Verfassungsschutz stuft „Flügel“ der AfD als rechtsextrem ein
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Der „Flügel“, eine Gruppe innerhalb der AfD, ist vom „Verdachtsfall“ zum „Beobachtungsfall“ für den Verfassungsschutz geworden. Das erklärte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Donnerstagvormittag in einer Pressekonferenz. Die Behörde stuft die Teilorganisation innerhalb der Partei als rechtsextrem ein. Gründe für die Einstufung sind nach Aussage von Joachim Seeger, Abteilungsleiter Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz, unter anderem die weiterhin anhaltende Verbreitung verfassungsfeindlicher Reden und Dokumente und die Vernetzung des „Flügels“ im rechtsextremen Spektrum, beispielweise mit Pegida-Anführer Lutz Bachmann.
Umfangreichere Beobachtungsmöglichkeiten
Auch den inszenierten Personenkult um die Führungsfigur Björn Höcke zählt Seeger zu den Indizien, ebenso die radikale Denunziation von Kritiker*innen. Der Einfluss, die Durchsetzungsfähigkeit und die Organisation des „Flügels“ in der AfD habe in den vergangenen Monaten noch zugenommen. Inhaltlich zählte Seeger die migrationsfeindliche Haltung, die pauschale Ausgrenzung von Migrant*innen, die Verachtung der demokratischen Ordnung und die Verunglimpfung von Parlamentarier*innen als Anzeichen für die Verfassungsfeindlichkeit des „Flügels“ auf.
Damit stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nach eigenen Angaben nun umfangreichere Möglichkeiten der Beobachtung der Anhänger des „Flügels“ zur Verfügung. Die Möglichkeit, Personen zu beobachten, Nachrichtenverkehr zu überwachen und weitere Mittel aus dem „Werkzeugkasten“ des Verfassungsschutzes zu nutzen, erstrecken sich explizit auch auf Parlamentarier*innen des „Flügels“. Zu den Führungspersonen zählt Haldenwang neben Björn Höcke in Thüringen auch Andreas Kalbitz in Brandenburg sowie Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt. Alle drei sitzen als Abgeordnete der AfD in den Länderparlamenten, Kalbitz und Höcke sind außerdem Landes- und Fraktionsvorsitzende in Brandenburg und Thüringen.
13.000 gewaltorientierte Rechtsextreme
„Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind aktuell die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland“, erklärte Haldenwang am Donnerstag. Seit Jahren steige das Potential kontinuierlich an, gegenwärtig sind nach Schätzungen seiner Behörde rund 32.000 Personen in Deutschland als rechtsextrem einzustufen. „Davon schätzen wir 13.000 als gewaltorientiert ein“; so der oberste Verfassungsschützer.
Verbale Gewalt entlade sich in realer Gewalt mit realen Opfern. Seit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke im Juni 2019 seien zwölf weitere Menschen in Deutschland auf brutale Weise Opfer von Rechtsterrorist*innen geworden. „Kassel, Halle und Hanau sind drei Tatorte, die uns erklärte Hass- und Zielobjekte des Rechtsextremismus vor Augen führen.“ Diese Attentate bestätigten sowohl die Warnungen der Behörde als auch deren Prognose, erklärte Haldenwang: „Rechtsterroristische Ansätze können sich verstärkt außerhalb der etablierten Szenen bilden.“
Rhetorik des „Flügel“ als „geistiger Nährboden“ für Gewalt
Vor diesem Hintergrund stufte der Verfassungsschutz nun den „Flügel“ der AfD als „rechtsextrem“ und damit als Beobachtungsfall ein. Vertreter*innen dieser Teilorganisation der AfD verbreiteten Hass und Hetze bei Veranstaltungen und in sozialen Netzwerken im Internet. Haldenwang sprach von rund 7000 Anhängern des „Flügels“. „Damit ist der Flügel doppelt so groß wie die NPD“, setzte Joachim Seeger die Zahl ins Verhältnis. Grundlage für die Einschätzung ist auch die Aussage des Co-Vorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen, nach dem rund 20 Prozent der AfD-Mitglieder dem „Flügel“ angehören.
Natürlich gebe es keinen strafrechtlichen Zusammenhang, erklärte Thomas Haldenwang auf Nachfrage, aber: „Es ist der geistige Nährboden, der auch mittelbar von den Vertretern des Flügels bereitet wird.“ Die einen reden, die anderen müssen zur Tat schreiten – so sieht Haldenwang den Zusammenhang zwischen der Rethorik des Flügels und dem Handeln von gewaltbereiten Rechtsextremist*innen.
Inwiefern der „Flügel“ innerhalb der Alternative für Deutschland den Ton angibt oder wo die Teilorganisation innerhalb der Partei zu verorten ist, darüber konnte der Verfassungsschutzchef keine Angaben machen. Auf Nachfrage konnte er nur auf ein Gerichtsurteil verweisen, dass den Verfassungsschutz verpflichtet, über „Prüffälle“ nicht öffentlich zu sprechen. In seinen Aussagen zum „Flügel“ erwähnte Haldenwang aber mehrmals die Aussagen des AfD-Vize Alexander Gauland. Der hatte nach der Wahl in Thüringen Björn Höcke und seine Gruppierung in der „Mitte der Partei“ verortet.
Öffentlicher Dienst: Höcke bald kein Lehrer mehr?
Die neue Bewertung des Verfassungsschutzes dürfte Konsequenzen für Mitarbeiter*innen bei der Polizei, Bundeswehr Verfassungsschutz und anderen Behörden des öffentlichen Diensts haben, die mit dem „Flügel“ sympathisieren. „Extremisten haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen“, sagte Thomas Haldenwang. Wer Mitglied in einem Beobachtungsfall wie dem „Flügel“ sei, würde über kurz oder lang ein Problem mit seiner Dienststelle bekommen. Es gebe zwar keinen Automatismus, sondern Einzelfallprüfungen, aber eine Zugehörigkeit zum „Flügel“ sei schon ein starkes Indiz dafür, das Beschäftigungsverhältnis mit diesen Mitarbeiter*innen zu beenden.
Das könnte ganz konkret auch Konsequenzen für Björn Höcke haben: Der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen ist als Lehrer beim Land Hessen verbeamtet. Derzeit ist er aufgrund seiner politischen Tätigkeit beurlaubt, schon in der Vergangenheit gab es heftige Kritik daran, dass er nach seinen politischen Aktivitäten wieder als Lehrer vor Schüler*innen stehen könnte. Bisher waren den Behörden aber nach eigenen Angaben die Hände gebunden. Das dürfte sich mit der Einstufung des „Flügels“ als rechtsextreme Gruppierung ändern.
Für jede Person im öffentlichen Dienst ist in der Regel zunächst die jeweilige Personalabteilung verantwortlich – das gilt auch für die Prüfung von Hinweisen auf verfassungsfeindliches Verhalten von Kolleg*innen. Der Verfassungsschutz würde Anfragen zu solchen Personen aber beantworten und Informationen weitergeben, erläuterte Haldenwang das Verfahren. Dass der „Flügel“ keine feste Struktur oder Verein innerhalb der AfD ist, ist dabei offenbar kein Problem. Nach Aussage von Joachim Seeger gebe es eine Reihe von Indikatoren, anhand derer geprüft werden könne, ob die konkrete Person dem „Flügel“ der AfD angehöre.