Geschichte

Ehe für alle: Der lange Weg zu Gleichstellung

Seit ersten Oktober können Lesben und Schwule heiraten. Möglich gemacht hat das ein mutiger Schritt der SPD. Doch auch innerhalb der Partei war der Kampf um die volle Gleichstellung homosexueller Partnerschaften ein langer Weg. Ein Rückblick.
von Ansgar Dittmar · 2. Oktober 2017
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Dass es ganze 25 Jahre dauern würde, bis ihr Wunsch endlich in Erfüllung geht, haben damals wohl die wenigsten gedacht: Im Sommer 1992 zogen rund 250 Aktivistinnen und Aktivisten des Schwulenverbands in Deutschland (SVD) überall in der Bundesrepublik vor die Standesämter. Der Grund: Sie wollten „das Aufgebot bestellen“, also vor den Beamten ihre Heiratsabsichten kundtun. Ihre Anträge wurden jedoch alle abgelehnt.

Heftige Debatten in der Community

Die „Aktion Standesamt“ machte deutlich, dass sich damals viele Lesben und Schwule für ihre Partnerschaften eine rechtliche Grundlage wünschten. In der Community entstanden in der Folge allerdings heftige Debatten, ob man tatsächlich diesen bürgerlichen Weg des Zusammenlebens gehen wolle. Der Wunsch nach voller Gleichstellung hat sich jedoch durchgesetzt und ist heute Gesetz. Nach einem langen Weg – auch für die SPD.

Als die Sozialdemokraten im Oktober 2007 ihr Hamburger Programm beschlossen, lag der Fokus der Partei noch auf der Ehe ­– eine Gleichstellung, wie wir sie heute kennen, kam damals nicht vor. Das war für die Schwusos, der Interessenvertretung Homosexueller in der SPD, der Beginn eines langen Kampfes.

Schwusos: weiße Flecken in ganz Deutschland

Als ich 2008 Vorsitzender der Schwusos wurde, hatten wir als Organisation eine Reihe von weißen Flecken in der Republik. Zwar hatten wir starke Gliederungen in den Metropolen. In manchen Gegenden arbeiteten unsere Mitglieder jedoch auf verlorenem Posten. 

Deshalb versuchten wir als Vorstand von Beginn an, eine enge Zusammenarbeit mit der Partei zu entwickeln. Dabei erhielten wir die Unterstützung des damaligen (und heutigen) SPD-Generalsekretärs Hubertus Heil sowie der stellvertretenden Vorsitzenden Andrea Nahles. 2009 setzten wir eine Vertretung im Parteivorstand durch, um unsere Themen stärker in die Partei hinein tragen zu können. So erhöhten die Schwusos ihre Sichtbarkeit in der Parteiöffentlichkeit. Wir waren da und unsere Themen wurden diskutiert. 

Ehe für alle: Seit 2009 SPD-Position

Auch durch unsere regelmäßige Teilnahme am Christopher Street Day (CSD) erreichten wir, dass Millionen Menschen die SPD-Positionen für die LSBTI-Community kennen lernten – und die SPD als wählbare Größe wahrgenommen wurde. Wir konnten damit die Vielfältigkeit der „alten Tante SPD“ in eine breite Öffentlichkeit tragen, was viele motivierte, zu uns zu stoßen. 

Auf Parteitagen fanden unsere Themen ebenfalls Berücksichtigung: So schloss sich die SPD seit 2009 unserem Wunsch nach der Ehe für alle an. Auch übernahm die Partei unsere Forderung nach einer überfälligen Grundgesetzänderung, die Menschen künftig vor Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Identität schützen soll. Hinzukommen die Schwuso-Forderungen nach Rehabilitation und Entschädigung der Opfer des Schandparagraphen 175 im Strafgesetzbuch, der bis 1994 homosexuelle Handlungen verbot, sowie die Ergänzung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus um die Themen Homo- und Transphobie.

„Ihr seid doch nur Schwulen-Lobbyisten!“

Die Schwusos hatten stets sehr dicke Bretter zu bohren. Auch in der SPD mussten wir viel Überzeugungsarbeit leisten, um in der Partei die volle Gleichstellung zu erreichen. Das hieß für uns zunächst: raus aus dem Arbeitskreis, rein in die Arbeitsgemeinschaft. Als Arbeitskreis standen die Schwusos vielfach außerhalb der Parteistrukturen, in vielen Bundesländern hatten wir kaum Zugang zu den Ressourcen. Hinzukam der Vorwurf, wir seien „Schwulen-Lobbyisten“.

Dennoch suchten wir 2011 die offene Auseinandersetzung auf dem Bundesparteitag – und stellten den Antrag, endlich als Arbeitsgemeinschaft anerkannt zu werden. Dreimal musste abgestimmt werden. Schließlich gewannen wir ­– knapp: mit drei Stimmen.

Mehr Vielfalt für die SPD

Quasi in unserem Windschatten konnten dann auch die Gruppen „Selbst Aktiv“ sowie „Migration und Vielfalt“ Arbeitsgemeinschaften in der Bundes-SPD werden. Die Vielfalt in der Partei wurde deutlich sichtbarer. Ein großer Erfolg. 

Nach der verlorenen Wahl 2013 machte sich allerdings Ernüchterung breit. Die Forderung zur Ehe für alle wurde von der Union vorab als nicht verhandelbar bezeichnet. Wir mussten uns in den Folgejahren viel Kritik aus der Community gefallen lassen, dass wir unsere Themen aus den Augen verloren hätten. Was jedoch nicht stimmte. In der Zwischenzeit waren wir zu anerkannten Gesprächspartnern mit Expertenstatus geworden: Der Nationale Aktionsplans gegen Rassismus wurde in der großen Koalition um Positionen gegen Homo- und Transphobie ergänzt. Die Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 wurde, dank der Intervention von SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas, umgesetzt. 

Keine Ausreden mehr

Nur die Ehe für alle ließ auf sich warten – bis zum 30. Juli 2017, als die SPD ausgesprochen mutig agiert hat: Sie setzte die Koalition mit der Union bewusst aufs Spiel, um zusammen mit Linken und Grünen kurz vor Ende der Legislaturperiode die Ehe für alle durchzusetzen. Durch diesen Mut haben wir jetzt endlich die volle Gleichstellung homosexueller Partnerschaften!

Lange haben wir unserer Partei entgegengerufen: „Traut euch!“ Jetzt können sich alle Paare trauen. Es gibt keine Ausreden mehr.

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Ansgar Dittmar

 (*1971) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie ehrenamtlicher Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt am Main. Er war von 2008 bis 2016 Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD (Schwusos). Die Arbeitsgemeinschaft hat sich 2016 umbenannt und heißt jetzt: Arbeitsgemeinschaft der SPD für Akzeptanz und Gleichstellung (SPDQueer).

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