Wie Georg Eckert das „Archiv der sozialen Demokratie“ schuf
Am 29. August 1945 wird ein schwerkranker 33-jähriger britischer Kriegsgefangener von Bari in Apulien aus mit einem Lazarettzug nach Deutschland geschickt. Der Zug erreicht am 3. September Goslar im britischen Besatzungsgebiet. Am Tag darauf wird der Mann — mehr tot als lebendig — in das britische Lazarett eingeliefert. Der Mann heißt Georg Eckert und hat bereits drei Leben hinter sich. Ob er ein weiteres hinzufügen kann, bleibt ein Jahr lang in der Schwebe, aber Georg Eckert müht sich eisern, wieder auf die Füße zu kommen, was ihm schließlich am 15. November 1946 gelingt. Er wird als „geheilt und bedingt arbeitsfähig“ entlassen und kann sein viertes Leben beginnen.
Mit 18 Jahren in die SPD
Georg Eckert wird am 14. August 1912 in Berlin geboren. Das Elternhaus ist linksliberal und weltoffen. Der Vater, ein Redakteur, stammt aus Bamberg, die Mutter ist böhmisch-russischer Herkunft. Davon zeugt sein dritter Vorname Fedor. Seine Schulzeit verbringt der Junge an der Goetheschule in Berlin-Halensee, in der er auf das gleiche linksliberale Umfeld trifft, das er aus der eigenen Familie gewohnt ist. Schon als Kind wird Georg Eckert Mitglied in einem Arbeitersportverein. Als Goethe-Schüler engagiert er sich in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), tritt mit 18 Jahren der SPD bei und ein Jahr später dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. So ist es nachzulesen im höchst lesenswerten Buch „Georg Eckert (1912 – 1974). Von Anpassung, Widerstand und Völkerverständigung“ von Heike Christina Mätzing (Verlag J.H.W.Dietz Nachf. Bonn 2018).
1931 immatrikuliert sich Georg Eckert an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und studiert Geschichte, Geografie, Völkerkunde und Pädagogik. Zu seinen Dozenten gehören der sozialdemokratische Reformpädagoge Fritz Karsen und der marxistische Historiker Arthur Rosenberg. Über diesen Dozentenkreis findet Eckert Zugang zum „Bund Entschiedener Schulreformer“. In diesem linksakademischen Umfeld lernt Georg Eckert die sozialdemokratische Berliner Oberschulrätin Hildegard Wegschneider kennen, die bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg seine private und politische Mentorin ist. 1932 wird Georg Eckert Vorsitzender der „Sozialistischen Studentenschaft“ (SSD) in Berlin und beteiligt sich aktiv am Kampf um den Erhalt der Demokratie.
Mitläufer in der NS-Diktatur
Nach der Machtübertragung an die Nazis taucht Eckert ab und wechselt an die eher katholische geprägte Universität in Bonn, wo er sich für das Fach Völkerkunde einschreibt. 1934 schließt sich Georg Eckert überraschend der Studenten-SA an und wird Mitglied in einer farbentragenden Verbindung. Ob dies zur Tarnung geschieht, wie er bei seiner „Entnazifizierung“ angibt, oder weil er damit sein akademisches Fortkommen sichern will, lässt sich nicht klären. 1935 wird Georg Eckert im Fach Völkerkunde mit einer Arbeit über Mikronesien promoviert, er entschließt sich aber wegen mangelnder Berufschancen Lehrer zu werden und absolviert in Berlin sein Referendariat. Am 18. August 1937 wird Eckert mit anderen Referendaren vom Seminarleiter zur Mitgliedschaft in der NSDAP angemeldet. Wenige Tage später will er sich dafür die Billigung seiner mütterlichen Freundin Hildegard Wegschneider eingeholt haben. Auf jeden Fall biedert sich Georg Eckert in den frühen Jahren der Nazi-Diktatur an.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen erhält Georg Eckert seinen Musterungsbescheid und wird trotz seiner extremen Kurzsichtigkeit für tauglich erklärt. In Frankfurt/Oder erhält er eine Kurzausbildung zum Funker und nimmt in einer Nachrichtenabteilung am Überfall auf Frankreich teil. Nach einer weiteren Kurzausbildung zum Meteorologen wird Eckert im Juli 1941 als Wehrmachtsbeamter an die Wetterwarte in Saloniki abgeordnet, deren Leitung er im Jahr darauf übernimmt. Das verschafft ihm die Möglichkeit, Kontakte zur Bevölkerung und zu griechischen Widerstandskreisen aufzunehmen. Obendrein findet Eckert auch noch genügend Zeit, um sich 1943 im Fach Völkerkunde zu habilitieren.
Zurück zu den SPD-Wurzeln
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 besinnt sich Georg Eckert auf seine sozialdemokratischen Wurzeln und schließt sich den griechischen Partisanen an. Dabei dürften seine Ortskenntnisse hilfreich gewesen sein. Im Februar 1945 begibt sich Eckert freiwillig in britische Gefangenschaft. Die Briten sehen in ihm einen Mann für den demokratischen Neuaufbau Deutschlands und wollen ihn zu Schulungskursen nach England schicken, doch auf dem Transportweg über Italien erkrankt Eckert an einem Lungenabszess und landet schließlich Anfang September 1945 im Lazarett in Goslar. Dort beteiligt er sich vom Krankenbett aus an der Gründung einer sozialdemokratischen Gruppe und wird am 31. Dezember 1945 Mitglied der SPD-Ortsgruppe Goslar.
Über Hildegard Wegschneider, die sich bei den Briten für ihn verbürgt, kann Georg Eckert 1946 Kontakt mit Alfred Kubel aufnehmen: für Eckert eine segensreiche Fügung. Euphorisch schreibt er seinem Vater nach der Begegnung: „Glänzendes Verstehen, ich gebe ihm meine Papiere, er drückt meine Denazifizierung in der Schule durch.“ Im Herbst 1946 holt Alfred Kubel, nunmehr in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident des Landes Braunschweig, Georg Eckert als Dozent für Geschichte an die Hochschule für Lehrerausbildung in Braunschweig, an der er unter Aufsicht der britischen Besatzungsmacht Lehrpläne für eine wissenschaftliche Lehrerausbildung erarbeitet. Für einen politisch fundierten Geschichtsunterricht stellt Eckert Quellensammlungen zusammen über die Bauernkriege und den Vormärz, die bewusst antielitär ausgerichtet sind.
Einrichtung des „Archivs der sozialen Demokratie“
1951 gründet Georg Eckert in Braunschweig das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“ und lädt zu Schulbuchkonferenzen ein, die ihren Widerhall in deutsch-französischen und deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen finden. Ein anderes Herzensanliegen, das Georg Eckert 1946 noch vom Lazarettbett aus an Kurt Schumacher und dessen Organisationssekretär Fritz Heine herangetragen hatte, lässt sich erst 1969 verwirklichen: die Einrichtung des „Archivs der sozialen Demokratie“ bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort ist Eckert immerhin seit 1961 als Herausgeber des Jahrbuchs der Stiftung tätig.
Als Pionier der Völkerverständigung übernimmt der rastlose Eckert 1964 die Präsidentschaft der Deutschen UNESCO-Kommission. Die Umsetzung eines weiteren Vorschlags, der trotz Schumachers Befürwortung erst 1981 erfolgt, erlebt Georg Eckert nicht mehr: die Einsetzung der Historischen Kommission der SPD. Georg Eckert stirbt am 7. Januar 1974 während einer Vorlesung zur Geschichte der Arbeiterbewegung.
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