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Geflüchtete: Wie das EU-Asylsystem geändert werden soll

Seit langem wird um eine Änderung des europäischen Asylrechts gerungen. Nun glaubt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an einen Durchbruch. Was sieht der Vorschlag vor? Und kann er die akuten Probleme lösen?
von Jonas Jordan · 5. Mai 2023
Geflüchtete im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos im Jahr 2020.
Geflüchtete im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos im Jahr 2020.

Spätestens seit den Jahren 2015 und 2016 gilt das aktuelle europäische Asylsystem als nicht mehr passend. Seitdem wird um eine Änderung gerungen, jedoch mit geringen Ergebnissen. Nun erhofft sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Durchbruch und damit verbunden auch eine Entlastung für die Städte und Kommunen hierzulande. Doch was würden die diskutierten Vorschläge konkret bedeuten?

Wo liegen aktuell die Probleme?

Trotz des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gibt es in der Asylpolitik weiterhin gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten beispielsweise mit Blick auf die Anerkennung als Geflüchtete. So erhielten im Jahr 2021 nur neun Prozent der Geflüchteten aus Afghanistan in Bulgarien in erster Instanz den entsprechenden Schutzstatus, in Spanien und Portugal waren es hingegen gleichzeitig nahezu hunder Prozent. 

Das führt dazu, dass Geflüchtete oftmals dort einen Asylantrag stellen, wo ihre Chance auf Anerkennung am höchsten ist, was jedoch wiederum der Dublin-Verordnung entgegensteht. Demnach müssen Asylsuchende nämlich in demjenigen Mitgliedsstaat einen Antrag auf Anerkennung stellen, in dem sie die EU als erstes betreten haben. Grundsätzlich gibt es daher die Möglichkeit, Asylsuchende in das betreffende Land wieder zu überstellen. Im Jahr 2020 gab es beispielsweise innerhalb der EU 94.600 Überstellungsersuche, jedoch wurden nur in 12.500 Fällen die Menschen tatsächlich überstellt.

Welche Vorschläge gibt es, das zu ändern?

Nachdem es bereits während der vergangenen Wahlperiode des Europaparlaments Versuche gab, das GEAS zu reformieren, hat die Kommission nun einen neuen Anlauf unternommen, um Flucht- und Migrationsbewegungen innerhalb der Europäischen Union besser koordinieren zu können. Die größte Neuerung wäre, dass an den EU-Außengrenzen ein neues Schnellverfahren für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten angewendet werden soll, das schon seit einiger Zeit in Deutschland an Flughäfen praktiziert wird.

Dieses Schnellverfahren soll zum Standard für Menschen aus Ländern mit geringer Schutzbedürftigkeit werden: Wer wenig Aussicht auf Asyl oder Dokumente gefälscht hat, soll für zwölf Wochen inhaftiert werden dürfen, während der entsprechende Antrag bearbeitet wird. Nach dieser Zeit soll das Asylverfahren laut dem Vorschlag der EU-Kommission abgeschlossen sein.  

Wie ist die deutsche Position?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, es gebe „ein historisches Momentum, dass wir mit anderen europäischen Staaten es schaffen können, ein gemeinsames Asylsystem auf den Weg zu bringen“. Es sei unglaublich wichtig, betonte sie, die Registrierung und die Identifizierung von Migrant*innen bereits „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu ermöglichen. Im Ausgleich für dieses Kontrollsystem an den EU-Außengrenzen sei dann die Solidarität der anderen Mitgliedsstaaten gefragt, forderte Faeser.

Welche Reaktionen gibt es auf die Vorschläge?

Kritik am vorgeschlagenen Verfahren kam unter anderem von den Jusos. So hieß es am Freitag auf dem Twitter-Account der SPD-Jugendorganisation: „Die von der Ampelregierung diskutierten Vorschläge zur europäischen Asylpolitik sind alarmierend & besorgniserregend! Das Recht auf Asyl darf nicht an EU-Aussengrenzen enden. Die Folgen davon lassen sich mit einem Europa der Rechtsstaatlichkeit & Menschenrechte nicht vereinbaren.“

Nach Ansicht von Felix Braunsdorf (Ärzte ohne Grenzen) bergen die Vorschläge der EU-Kommission die Gefahr, den Ausnahmezustand an den EU-Außengrenzen und Abweichungen vom geltenden Recht zu institutionalisieren. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stünden in den kommenden Monaten vor dieser Wahl: Entweder nähmen sie Schäden für das Leben und die Gesundheit der Menschen auf der Flucht weiterhin wissentlich in Kauf, um ihre Abschreckungs- und Externalisierungsstrategie weiter auszubauen. Oder sie leiteten eine Abkehr von dieser Politik hin zu einer humanen Migrations- und Grenzpolitik ein. 

Der Wissenschaftler Ruud Koopmans (Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin) setzt sich für die Ersetzung von irregulärer Fluchtmigration durch reguläre Migration ein. Ohne eine wirkungsvolle Einschränkung der irregulären Asylmigration könne man sich alle Gedanken über großzügige Aufnahmekontingente und humanitäre Visa sparen, teilte er mit. Koopmans regte mehr und wirkungsvollere Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern von Asylbewerber*innen an, insbesondere solchen mit geringen Anerkennungsquoten wie die westafrikanischen Länder. Die hätten zwar daran selbst kein Interesse. Deshalb solle mit der Verpflichtung zur Wiederaufnahme von abgelehnten Asylbewerber*innen die Eröffnung von legalen Kontingenten für Arbeitsmigration verbunden werden, so der Migrationsforscher.

Wie ist das weitere Verfahren?

Bis Februar 2024 – somit rechtzeitig vor der Europawahl im Mai 2024 – sollen die Verhandlungen über die verschiedenen im Asyl- und Migrationspakt vorgesehenen Rechtsakte zum Abschluss kommen. Im Zuge dessen müssen sich nun zunächst die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position einigen und diese gegenüber der Kommission artikulieren. Ob das jedoch noch während der schwedischen Ratspräsidentschaft bis Ende Juni gelingt, erscheint zumindest fraglich.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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