Wie der „Vorwärts“ auf die „Machtergreifung“ der Nazis reagierte
„,Feine Leute‘ und drei Nazis“ lautet die Titelzeile der Abendausgabe des „Vorwärts“ am 30. Januar 1933. An diesem Tag hat Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler ernannt. In der Rückschau ist dies, von den Nazis als „Machtergreifung“ gefeiert, das Ende der Weimarer Republik.
Ein scharfer Kampf, aber nicht mit Waffen
Der „Vorwärts“ scheint das am 30. Januar bereits zu ahnen. Es habe „ein geschichtlicher Kampf um das Schicksal des deutschen Volkes begonnenen“, analysiert die Redaktion die Lage. „Sieg oder Untergang hängt von der Bereitschaft und der Geschlossenheit des arbeitenden Volkes in diesem, vielleicht für Jahrzehnte entscheidenden Augenblick ab.“
Gleichzeitig stellt die Redaktion jedoch klar, wie dieser Kampf zu verstehen sei, nicht mit Waffen, sondern mit politischen Mitteln. Die SPD stelle sich „mit beiden Füßen auf den Boden der Verfassung und der Gesetzlichkeit“, betont der Autor. Die Partei werde „durch Ausnutzung aller verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel den allerschärften Kampf um die Regierung führen“.
Eine falsche Prognose
Hellsichtig fällt auch die Beschreibung des Kabinetts aus, zu dem neben Hitler mit Hermann Göring und Wilhelm Frick nur drei Mitglieder der NSDAP angehörten. Das neue Kabinett, zu dem vor allem parteilose Adlige und Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zählen, beschreibt der „Vorwärts“ als „eine Verbindung von feudaler, großkapitalistischer und faschistischer Reaktion“. „Die Mächte des Großkapitals werden in dieser Regierung ausschlaggebend sein.“ Das freilich erweist sich später als Trugschluss, da Hitler seine neue Macht nutzt, um diese Kräfte an die Wand zu drücken.
So liegen die Vorwärts-Redakteure auch mit ihrer Prognose am Folgetag daneben. „Jetzt jubeln noch die Anhänger Hitlers darüber, weil ihr Führer scheinbar sein Ziel erreicht hat“, heißt es am 31. Januar auf der Titelseite der Abendausgabe. „Es kann sein, daß dieser Jubel bald in Katzenjammer umschlagen wird, wenn die Nationalsozialistische Gefolgschaft erst deutlich ersieht, in welche enge Verbindung und Abhängigkeit Hitler zu den Vertretern des Großkapitals und der Junker, zu allen Kräften des alten reaktionären Systems geraten ist.“ Wer zu diesem Zeitpunkt vom wem abhängig ist, merken die genannten Kräfte jedoch auch erst als es für sie schon zu spät ist.
Hitlers Plan geht nicht auf
Wohin die Reise gehen könnte, wird der Redaktion schließlich am 1. Februar bewusst. „Hitler will den Landtag auflösen – Auch den Reichstag?“ fragt der „Vorwärts“ auf der Titelseite seiner Abendausgabe noch auf der Grundlage von Gerüchten. Wenig später gibt es Gewissheit: Sowohl der Landtag, der bis zum „Preußenschlag“ eine Bastion der SPD gewesen ist, als auch der Reichstag wird aufgelöst, Neuwahlen werden für den 5. März 1933 anberaumt. Trotz deutlicher Stimmenzuwächse für die NSDAP geht hier Hitlers Plan einer absoluten Mehrheit nicht auf. Um der parlamentarischen Demokratie den Todesstoß zu versetzen, greift er am 23. März zum „Ermächtigungsgesetz“. Der „Vorwärts“ ist da schon verboten.
Die Vorwärts-Ausgaben können als Faksimile beim Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung heruntergeladen werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.