Nord-Süd-Kommission: Willy Brandt setzte auf menschliche Solidarität
Es ist ein kühler, trüber Tag in der Nähe von Köln. Im repräsentativen Kaminzimmer von Schloss Gymnich, dem Gästehaus der Bundesregierung, versammeln sich am Freitag, 9. Dezember 1977 Politiker aus aller Welt. Sie sind zur konstituierenden Sitzung der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ angereist. Die knapp 20 Staatsmänner und -frauen wollen Vorschläge für eine neue Wirtschaftsordnung erarbeiten, die die Interessen von Entwicklungs- und Industrieländern berücksichtigt.
Schwierige Aufgabe für Brandt
Vorsitzender der „Nord-Süd-Kommission“ oder auch „Brandt-Kommission“ ist SPD-Chef Willy Brandt, der die Teilnehmer sorgfältig ausgewählt hat. In seiner Eröffnungsrede hebt er die Bedeutung dieses Nord-Süd-Dialogs hervor: „Das Thema unserer Gespräche – Zusammenarbeit mit Nord und Süd – ist ausschlaggebend für die Zukunft des Weltfriedens und für die Struktur der Welt, in der unsere Kinder leben müssen.“ Ziel sei eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, die möglichst breite Unterstützung der Staatengemeinschaft erlangen kann.
Die Kommission geht auf eine Anregung von Weltbank-Präsident Robert McNamara zurück, der auch Willy Brandt als Vorsitzenden vorschlägt. Der hoch angesehene Alt-Bundeskanzler, bekannt für sein Engagement für internationale Solidarität und Friedenspolitik, zögert, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. Denn Brandt sieht noch nicht die richtigen Voraussetzungen gegeben, er befürchtet zwischen allen Stühlen zu sitzen.
Entwicklungsländer wollen sich nicht länger ausbeuten lassen
Zu heftig werden bei den Vereinten Nationen (UNO) die Konflikte zwischen Nord und Süd, Arm und Reich ausgetragen. Die Entwicklungsländer, die sich in der „Gruppe der 77“ zusammengeschlossen haben, wollen sich nicht länger ausbeuten lassen. Der Erfolg der OPEC, die die Preise für Erdöl diktiert, gibt ihnen Auftrieb. Die Industrieländer wollen nicht einlenken. Die Fronten sind verhärtet.
So dauert es fast ein Jahr, bis die Kommission steht. Ein Jahr, in dem Brandt mit vielen Staatsmännern spricht, Bedenken und Vorurteile ausräumt und die Bereitschaft zu offenen Gesprächen weckt. Er gewinnt elf Politiker und Experten aus Entwicklungs- und acht aus Industrieländern, darunter der britische Konservative Edward Heath und der schwedische Sozialdemokrat Olof Palme. Insgesamt deckt die Nord-Süd-Kommission ein sehr breites politisches Spektrum ab, was die Verhandlungen zusätzlich erschwert.
Gute Worte, wenig Taten
Brandt hofft jedoch – ähnlich wie bei der von ihm eingeleiteten Entspannungspolitik – auf konstruktive Beratungen, die den Konflikt auf beiden Seiten entschärfen und es ermöglichen, gemeinsame Interessen herauszufiltern. Dabei sieht er die Chancen der schwierigen Beratungen realistisch: „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass eine solche von Regierungen unabhängige Kommission alle diejenigen Probleme lösen kann, die internationale Konferenzen der letzten Jahre oft in Verlegenheit gestürzt haben.“
Nach zehn Sitzungen beendet die Nord-Süd-Kommission 1979 ihre Beratungen. Das Abschlussdokument mit dem Titel „Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie -und Entwicklungsländer“ übergibt Brandt im Februar 1980 an UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim, Weltbankpräsident McNamara und US-Präsident Jimmy Carter.
In seiner viel beachteten Einleitung zum Bericht schreibt Brandt hellsichtig: „Die Herausforderungen kommender Jahrzehnte werden nicht durch ein gegnerisches System von Gewinnern und Verlierern bewältigt werden – Nord gegen Süd und Ost gegen West, sondern nur durch eines, das sich auf allumfassende menschliche Solidarität und internationale Zusammenarbeit gründet.“
Von den Vorschlägen der Brandt-Kommission werden so gut wie keine umgesetzt. Bis heute ist der Nord-Süd-Konflikt ungelöst und hält die Weltpolitik in Atem.