ist klug, das zu tun.
Eine Herausforderung gibt es allerdings in Baden-Württemberg. Der Landesdatenschutzbeauftragte hat den Kommunen quasi jede Interaktion in solchen Netzwerken verboten. Es ist in den jeweiligen Bundesländern sehr unterschiedlich, was der Rechtsrahmen zulässt. In Nordrhein-Westfalen hingegen sieht es so aus, dass man das tatsächlich tun kann.
Zuletzt lag die SPD in Umfragen in NRW bei 20 Prozent, – 2014 erzielte sie über 30 Prozent – trotz Konjunkturpaketen und Grundrente. Wie kommuniziert man die politischen Erfolge besser?
Erstmal indem man es tut, und nicht gleich erklärt, was gefehlt hat. Jeder politische Erfolg der SPD – da sie ja nicht in der Lage ist, alleine zu regieren – ist ein Kompromiss. Die SPD hat, glaube ich, das Grundproblem, dass ein Drittel der Partei schon schimpft, warum man nicht mehr Erfolg hatte. So wird man auch nie wieder mehr Erfolg bekommen. Grundsätzlich finde ich, dass die Sozialdemokratie wieder lernen muss, solidarisch mit den eigenen Leuten zu sein. Sie können sich darauf verlassen: Sie erringen einen Erfolg, und innerhalb von fünf Minuten kommentiert irgendeiner: Warum erst jetzt, warum nicht mehr? Und relativ häufig sind darunter auch Parteimitglieder. Die Sozialdemokratie muss wieder lernen, die eigenen Erfolge zu feiern, sich selber gut zu finden – bevor andere sie wieder gut finden.
Bezogen auf die Kommunalwahl: Der Landestrend ist 18 Prozent schlechter als bei der vergangenen Kommunalwahl. Damals lag die SPD bei 38 Prozent, jetzt bei rund 20 Prozent. Halb so viel Rückenwind wie beim letzten Mal. Das bedeutet, dass ich doppelt so viel Arbeit als Ratskandidatin oder Ratskandidat machen muss. Das muss mir vollkommen klar sein. Das heißt: Mehr Kontakte, mehr Besuche, nicht wegen Corona zurückziehen. Wenn das jetzt nicht gemacht wird, ist auch das Kommunalwahlergebnis halb so gut wie beim letzten Mal. Den Unterschied machen hier tatsächlich die einzelnen Kandidierenden.
Gerade im Netz kommt es häufig vor, dass Kommunalpolitiker Hass und Hetze ausgesetzt sind. Wie können kommunale Repräsentanten, die ja oft ehrenamtlich arbeiten, damit umgehen bzw. sich schützen?
Das erste, was man für sich klarhaben muss, bevor man politisch in soziale Netzwerke geht ist, die Zahl derjenigen die hassen, nicht groß ist – nur die Zahl der Kommentare, die sie absetzen, ist gigantisch.
Sie werden immer von den gleichen 15 Leuten in der Stadt angegriffen. Blocken Sie doch einfach diese Idioten. Mit diesem Zeug muss man sich nicht konfrontieren. Kritik sollte man nicht mit Hass verwechseln. Natürlich gibt es Leute, die eine bestimmte Politik nicht gut finden. Aber sobald sie mit Gewalt drohen, Hass versprühen – blocken und anzeigen.
Da nützt auch keine Auseinandersetzung?
Wer das Mittel der Gewalt wählt in der Demokratie – und das ist verbale Gewalt – hat sein Dialogrecht mit dem Gegenüber verwirkt. Dann sollte man auch die juristische Konsequenz ziehen und das zur Anzeige bringen. Es gibt Meldemöglichkeiten für Hasskriminalität in allen Bundesländern, und es ist wichtig, diese Leute anzuzeigen, weil sie doch – nicht immer – aber signifikant häufig – ermittelt werden können und empfindliche Strafen kriegen. Wir wissen von vielen Leuten, die wirklich überrascht waren, dass plötzlich ein Gerichtsverfahren gegen sie lief – und dann häufig sogar im Verfahren einsichtig waren.
Das Interview erschien zuerst auf demo-online.de.
ist Leitende Redakteurin beim Vorwärts-Verlag und verantwortlich für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.